Erfolgsforscher Ruedi Zahner: «Die besten Trainer laufen nach der Niederlage zur Höchstform auf»
Seit 30 Jahren beschäftigt sich Ruedi Zahner mit dieser Frage: Weshalb gelingt den weltbesten Trainer:innen der Durchbruch und wie schaffen sie es, über Jahre an der Spitze zu bleiben? Im Gespräch mit Sky Sport gewährt der ehemalige Profi, Trainer und Sportchef Einblicke in seine Arbeit.
Für Trainer:innen ist Ruedi Zahner ein Gewinn. Der ehemalige Profi, Trainer und Sportchef beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Frage: Weshalb gelingt den weltbesten Trainer:innen der Durchbruch und wie schaffen sie es, über Jahre an der Spitze zu bleiben? Mittlerweile stellt der 66-Jährige sein Know-how Trainer:innen im Spitzensport als Leadership-Mentor zur Verfügung. Mit Sky Sport unterhielt sich Zahner über die Grossen seiner Zunft, Erfolgsfaktoren und die Tücken des Trainerberufes.
Sky Sport: Ruedi Zahner, seit über 40 Jahren sind Sie in verschiedenen Funktionen im professionellen Fussball tätig. Welcher Trainer hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt?
Ruedi Zahner (RZ): Als ehemaliger Spieler bin ich etwas voreingenommen, aber: Ottmar Hitzfeld.
Sky Sport: Weshalb?
RZ: Ottmar ist ein Mensch und Leader mit Mut zum Risiko und ganz viel Herz. Er hat schon früh erkannt, dass er – sofern er Erfolg haben möchte – auf ein Team angewiesen sein wird. Es hat mich immer tief beeindruckt, wie sehr er sich um den Spieler als Mensch kümmerte, wie wichtig ihm die Beziehungspflege mit allen Teammitgliedern war. Zudem war er bereit, sofort «all in» zu gehen, seine Ideen mit grösstmöglicher Überzeugung zu vermitteln, auf und neben dem Platz. Sir Alex Ferguson sagte einst: «Wenn du Erfolg haben willst, musst du in den ersten 100 Tagen, alles auf eine Karte setzen, um etwas Nachhaltiges aufzubauen». Darin war Ottmar ein Meister.
Sky Sport: Welche Fähigkeiten müssen Trainer:innen heute unbedingt mitbringen, um im Profi-Fussball erfolgreich sein zu können?
RZ: Die heutigen Trainer:innen müssen enorm flexibel sein. Sie müssen sofort alles können und dabei nicht nur im Erfolgsfall überzeugen, sondern noch viel mehr in der Niederlage. Im Moment des Scheiterns müssen sie zur Höchstform auflaufen, Sicherheit anstatt Selbstzweifel ausstrahlen.
In der Krise zeigt sich auch, wie gut Trainer:innen arbeiten, wie sehr es ihnen gelingt, ihre Teams und Spieler:innen auch dann hinter sich zu scharen, wenn es nicht läuft. Und hier hängt fast alles von der Arbeit im zwischenmenschlichen Bereich ab, von der Stärke der Bindung zwischen Trainer:innen und Spieler:innen.
Erfolgreiche Trainer:innen sind Menschenfänger, sie haben ihre Spieler:innen gern. Und sie verstehen es ausgezeichnet, auf der Klaviatur der Emotionen zu spielen, den richtigen Ton im richtigen Moment zu wählen. Ich nenne das «7-in-1 Leadership» und basiert auf der Fähigkeit, sich wirklich für die eigenen Spieler:innen zu interessieren, sie genau zu kennen und ein sehr feines Gespür für Veränderungen im Team zu haben.
So antizipieren Erfolgstrainer:innen potentielle Gefahren, welche die weitere Zusammenarbeit gefährden könnten. Sie lassen quasi «nichts anbrennen».
