Braucht die Schweizer Nati jetzt einen Neustart? Zwei Meinungen!
Die Schweiz löst das Ticket für ein grosses Turnier und trotzdem bleiben nach dem Ende der Qualifikationsphase mehr Fragen als Antworten. Zum Beispiel: Braucht die Nati einen Neustart? Soll die Zeit bis zur EM für einen Umbruch genutzt werden? Unsere Redaktoren Patrick Y. Fischer und Andy Maschek sind unterschiedlicher Meinung.
Patrick Y. Fischer sagt: Ja
Keine Frage: Eine Selbstverständlichkeit ist eine EM-Qualifikation für die Schweiz auch nach mehreren Teilnahmen in den letzten beiden Jahrzehnten nicht. Aber sie durfte in dieser Qualifikationsgruppe, gegen Konkurrenz, die in der FIFA-Weltrangliste geschlossen ausserhalb der Top 45 rangiert, erwartet werden. Möglicherweise nicht mit zehn Siegen, wie von Captain Granit Xhaka gefordert, aber doch mit deutlich mehr als den vier Erfolgen, die es schliesslich geworden sind. Zuletzt holte die Nati aus drei Spielen gegen Israel, den Kosovo und Rumänien gerade noch zwei Pünktchen, weshalb nur eine Schlussfolgerung zulässig ist: Diese Nati hat in dieser Zusammenstellung keine Zukunft. Sie braucht frisches Blut. Am besten sofort.
Natürlich. Mit der Qualifikation für Deutschland hat sich der Vertrag von Murat Yakin erst einmal bis zum Turnier im Sommer 2024 verlängert. Aber das darf und wird den Verband nicht davon abhalten, das neue Jahr mit einem neuen Trainer in Angriff zu nehmen. Zu schlecht waren die Resultate, zu negativ die Entwicklung der letzten Monate. Gleichzeitig ist es für den Schweizerischen Fussballverband deutlich einfacher, eine verpatzte Endrunde zu verkraften, als abermals eine schwache Qualifikation zu riskieren. Die finanziellen Auswirkungen einer verpassten Endrunde sind für den SFV nämlich weit gravierender als jedes noch so schwache Abschneiden im kommenden Jahr. Mit dem Start der WM-Qualifikation im Frühjahr 2025, ist 2024 für den Aufbau eines neuen Teams ideal.
Gewiss, ein kompletter Neuaufbau der Nationalmannschaft ist unrealistisch und auch nicht nötig. Vor punktuellen Veränderungen sollte man mit Blick auf die kommenden Jahre aber nicht zurückschrecken. Sei es auf der Position des Trainers, wo zurzeit diverse interessante Kandidaten auf dem Markt sind, als auch im Kader, in dem Yakin eine Verjüngung in der Offensive bereits eingeleitet hat. Künftig gilt es auch Akteure wie Fabian Rieder (21) und den gegen den Kosovo debütierenden Filip Ugrinic (24) vermehrt einzubinden, ähnlich wie den allerdings nicht unumstrittene Ardon Jashari (21) im zentralen Mittelfeld. Und im Tor verfügt die Schweiz mit Gregor Kobel (25) bereits jetzt über eine vielversprechende Alternative zu Yann Sommer. Jener spielt zwar noch immer auf konstant hohem Niveau, steht mit bald 35 Jahren aber definitiv im Herbst seiner Karriere. Warum also Kobel nicht jetzt die Chance bieten, um sich als neue Nr. 1 zu etablieren? Mit dem Dortmunder Vize-Kapitän im Tor würde auch die Hierarchie einer Mannschaft neu durchmischt, die zuletzt regelmässig auseinanderfiel. Auch aus diesem Grund wäre eine neue Dynamik wünschenswert.
Andy Maschek sagt: Nein!
Der wichtigste Punkt gleich vorweg: Die Nationalmannschaft ist an der EM 2024 dabei und wird uns Fussballfans im kommenden Sommer eine heisse Zeit bereiten. Und im Hinblick auf dieses Turnier wäre es ratsam, nun kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn ein paar heisse Entscheide anstehen.
Da ist vor allem die Position des Nationaltrainers. Murat Yakin hat in diesen tristen Novembertagen wie das ganze Team einen verunsicherten Eindruck gemacht. Nichts war mehr zu spüren von jenem Mann mit dem grossen Charisma, der einen Raum mit seiner Persönlichkeit füllen konnte. Ja, er hat schlechte Leistungen teilweise schöngeredet. Ja, es ist möglich, dass es atmosphärische Störungen zwischen ihm und Captain Granit Xhaka gibt. Und ja, er hat teilweise personelle Entscheidungen gefällt, die man kritisieren kann. So ist es auch legitim, die Position des Coaches zu hinterfragen. Und da komme ich zum Schluss: Es gibt durchaus Argumente, die einen Wechsel auf diesem Posten legitimieren, aber es bringt nichts, sich nun von Murat Yakin zu trennen.
Er kennt diesen Sport in- und auswendig und verfügt über enorme Erfahrung. Er hat mehr über Fussball vergessen, als andere je erlebt oder gewusst haben. Er ist schlau und wird aus seinen Fehlern, die er im Verlaufe dieser Kampagne gemacht hat, seine Lehren ziehen. Und seien wir ehrlich: Wen könnte man in den nächsten Wochen als Nationalcoach inthronisieren? Urs Fischer müsste definitiv ein Thema sein. Aber lassen wir ihn doch nach seiner intensiven Zeit in Berlin durchschnaufen und Energie tanken. Lucien Favre? Er braucht mit seiner Art wohl eher die tägliche Arbeit mit einem Team. Vladimir Petkovic? Es ist fraglich, ob er bei einem Comeback die Uhr zurückdrehen könnte, aber als kurzfristige Lösung bis nach der EM könnte er funktionieren. Zudem gibt es selbstverständlich viele weitere Namen, im In- und Ausland, bis hin zu Hansi Flick. Aber passen sie wirklich besser zum Team als Yakin? Und wie sieht es mit den finanziellen Ansprüchen aus?
Klar ist, dass alle gefordert sind. Nicht nur der Coach, auch die Spieler. Leistungsträger wie Captain Granit Xhaka und Verteidigungsminister Manuel Akanji ganz besonders. Ebenso müssen die Treffsicherheit und das Selbstverständnis des Siegens wiedergefunden werden, müssen das Team und der Coach mit breiter Brust auftreten. Ist das alles nur mit einem Umbruch, einem Neustart möglich? Nein! Murat Yakin hat schon damit begonnen, junge Spieler einzusetzen und für frisches Blut zu sorgen. Gezeigt, dass ein grosser Name allein oder eine ruhmreiche Vergangenheit nicht zwingend einen Platz in den Top 11 mit sich bringt. Diesen Weg muss und wird er konsequent weitergehen, im Wissen, dass es für den Erfolg eine gute Mischung aus älteren und jüngeren Spielern braucht, aus Erfahrung und Unbekümmertheit. Wenn man ihm die Chance gibt, weiter mit dem Team zu arbeiten, ist es gut möglich, dass er sie auch packt. Lassen wir ihn es versuchen!