Der einzige Mohikaner: Leandro Riedi mit wegweisender Grand-Slam-Premiere
Heute Mittag wartet auf Leandro Riedi (ATP 503) das bislang grösste Match seiner Karriere. In Wimbledon triff er bei seiner Premiere im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turnieres auf den Britischen Qualifikanten Oliver Tarvet (ATP 719). Ein Spiel zweier Aussenseiter mit der Aussicht auf ein Duell mit Titelverteidiger Carlos Alcaraz (ATP 2) in Runde 2.
Sind aller guten Dinge vier?
Im Spätsommer 2020 spielte sich Leandro Riedi zum ersten Mal ins Blickfeld der breiten Schweizer Sportöffentlichkeit. Als 18-Jähriger erreichte er das Endspiel des Juniorenturniers von Roland Garros – und unterlag dort seinem noch etwas jüngeren Landsmann Dominic Stricker (aktuell ATP 238). Anfang 2023 näherte sich Riedi als Weltnummer 133 dann ein erstes Mal jenem Weltranglistenbereich, ab dem der Beruf als Tennisprofi sowohl finanziell als auch sportlich so richtig interessant wird. Doch der erhoffte Sprung in die Top 100 gelang nicht. Der Bassersdorfer musste seinen plötzlichen Aufstieg (er machte von November bis Januar in nur vier Turnieren über 140 Weltranglistenplätze gut) spielerisch und mental erst verkraften.
2024 nahm Riedi dann einen neuerlichen Anlauf in Richtung Top 100. Mit neuem Coach arbeitete er sich bis August in fünf Challenger-Turnieren ins Finale vor (zwei davon gewann er), ehe ihn die Verletzungshexe jäh bremste. Ein Knochenabriss zwang den Weltranglisten-117. während den US Open zu einer mehrmonatigen Pause und kaum genesen, zog er sich im Training eine Meniskusverletzung zu, die ihn abermals ausser Gefecht setzte. Schliesslich kehrte das Mitglied des Schweizer Davis-Cup-Teams erst im Mai auf die Profi-Tour zur, spielte ein Challenger-Turnier in Portugal und noch eines in Ilkey (GBR), ehe er vor einer Woche ins Wimbledon-Qualifikationsturnier in Roehampton einstieg. Als Aussenseiter, der nur dank eines geschützten Rankings (PR ATP 132) überhaupt noch Aufnahme im Teilnehmerfeld gefunden hatte.
Die Chance im schlechtesten Spiel der Wimbledon-Geschichte
Und nun steht der 1,91 Meter grosse Rechtshänder also zum ersten Mal im Hauptfeld eines Grand-Slam-Events. Dank Siegen über Fajing Sun (ATP 249), Federico Agustin Gomez (ATP 136, nach abgewehrtem Matchball) und den Schotten Hamish Stewart (ATP 550) in Runde drei. Zur Main Draw-Premiere wartet der Brite Oliver Tarvet, seines Zeichens die Weltnummer 719, auf den auf Position 503 abgerutschten Zürcher. Ein Duell mit guten Chancen, dass nominell schlechteste in der langen Geschichte des ruhmreichen Anlasses im All England Lawn Tennis and Croquet Club zu sein. Doch aufgepasst - auch für Tarvets schwaches Ranking gibt es eine einfache Erklärung. Der 21-jährige spielte bis Mai noch College-Tennis in den USA, reihte dann auf der Challenger-Tour acht Siege am Stück aneinander und qualifizierte sich nun mit drei souveränen Siegen für das Hauptfeld. Unterschätzen sollte man den athletischen Briten also nicht, zumal einiges auf dem Spiel steht. Schliesslich erwarten den Sieger der doppelten Grand-Slam-Premiere mindestens 136‘000 US Dollar an Preisgeld und die Aussicht auf ein Zweitrunden-Duell mit Titelverteidiger Carlos Alcaraz (ATP 2) – möglicherweise auf dem berühmten Center Court.
Mit No-Name-Coach auf Kurs bleiben
Wichtig wäre ein Erfolg in Wimbledon aber natürlich auch für die kommenden Monate. Zwar würde Riedi auch nach dem Erreichen der 2. Runden in der Weltrangliste ausserhalb der Top 400 verbleiben, gefühlt jedoch wäre ein Sieg im Duell mit Tarvet ein weiterer Beweis dafür, dass sich Leandro Riedi trotz Verletzungspech auf dem richtigen Weg befindet. Eigentlich schon seit Anfang 2024, als er einen fast gleichaltrigen Freund darum bat, ihn als Coach zu begleiten. Die Rede ist von Yannik Steinegger, einem mittlerweile 24-jährigen Baselbieter, dessen eigene Karriere ihn immerhin bis auf ATP-Rang 951 brachte, ehe er diese zugunsten einer Zusammenarbeit mit Riedi zurückstellte. Mittlerweile begleitet Steinegger seinen Schützling regelmässig und ist selbst zum Schlüsselteil im Erfolgs-Puzzle seines ehemaligen Tennis-Kumpels geworden. Gut möglich, dass die beiden ohne Riedis Verletzungspech jetzt ebenfalls in im Wimbledon weilen würden, sich den Gang durch die Qualifikationsmühlen jedoch hätten ersparen können. Nun aber soll und muss ausgerechnet das bedeutendste Tennisturnier der Welt als Sprungbrett für eine starke zweite Saisonhälfte dienen. Mit guten Leistungen winkt speziell nach den US Open im August – wenn Riedi keine Punkte mehr zu verteidigen haben wird – die Chance, den angestrebten Sprung unter die Top 100 zu vollziehen. Ein Sieg gegen Tarvet wäre der nächste (nicht ganz so) kleine Schritte in die angepeilte Richtung.