Sky Sport: Ein Trainer, der in den letzten Jahren und Stationen eigentlich immer Erfolg hatte, ist Urs Fischer. Und doch klappte plötzlich nichts mehr. Wie ist so etwas zu erklären?
RZ: Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass es nicht mehr funktioniert. Urs hat in Berlin über mehrere Jahre ausgezeichnete Arbeit abgeliefert, viele Erfolge gefeiert. Auch zuletzt hat er unter höchstmöglichem Druck viel Positivität ausgestrahlt, blieb unglaublich ruhig und hat versucht, seiner Mannschaft den Glauben zurückzugeben. Trotzdem kann irgendwann der Punkt kommen, an dem man nichts mehr machen kann, an dem man alles gegeben hat. Aber ich bin sicher, dass Urs auch aus dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse ziehen wird.
«Feuerwehrmänner stecken vom ersten Augenblick an im Überlebensmodus. So ist es schwierig, den Glauben an mehr als nur die kurzfristige Rettung zu vermitteln»
Sky Sport: Gibt es so etwas wie einen idealen Zeitpunkt und eine ideale Massnahme, um als Trainer:in eine Wende herbeiführen zu können?
RZ: Der ideale Zeitpunkt, um zu reagieren, ist immer das Spiel nach der Niederlage. Das hört sich banal an, ist aber entscheidend. Es ist erwiesen, dass eine Mannschaft nach einer Niederlage rund 80% ihres Selbstvertrauens verliert, Trainer:innen sind also enorm gefordert. Der grösste Fehler ist, genau gleich weiterzumachen. Und hier ist Mut gefragt, um sich als Mensch und Trainer neu zu erfinden.
Sky Sport: Entlässt ein Klub in Not seinen Trainer, wird nicht selten ein Nachfolger vom Typ «Feuerwehrmann» verpflichtet. Braucht ein solcher Trainertyp eine bestimmte Fähigkeit ganz besonders?
RZ: Eigentlich nicht. Alleine die Tatsache, dass eine neue Führungspersönlichkeit vor einem kriselnden Team steht, reicht aus, um etwas Positives auszulösen. Die Ansprache ist anders, die Energie ist frisch, dass kann einer Mannschaft kurzfristig jenen Glauben zurückgeben, den sie zuvor verloren hat.
Sky Sport: In der Super League hat zuletzt Fabio Celestini einen komplett verunsicherten FC Basel übernommen und musste sofort liefern. Was hätten Sie ihm geraten?
RZ: Auch bei ihm ging es darum, den Glauben an sich selbst wieder im Team zu verankern, die Freude am Spiel und Beruf zurückzubringen. Dass bedingt, dass man auf die Spieler zugeht, ihre Bedürfnisse aufnimmt und sie so für die gemeinsame Sache gewinnt.
Sky Sport: Trotzdem ist das Label «Feuerwehrmann» für gewöhnlich kein Gütesiegel. Warum schaffen es solche Trainer:innen in der Regel nicht, sich und ihre Mannschaften über einen längeren Zeitraum positiv zu entwickeln?
RZ: «Feuerwehrmänner» stecken vom ersten Augenblick an im Überlebensmodus. Es geht direkt und ausschliesslich darum, den Brand zu löschen, man steht sofort unter brutalem Druck. Unter diesen Voraussetzungen ist es enorm schwierig, etwas aufzubauen und den Glauben an mehr als nur die kurzfristige Rettung zu vermitteln. Die gemeinsame Vision für die Zukunft und damit auch der Glaube daran fehlt, das macht längerfristigen Erfolg unmöglich.
Sky Sport: In der letzten Woche stand auch unsere Nationalmannschaft wieder im Einsatz. Die Qualifikation für die EM wurde zwar geschafft, trotzdem waren die Leistungen zuletzt unbefriedigend. Entsprechend konstant ist mittlerweile auch die Kritik am Trainer. Wie sehen Sie die Situation von Murat Yakin?
