Ein Schweizer in Dresden: «Meine Spieler dürfen Fehler machen»
Seit Mitte Mai 2024 ist Thomas Stamm (42) Trainer bei Dynamo Dresden. Mittlerweile ist der gebürtige Schaffhauser mit dem ostdeutschen Traditionsverein in die 2. Bundesliga aufgestiegen und versucht den achtmaligen DDR-Meister in der zweithöchsten deutschen Spielklasse zu etablieren. Kurz vor der Länderspielpause hatten wir die Gelegenheit, uns mit dem aktuell einzigen Schweizer Bundesligatrainer neben Gerardo Seoane (Gladbach) zu unterhalten.
Fünf Spiele (inkl. dem Pokalaus gegen Mainz), fünfmal ordentlich gespielt, aber nur ein Sieg: Wie zufrieden sind Sie mit dem Saisonstart?
Thomas Stamm (TS): Inhaltlich hat unsere Leistung bislang gestimmt. Mit Ausnahme der Auftaktpartie gegen Fürth, wo wir insgesamt zu inkonstant agierten, hätten wir gefühlt aber mehr herausholen müssen. Immerhin konnten wir uns in Bielefeld für unseren Aufwand belohnen. Das hat gut getan und geholfen, das Ganze besser einordnen zu können.
Sie sprechen das Spiel in Bielefeld an, dass speziell in der Schlussphase ein Wechselbad der Gefühle mit sich brachte. Wie erleben Sie als Trainer solche Momente, speziell dann, wenn der VAR sich einschaltet?
TS: Im Endeffekt verändert sich die Ausgangslage nur geringfügig. Genauso wie es in der 3. Liga, wo es keinen VAR gibt, den Entscheid des Schiedsrichters zu akzeptieren gilt, gilt das in der 2. Bundesliga für den Entscheid des VAR. Klar, ein (Sieg)Tor in der Schlussphase ist dabei noch einmal ein Stück weit emotionaler, als ein frühes 2:0, für mich als Trainer beinhalten solche Momente aber vor allem auch die Chance, Einfluss auf das Spiel zu nehmen. Ich nutze den Augenblick nach einem Treffer gerne, um auf Spieler zuzugehen, sie auf wahrscheinlich kommende Spielsituationen hinzuweisen. Natürlich freue auch ich mich über ein Tor, gleichzeitig wissen wir im Staff aber um die Wichtigkeit, in diesen Momenten den Fokus zu behalten.
Haben Sie nach einem Monat das Gefühl, schon in der 2. Bundesliga angekommen zu sein?
TS: Ich glaube wir haben bislang gezeigt, dass wir uns in der zweiten Liga nicht zu verstecken brauchen. Das unterstreichen auch zahlreiche Statistiken, wie z.B. die Zahl der Abschlüsse oder die Qualität der Torchancen. Entsprechend sehe ich uns durchaus auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, was natürlich auch damit zu tun hat, dass wir in Dresden schon im vergangenen Jahr regelmässig vor 29‘000 Zuschauer:innen und mehr gespielt haben. Von daher ist die 2. Liga auch unter diesem Aspekt nicht komplett Neuland für uns.
Wodurch unterscheidet sich die 2. Liga denn von der 3. Liga?
TS: Ohne Jemandem zu Nahe treten zu wollen: Der Hauptunterschied liegt für mich in der individuellen Qualität der Spieler. In der 2. Liga ist der einzelne Spieler noch einmal einen Tick besser, sowohl fussballerisch, als auch was die körperliche Intensität anbelangt, was in der Schweiz im Vergleich zwischen Super League, Challenge League und Promotion League ja auch nicht anders ist. Die höhere individuelle Klasse führt zwangsläufig dann auch dazu, dass Teams stabiler und konstanter in ihren Leistungen sind, was wiederum bedeutet, dass es schwieriger wird, zu gewinnen. Eine durchschnittliche Leistung, die in der 3. Liga vielleicht noch genügte, reicht jetzt oft nicht mehr aus, um zu Punkten zu kommen.
Bekannterweise sind Sie zum ersten Mal in der 2. Liga tätig. Wie gross ist da die Versuchung, die Konkurrenz auch einmal mit etwas Neuem überraschen zu wollen?
TS: Ehrlich gesagt, gar nicht gross. Es war noch nie meine Absicht, etwas speziell Überraschendes zu machen, im Gegenteil. Viel wichtiger ist mir, dass wir unserer Spielphilosophie treu bleiben, mutig und aktiv sind und versuchen, ligaunabhängig die spielbestimmende Mannschaft zu sein. Und bislang ist uns das – abgesehen von wenigen Ausnahmen – auch gut gelungen. Am Ende des Tages geht es ohnehin einfach darum, Spiele zu gewinnen. Und schlussendlich ist jeder Trainer davon überzeugt, mit seinen Ideen genau das bewerkstelligen zu können.
Wie würden sie sich als Trainer beschreiben?
TS: Ich würde mich als mutigen Trainer mit einer klaren Spielidee bezeichnen, der bislang auch die Erfahrung gemacht hat, dass diese Philosophie auf allen Stufen erfolgreich sein kann. Das bedingt natürlich, dass ich als Trainer mit gutem Beispiel vorangehe, meinen Spielern Woche für Woche aufzeige, wie und dass gewisse Inhalte funktionieren. Dazu gehört auch meinen Spielern das Gefühl zu geben, Fehler machen zu dürfen, denn oft bietet sich schon kurze Zeit später die Gelegenheit, diese wieder wettmachen zu können. Auch wenn wir danach streben: Es muss und kann nicht immer alles perfekt sein, um schlussendlich ein Ziel zu erreichen. Ein Verständnis, dass ich ganz bewusst versuche meinen Spielern vorzuleben und zu vermitteln.
