Doué, Wirtz, Williams und Co.: Hat der FC Bayern seine Strahlkraft verloren? Zwei Meinungen!
Der FC Bayern ist wieder einmal auf der Suche nach offensiven Verstärkungen. Gefühlt verging in den letzten zwölf Monaten kein Tag, ohne dass die Münchner mit einem europäischen Top-Shot in Verbindung gebracht wurden – und sich prompt eine Absage einhandelten. Ist die Säbener Strasse für die Spieler aus dem obersten europäischen Regal etwa nicht mehr gut genug? Unsere Redakteure Younes Hdk und Patrick Y. Fischer sind sich nicht einig.
Younes Hdk sagt: Ja
Wer die vielen gescheiterten Transferanbahnungen der letzten zwei Jahre einfach abtut, verschliesst die Augen vor einem wachsenden Problem: Die Strahlkraft des FC Bayern scheint zu verblassen. Sobald ein anderer Topklub in den Poker um ein Talent einsteigt, zieht der FC Bayern inzwischen meist den Kürzeren. Letzten Sommer waren es Désiré Doué und Xavi Simons, zuletzt Florian Wirtz, Nico Williams und Bradley Barcola – allesamt Spieler, die sich bewusst gegen den deutschen Rekordmeister entschieden haben. Und diesmal lag es nicht einmal an höheren Gehältern oder besseren Angeboten der Konkurrenz.
Der Klub, der seine Meisterteams einst mit den besten Spielern der Bundesliga (Lewandowski, Götze, Hummels, Neuer, Pavard, Goretzka, Gnabry, Klose etc.) aufgebaut und zugleich internationale Ausnahmetalente wie Ribery, Coman, Thiago Alcantara oder Javi Martínez an Land gezogen hatte, verliert zunehmend seine Anziehungskraft. Natürlich könnte man einwenden, dass die Bundesliga insgesamt an Attraktivität eingebüsst hat – aber auch dieses Argument greift zu kurz: Simons etwa entschied sich bewusst, in der Bundesliga zu bleiben, und Doué wie Barcola zogen die sportlich klar schwächere Ligue 1 dem Wechsel nach München vor.
Wo liegt also das Problem? Spielidee und Perspektiven für junge Spieler sind heute zentrale Entscheidungsfaktoren – und genau hier kommen Zweifel auf. Wer sieht, wie zaghaft ein Jahrhunderttalent wie Mathys Tel eingebunden wird – ein Spieler, der vor seinem Wechsel als eines der grössten Versprechen des französischen Fussballs galt –, fragt sich als junger Profi, ob München wirklich der richtige Ort für die eigene Entwicklung ist. Auch der Spielstil des FC Bayern, einst als offensivfreudig und spektakulär gefeiert, wirkt inzwischen oft schwerfällig und ideenarm. Der Vergleich mit Liverpool, dem FC Barcelona oder PSG ist da wenig schmeichelhaft. Natürlich spielen Prestige und finanzielle Rahmenbedingungen nach wie vor eine grosse Rolle – für jeden Spieler weltweit. Sie genügen allein jedoch nicht mehr, wenn das Gefühl fehlt, sich auf dem Platz wirklich entfalten und Spass am Fussball haben zu können. Genau dieses Versprechen kann der FC Bayern aktuell nicht mit voller Überzeugung geben.
Ein weiterer Punkt darf nicht unterschätzt werden: das Narrativ. Als Spieler sich für PSG entschieden – trotz der sportlich zweitklassigen Ligue 1 – war häufig zu hören: „Ich will Geschichte schreiben und den Klub zur ersten Champions-League-Trophäe führen.“ Diese emotionale Aufladung fehlt beim FC Bayern derzeit. Und obwohl man 2024 das Halbfinale erreichte, entsteht nicht der Eindruck, dass Titel in der Königsklasse noch mit derselben Kompromisslosigkeit eingefordert werden wie einst. In der öffentlichen Kommunikation und im Auftreten der Klubführung ist der absolute Wille, Europas Spitze zu erobern, weniger spürbar. Vielleicht ist genau das es, was heute den Unterschied macht, wenn es darum geht, einen Spieler für sich zu begeistern.
