Aarau siegt und siegt – und träumt
Der FC Aarau surft auf der Erfolgswelle. Führt sie ihn zurück in die Super League, in welcher der Traditionsklub vor 3561 Tagen seinen letzten Aufritt hatte? Die Vorzeichen sind gut!
Es war der 29. März 2015, als der FCA seinen letzten Match in der höchsten Spielklasse bestritt. Gegner war der FC Thun, der die Saison auf Rang 4 abschloss und sich fürs europäische Geschäft qualifizierte. Die von Raimondo Ponte trainierten Aarauer siegten daheim mit 3:2, es war das bis heute letzte grosse Hurra in der Beletage unseres Fussballs.
Tränen und Mittelmass
Seither lebt der Traum von der Rückkehr auf diese grosse Bühne. Und einmal war der FCA besonders nah dran. In der Saison 2018/19 kams zur Barrage gegen Xamax. Auswärts siegte der von Patrick Rahmen gecoachte Challenge-Ligist im Hinspiel 4:0. Der Champagner war kaltgestellt, die Aufstiegsshirts waren bedruckt, der Gang ins Oberhaus eigentlich nur noch eine Formsache. Doch dann folgte im Brügglifeld die Neuenburger Aufholjagd, die für bittere Aarauer Tränen sorgte. Nach 72 Minuten hatte Xamax das Gesamtskore ausgeglichen, später musste das Penaltyschiessen entscheiden. Elsad Zverotic verschoss den entscheidenden Elfer – und so versank der FCA an diesem 2. Juni 2019 im Tal der Tränen.
Seither dominierte im Rüebliland das fussballerische Mittelmass. Der Traum vom Aufstieg platzte immer wieder. Auch in dieser Saison sprach am Anfang nichts dafür, dass die Aarauer vielleicht schon bald eine Aufstiegsparty feiern könnten. In den ersten vier Saisonspielen gegen Thun (1:3), Wil (2:2), Xamax (1:3) und Stade-Lausanne (1:1) gab es nur gerade zwei Punkte, nach sechs Spielen hiess die triste Realität: letzter Platz, neun Punkte hinter Leader Thun.
Doch seither hat sich etwas getan beim FCA. Das Team hat sich auf Rang 2 vorgearbeitet, der Rückstand auf den Tabellenersten Thun beträgt nur noch ein Pünktchen. Zumindest ein Platz in der Barrage scheint sehr gut möglich zu sein, die Reserve auf das drittklassierte Carouge liegt bei stattlichen acht Punkten. Und auch die Formkurve stimmt. Das 1:0 auswärts gegen Vaduz am vergangenen Sonntag war der siebte Sieg in Folge – und ein Klubrekord. Sieben Liga-Siege in Serie hat der FCA seit der umfassenden Datenerhebung seit 1981 noch nie eingefahren.
Ein Mann hinter der neuen fussballerischen Herrlichkeit ist Coach Brunello Iacopetta, der im vergangenen Sommer aus Wil in den Aargau wechselte. «Brunello Iacopetta ist ein junger Trainer, der in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er eine Mannschaft weiterentwickeln kann. Wir sind überzeugt davon, dass er die richtige Wahl ist, um den FC Aarau sportlich weiterzubringen. Mit seiner offensiven Spielweise, seiner taktischen Expertise und der Fähigkeit, mit jungen Spielern erfolgreich zu spielen, passt er perfekt zur Philosophie des FC Aarau. Als Ausbildungsverein ist es besonders wichtig, dass wir einen Trainer an unserer Seite wissen, der jungen Spieler das notwendige Vertrauen schenkt und sie sukzessive ans Profifussball-Niveau heranführt. Mit Brunello haben wir die ideale Besetzung gefunden», begründete Sportchef Elsad Zverotic damals die Trainerwahl.
Zverotic, in der Barrage gegen Xamax mit seinem verschossenen Penalty noch die tragische Figur, ist nun ein anderes Gesicht des Erfolgs. Er wurde im Januar 2024 vom Kaderplaner zum Sportchef befördert und hat eine Mannschaft zusammengestellt, die ernsthaft von der Rückkehr auf die grosse Bühne träumen darf. Vom möglichen Aufstieg will Zverotic aber noch nicht sprechen, kürzlich erklärte er gegenüber dem Blick trocken: «Wir haben Anfang der Saison gesagt, dass wir uns immer weiterentwickeln wollen.»
Starkes und funktionierendes Kollektiv
Die Zurückhaltung ist nachvollziehbar oder gar verständlich, doch es gibt auch Gründe, weshalb der Aufstieg für die Rüebliländer realistisch ist und nicht nur ein Traum bleiben muss. Der FCA verfügt über ein starkes und funktionierendes Kollektiv, präsentiert sich als Team, in dem die persönlichen Egos in den Hintergrund rücken. Gleichzeitig stehen Spieler im Kader, die für den Unterschied sorgen können, so wie beispielsweise Valon Fazliu (8 Treffer) und Nikola Gjorgjev (6 Treffer), die zusammen mit Mittelstürmer Yannick Touré (9 Treffer) die besten Torschützen im Team sind. «Alle sind fokussiert, die Mentalität von allen stimmt. Wir wissen, was wir können und glauben an uns. Ich fühle mich sehr gut», erklärt Yannick Touré den Höhenflug.
Und auch in der Defensive stimmt der Weg. 26 Gegentore sind der zweitbeste Wert der Liga, einzig der FC Thun musste ein Tor weniger einstecken. Goalie Marvin Hübel ist trotz seiner erst 21 Jahre ein sicherer Rückhalt ohne grobe Patzer. Wenn er gebraucht wird, ist er da. Und auch die Fans sind ein wertvoller Rückhalt. Durchschnittlich zieht der FCA 4733 in seinem Stadion an, es ist der Bestwert der Liga, vor Leader Thun (4043). Im Spitzenkampf gegen die Berner Oberländer verwandelten am 14. Februar satte 6299 Fans das Brügglifeld in einen Hexenkessel und peitschten ihr Team zum 1:0-Sieg, der die Aufstiegsträume noch konkreter werden liess.
Keine Kampfansagen
Ganz klar, der FCA befindet sich auf Aufstiegskurs, doch die Aarauer halten den Ball tief. Lautstarke Kampfansagen blieben nach dem Erfolg gegen Thun aus, stattdessen erklärte Coach Brunello Iacopetta nüchtern: «Sie sind immer noch Erster, wir sind Zweiter.» Und über die Siegesserie sagte er nun: «Ich bin ja eigentlich kein Fan von Statistiken, aber solche Zahlen höre ich natürlich gerne. Hätten wir zu Beginn der Saison gesagt, dass wir so etwas erreichen werden, hätten uns wohl ein paar Leute für wahnsinnig gehalten.» Und auch Abwehrchef Serge Müller gibt sich verbal defensiv: «Es ist ein gutes Gefühl, dass wir den Rekord brechen konnten. Aber wir müssen uns schon auch bewusst sein, dass die Spiele in der Rückrunde stets auf Messers Schneide waren. Wir dürfen nun kein bisschen nachlassen und müssen bei jedem Spiel zu 100 Prozent fokussiert bleiben.»