DiDomenico: Das Genie ist da, der Wahnsinn verschwunden
In der Vergangenheit war bei Chris DiDomenico der Grat zwischen Genie und Wahnsinn äusserst schmal. Nun hat der Gottéron-Stürmer offenbar die Balance gefunden, bleibt auch in heissen Situationen ruhig, lässt sich nicht provozieren und steht mit seinem Team gegen Lugano vor dem Halbfinaleinzug.
Er ist einer dieser begehrten Unterschiedsspieler, die in jedem Match für die Differenz sorgen können. Einer, der jederzeit die Gegner mit seinem Genie überwinden kann. Wie am Sonntag, als er im Powerplay den starken Lugano-Goalie Niklas Schlegel mit einem präzisen Schuss in die hohe Ecke bezwang, so den 1:0-Siegtreffer erzielte und Gottéron zwei Matchpucks für den Halbfinaleinzug sicherte.
An DiDomenicos Genialität zweifelt kaum jemand. So, wie es einst auch bei Todd Elik der Fall war. Der Kanadier glänzte an lichten Tagen auf dem Eis wie kaum ein anderer, erzielte in der höchsten Schweizer Liga in 315 Spielen für Lugano, Langnau, Zug und Davos 458 Skorerpunkte – kassierte aber auch 1274 Strafminuten und zahlreiche Spielsperren, weil er sich oftmals nicht im Griff hatte. Ähnlich ist es nun auch bei Chris DiDomenico, auch wenn er mit seinen Strafen nicht an Elik herankommt. Seine Zahlen: 425 NL-Spiele für die SCL Tigers, Bern und Gottéron, 405 Skorerpunkte – aber «nur» 782 Strafminuten und weitaus weniger Spielsperren als sein kanadischer Landsmann.
Zudem scheint es, dass «DiDo» nun das Gleichgewicht gefunden hat. Nur 30 Strafminuten kassierte er in der Regular Season in 52 Spielen, so wenig wie erst einmal in seinen Jahren in der Schweiz; in der Qualifikation 2016/17 waren es in 48 Spielen ebenfalls 30 Minuten gewesen. Und auch in den ersten fünf Viertelfinalduellen gegen Lugano wurde er nur mit vier Strafminuten sanktioniert. Im Gegenzug ist der 35-jährige Kanadier mit zwei Toren und vier Assists der beste Gottéron-Skorer im Viertelfinal gegen Lugano, hat in jedem dieser fünf Spiele gepunktet.
Vom Saulus zum Paulus also? Was steckt hinter dieser Wandlung? Weshalb kann er mit seinen Emotionen plötzlich so gut umgehen? «Er ist konzentriert und im Playoff-Modus. Er spielt für das Team, und ich hatte überhaupt keine Probleme mit ihm. Das war die Devise, als ich ihn wieder unter Vertrag genommen habe: ‹Du kommst nach Fribourg, aber du hältst dich zurück.› Ich kann mich im Moment nicht beschweren», sagte Gottéron-Coach Christian Dubé in diesen Tagen gegenüber «Blick» über den neuen, ungewohnten DiDomenico, den die Rückkehr vom SC Bern, wo er ein Jahr zum Vergessen erlebte, nach Fribourg wieder aufblühen liess.
Der einstige Feuerkopf, der sich so oft aufregte und die Gegner attackierte, sagt, dies sei ein DiDomenico der Vergangenheit, «wir schauen jetzt auf die Gegenwart und in die Zukunft». Er habe einen Schwur abgelegt: «Ich habe mir und allen anderen versprochen, dass ich die beste Version von mir selbst sein werde. Wir haben darüber gesprochen und uns gesagt, dass wir niemals aufgeben, dass wir bis zum Ende kämpfen.»
Diesem Schwur leistet der begnadete Stürmer nun auf beeindruckende Art und Weise Folge. Dass er wie aktuell mehr Skorerpunkte (47 in der ganzen Saison) als Strafminuten (34) auf seinem Konto hat, ist in der Schweiz erst einmal vorgekommen, in der Saison 2016/17.
Natürlich wird der mit dem Rücken zur Wand stehende HC Lugano auch heute Abend versuchen, DiDomenico so stark zu provozieren, dass er ausrastet und mit Strafen seinem Team schadet. Doch DiDo selber sagt vor diesem Spiel, in dem Gottéron mit dem vierten Sieg in die Halbfinals einziehen kann: «Wir werden ruhig bleiben und wissen, was zu tun ist. Was auch immer passiert, wir werden unsere Emotionen im Griff haben und hoffentlich gewinnen.» Oder anders gesagt: DiDomenico will auch heute wieder mehr Genie als Wahnsinn sein. Mal schauen, ob das auch gelingt.