Was ist für Sie wichtig, damit Sie am Ende des Tages zu sich selbst sagen können: Gut gemacht, Thomas.
TS: Rein auf das Geschehen auf dem Platz bezogen, würde ich schon sagen, dass es für mich mit das Schlimmste wäre, wenn ich spüren würde, dass meine Spieler diese Denke und damit auch ein Stückweit den Glauben an sich selbst verlieren. Wenn wir also plötzlich ängstlich spielen, zweifeln und es an der Überzeugung für unser Spiel fehlt. Allerdings sind das am Ende eines Tages nicht die Dinge, die mich auch abends beschäftigen. Da mache ich mir dann mehr Gedanken über das Zwischenmenschliche, meinen Umgang mit Spielern und Staff. Wie ich mit ihnen kommuniziere, z.B. in Situationen, in denen Spieler eigentlich alles richtig machen, und dann am Wochenende trotzdem auf die Tribüne müssen, weil es halt nun mal nur 20 Plätze im Spieltagskader gibt. Für mich ist dieser Teil der Trainerarbeit von elementarer Bedeutung, um schlussendlich erfolgreich zusammenzuarbeiten.
Erfolgreich waren Sie u.a. in Ihrem ersten Jahr in Dresden, führten den Klub zurück in die 2. Liga. Weshalb haben Sie sich damals für Dynamo entschieden, für einen Klub, bei dem alles andere als der Aufstieg als Scheitern gewertet worden wäre?
TS: In erster Linie hatten wir damals sehr gute Gespräche und es gab viele Überschneidungen, was die künftige Ausrichtung des Klubs, die Arbeit mit jungen Spielern und auch die Ziele anbelangt. Natürlich wusste ich, dass auch Druck aufkommen kann, aber ich war überzeugt vom Kader, von der Philosophie der Verantwortlichen und sah deshalb in erster Linie die Chance, hier gemeinsam etwas bewegen zu können. Schlussendlich hat sich das dann auch Woche für Woche auf dem Platz bestätigt.
In der Schweiz wurden Ihr Name zum Ende Ihrer Zeit in Freiburg auch immer wieder gehandelt, wenn bei einem Superligisten ein Job frei wurde. War eine Rückkehr je eine realistische Option oder warum haben Sie sich für Deutschland und Dresden entschieden?
TS: Grundsätzlich habe ich mich nie von vorneherein bewusst für den einen oder anderen Weg entschieden. Es gab im Verlauf der vergangenen Jahre auch Gespräche mit Klubs aus der Schweiz, schlussendlich hat es aber nie gepasst. Darunter waren gute Gespräche aber auch Situationen, bei denen sich dieses Gefühl, welches ich jetzt in Dresden habe, nicht eingestellt hat. Aber es ist nicht so, dass ich ein Engagement in der Schweiz per se ausschliessen würde. Deutschland verfügt zwar über eine extrem tolle Fussball-Kultur, aber auch die Schweiz hat sich meiner Meinung nach sehr gut entwickelt und weckt natürlich Heimatgefühle.
Von Aussen betrachtet haben Sie ihre Trainer-Karriere akribisch geplant, sich Zeit gelassen und sich Schritt für Schritt nach oben gearbeitet. Stimmt dieser Eindruck?
TS: Nein, ich hatte nie einen Karriereplan im Kopf oder eine genaue Vorstellung davon, wo und wie lange ich an einem bestimmten Ort arbeite. Entscheidend für meinen Weg war immer, dass mein Gefühl stimmt, dass der Bauch mir sagte, «das passt hier.» Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich meine Vertragslaufzeiten bislang stets erfüllt habe, auch wenn es Möglichkeiten gab, vielleicht schon früher eine neue Aufgabe anzunehmen. Aber für mich hätte sich das nicht richtig angefühlt und entsprechend zufrieden bin ich mit dem Verlauf, den meine Trainerkarriere bislang genommen hat. Im Vordergrund steht ohnehin, Woche für eine Woche einen guten Job zu machen.
Apropos: Diesen Sonntag geht es nach Elversberg. Welche Ziele verfolgen Sie in dieser Saison mit Dynamo?
TS: Im Vordergrund steht sicher, möglichst rasch die 40-Punkte-Marke zu erreichen, die normalerweise den Klassenerhalt bedeutet. Das soll mehr nicht ausschliessen, aber ich denke, dass wir gut beraten sind, nicht zu weit nach vorne zu schauen oder in Euphorie zu verfallen. Dazu ist die Liga zu ausgeglichen und es kann sehr schnell auch wieder in die andere Richtung gehen. Von daher sollten wir uns in den nächsten zwei bis drei Jahren erst einmal darauf fokussieren, die 40 Punkte einzuspielen. Wenn uns das jedes Jahr ein wenig früher in der Saison gelingt, haben wir schon Einiges richtig gemacht.
Abschlussfrage: Mal angenommen wir treffen uns in 20-25 Jahren noch einmal – wie möchten Sie als Trainer dann bei ihren Klubs und Spielern in Erinnerung geblieben sein?
TS: Für mich steht da die menschliche Komponente klar im Vordergrund. Ich hoffe, ich werde dann als Mensch und Trainer gesehen, an den man sich gerne zurückerinnert, mit dem man gern zusammengearbeitet hat und mit dem man sich auch nach dem Ende der gemeinsamen Zeit noch austauschen konnte, wenn man denn wollte. Das hat für mich viel mehr Gewicht, als der rein sportliche Erfolg oder der Eindruck, den vielleicht die Öffentlichkeit von mir gewonnen hat. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich es nie allen werde Recht machen können.