RZ: Das Trainerbusiness ist in dieser Hinsicht absolut gnadenlos. Wer angeschlagen ist und öffentlich in Frage gestellt wird, hat es doppelt schwer, weiterhin mit der notwendigen Überzeugung gegen innen und aussen aufzutreten. Zumal Trainer:innen oftmals gänzlich alleine gelassen werden.
Sky Sport: Sowohl an der WM als auch im Verlauf der EM-Qualifikation kam es im Umfeld der Nationalmannschaft immer wieder zu kommunikativen Dissonanzen zwischen Spielern und Trainer. Wie sollte ein Trainer damit umgehen?
RZ: Als Trainer:in muss ich solche Situationen verhindern, bevor sie im öffentlichen Raum ausgetragen werden. Deshalb ist es so wichtig, dass Trainer:innen von Anfang in die Beziehung zu ihren Spieler:innen investieren, dass sie «Menschenfänger» sind. Es gilt wach zu sein, sowohl Augen als auch Ohren offen zu halten und sofort einzugreifen, wenn sich ein Problem anbahnt. Dissonanzen können immer auftreten, aber wenn diese im persönlichen Gespräch ausgetragen und gelöst werden, schweisst das intern extrem zusammen.
Sky Sport: Was ist für Trainer:innen im Umgang mit starken Persönlichkeiten elementar – einerseits im direkten Umgang mit dem Spieler, andererseits auch im Hinblick auf den Rest des Teams?
RZ: Eine starke, vertrauensvolle Beziehung ist von entscheidender Bedeutung – zu den Führungsspieler:innen und Stars noch mehr, als zum Rest des Teams. Es gilt als Trainer:in in eine Beziehung zu investieren, in der ich mit Spielern wie z.B. Granit Xhaka auf Augenhöhe agiere und sie mit in die Verantwortung nehme – weil diese das wollen und auch können. Dann können starke Persönlichkeiten eine Mannschaft sehr positiv beeinflussen.
Sky Sport: Ob jetzt Fischer, Yakin oder kürzlich Heiko Vogel: Trainer stehen immer im Fokus und sehr rasch auch in der Kritik. Nicht immer ist diese fair. Wie können Trainer lernen, damit umzugehen?
RZ: Wichtig ist, sich selbst ein guter Freund zu sein, eine Situation richtig einordnen zu können und auch unter Druck die eigene Souveränität nicht einzubüssen. Auch das konnte Ottmar Hitzfeld. Er schaffte es, den Fokus auf dem Wesentlichen zu behalten und im Umgang mit den Journalisten proaktiv in die Beziehungspflege zu investieren. Er respektierte sie und ihre Arbeit – und wurde im Gegenzug respektvoll behandelt.
Sky Sport: Vor wenigen Wochen wehrte sich Thomas Tuchel öffentlich gegen die Kritik an ihm und suchte dabei die direkte Konfrontation vor einem Millionenpublikum. Hätten Sie ihm dazu geraten?
RZ: Aus der Sicht eines Trainers kann ich Tuchels Reaktion verstehen. Selbst nach einem 4:0-Auswärtssieg gegen den grössten Rivalen spricht die erste Frage das jüngste Misserfolgserlebnis seiner Mannschaft an. Trotzdem würde ich einem Trainer nicht dazu raten. Im Gegenteil: Anstatt zu reagieren sind Coolness und Souveränität gefragt, sonst giesse ich weiter Öl ins Feuer. Tuchel hat in diesem Moment seine Souveränität verloren.
Sky Sport: Wenn Ruedi Zahner heute noch Trainer wäre, würde er…
RZ: …sofort zurücktreten, sein Leben ganz den Trainerinnen und Trainern widmen und sich mit aller Vehemenz dafür einsetzen, dass sich ausnahmslos alle (inkl. der Trainer:innen selber) der Bedeutung bewusst sind: Trainer:innen sind das Herzstück des Sports - die wichtigsten Personen im ganzen Verein.