Patrick Y. Fischer sagt: Nein
Quizfrage: Was haben Désiré Doué, Xavi Simons, Florian Wirtz, Nico Williams und Bradley Barcola gemeinsam? Sie alle sind noch keine 23 Jahre jung, repräsentieren die Zukunft des europäischen Spitzenfussballs und haben dem FC Bayern im Verlauf des letzten Jahres bereits einmal eine Absage erteilt. Eine Ohrfeige für den erfolgsgewöhnten Deutschen Rekordmeister? Gewiss, aber weit entfernt von jener Art von Rückschlag, der mich am Status der «Roten» als einer der absoluten Top-Klubs Europas zweifeln lässt.
Denn auch wenn mein Kollege Younes das anders sieht: Der bajuwarische Gigant war noch nie ein Klub, in dem sich die internationalen Stars des Fussballs die Türklinke in die Hand drückten. Maradona, Zidane, Messi, Beckham, Neymar oder Ronaldo? Noch nie im rot-weissen Trikot des sechsfachen Champions-League-Siegers gesehen. Stattdessen waren es die grossen Figuren des deutschen Fussballs der Nachkriegszeit, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Lothar Matthäus, Oliver Kahn, Bastian Schweinsteiger oder zuletzt Thomas Müller, die den Klub und seine Aura prägten.
Und auch in der aktuellen Elf sind der Reiz und der Lockruf des FCB auf deutsches Top-Personal allgegenwärtig. Manuel Neuer ist noch immer da, Joshua Kimmich auch, ebenso Shooting-Star Jamal Musiala, die Nationalspieler Serge Gnabry und Leon Goretzka sowie der frisch aus Leverkusen dazugestossene Jonathan Tah. Und auch der zweite germanische Kicker von Weltklasse – Florian Wirtz – wäre um ein Haar in München gelandet. Dass er es nicht tat, sagt meiner Meinung nach mehr über die Probleme der Bundesliga aus, als über das (angeblich fehlende) Standing der Bayern.
Denn im Gegensatz zum FC Bayern ist es die Bundesliga, die zuletzt an internationaler Anziehungskraft verloren hat. Neben den Münchnern fehlt es der Liga derzeit einfach an Strahlkraft auf höchstem Niveau. Kein Wunder, erliegt ein junger Spieler wie Wirtz da dem Werben eines Klubs aus der Premier League, wo der Lohn top, Spitzenspiele an der Tagesordnung und die sportliche Herausforderung – gerade für einen jungen Spieler aus dem Ausland - gigantisch ist. (Nahezu) all das können die Bayern einem aufstrebenden jungen Spieler derzeit nicht bieten, ohne dabei wirklich viel dafür zu können.
Aufgrund der mangelnden Konkurrenz an der Spitze weiss jeder, der nach München kommen könnte, dass er an der Isar erst einmal viel verlieren kann. Jede Niederlage führt zur Krise, jedes Jahr ohne Double ist ein verlorenes Jahr. Da hilft eigentlich nur das Triple – eine Ausgangslage, die selbst einem tollen Klub wie dem FC Bayern München das Leben auf dem Transfermarkt schwer machen kann. Insbesondere, wenn die Konkurrenz gross und sowohl Mentalität und Kultur ziemlich anders sind, als in Ländern wie Spanien, Italien oder Frankreich. In München ist schon so manch viel versprechende Karriere (Breno, Renato Sanchez, Mario Götze) ins Stottern geraten. Und trotzdem bin ich mir sicher: Eher früher als später werden auch die Bayern wieder einen richtig dicken Fisch an Land ziehen. Auch das haben sie in der Vergangenheit bereits zu Genüge bewiesen.