Gute Perspektiven für Mama Bencic
Dreimal stand Belinda Bencic in ihrer Karriere schon in einem Grand Slam-Viertelfinal, einmal erreichte sie den Halbfinal. Schafft die Ostschweizerin heute bei ihrem zweiten Major-Turnier als Mutter erstmals in Wimbledon den Einzug in die Viertelfinals?
Die Chance ist realistisch, dass Belinda Bencic (WTA 35) auf dem Heiligen Rasen Geschichte schreiben und den nächsten Schritt in Richtung Spitze gehen wird. Mit der Russin Ekaterina Alexandrova (WTA 17) bekommt sie keine Gigantin serviert, zudem sprechen andere Faktoren dafür, dass Bencic weiterhin auf der Erfolgswelle bleibt.
Vor zwei Wochen traf Bencic in Bad Homburg auf Alexandrova – und musste klar geschlagen vom Platz. 1:6, 2:6 lautete das eindeutige Verdikt, die Schweizerin war chancenlos. Theoretisch ist die Favoritenrolle also klar verteilt. Doch man darf nicht vergessen: Es war der erste Match von Bencic nach ihrer Armverletzung und der damit verbundenen längeren Zwangspause. Seither ist Bencic wieder in Schwung gekommen – und Wimbledon ist ja eh ihr Lieblingsturnier und ein magischer Ort, auch wenn die US Open mit einem Halbfinal und zwei Viertelfinals für sie statistisch das beste Pflaster sind. In den Direktbegegnungen mit Alexandrova, ihrer bislang bestklassierten Gegnerin in Wimbledon 2025, steht es 4:4.
Physisch wieder bereit
Bencic weist betreffend Wettkampfpraxis zwar noch einige Defizite auf, doch ein Hinderungsgrund soll das nicht sein. Nach ihrem erkämpften Dreisatzsieg am Samstag gegen die Italienerin Elisabetta Cocciaretto sprach sie davon, noch nicht auf ihrem besten Niveau zu sein, «doch mittlerweile fühle ich mich physisch wieder fit, und ich glaube nicht, dass ich auf dem bisherigen Weg durchs Turnier viel Energie liegengelassen habe». Gleichzeitig wird sie auch wissen, dass das Duell gegen Alexandrova eine Chance ist für sie, nachdem sie in Wimbledon in anderen Jahren an Grössen wie Viktoria Asarenka, Angelique Kerber oder 2023 trotz zwei Matchbällen an der damaligen Weltranglistenersten Iga Swiatek gescheitert war.
Am Ende ist ein enges Duell zu erwarten. So sagte auch Alexandrova im Vorfeld: «Es ist immer superschwierig gegen Bencic. Auch das letzte Duell war es, wenngleich das Resultat etwas anderes aussagt.» Bencic spiele sehr aggressives Tennis. Entscheidend sei, wie man sich darauf einstellen könne. Der Respekt ist also vorhanden, und er beruht auf Gegenseitigkeit. Denn Bencic sagt über ihre Gegnerin: «Sie hat sehr kraftvolle, saubere Schläge und serviert gut. Je nach Tag kann sie super spielen.»
Die Lockerheit als Ass
Ein Trumpf von Belinda Bencic könnte der mentale Bereich sein. Seit sie als Mutter auf die WTA-Tour zurückgekehrt ist, macht sie einen lockeren Eindruck. In ihr scheint mit der neuen Aufgabe die Gewissheit gekommen zu sein, dass Tennis zwar wichtig, aber nicht alles ist. Das Leben neben dem Court sorgte für neue Werte und liess die Ostschweizerin reifer werden, lockerer und gelassener. Aktuell scheinen die Zeiten, in denen sie auf dem Platz mit sich selber und dem Rest der Welt haderte, die Contenance und ihre Stärken verlor, weit weg zu sein. Diese neue Lockerheit – sie ist ein Ass in ihrem Ärmel.
Wie weit die «neue» Belinda Bencic damit kommt, wird sich weisen. Im Viertelfinal würde mit Mirra Andreeva (WTA 7) eine nächste Russin oder dann die Amerikanerin Emma Navarro (WTA 10) warten – auch sie sind beide keine unüberwindbaren Hürden. Und auf Weltnummer 1 Aryna Sabalenka könnte die Schweizerin erst im Final treffen. Es sind gute Perspektiven und Gedankenspielereien, an denen sie sich selber aber nicht beteiligen will, wie sie sagt: «Ich mache es wie immer. Ein Schritt nach dem anderen. Mehr möchte ich nicht wissen.»
Klar ist aber, dass sich Belinda Bencic 14 Monate nach der Geburt von Tochter Bella und neun Monate nach ihrem Comeback als Mami immer mehr ihrer Topform ihrer «ersten» Karriere annähert und für einen Coup bereit ist. Jetzt in Wimbledon oder dann an den US Open. Denn schon jetzt steht fest, dass die Schweizerin dank ihren starken Leistungen in England in die Top 30 der Welt zurückkehren und in New York beim letzten Grand Slam-Turnier des Jahres gesetzt sein wird.