Kahn äussert sich zudem über die Zeit nach seinem Bayern-Abschied und betont, was ihn beim Sieg der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen Frankreich besonders beeindruckt hat. Sky Sport fasst die wichtigsten Aussagen des Titans zusammen.
Torhüter-Legende Oliver Kahn ...
… was er in den vergangenen zweieinhalb Jahren gemacht hat: "Ich habe mich nach der Bayern-Zeit erst einmal geschüttelt und habe zunächst einen gewissen Abstand gebraucht. Trotzdem habe ich mich immer sehr, sehr intensiv mit dem Fussball auseinandergesetzt - aus einer anderen Perspektive. Das Thema Club Ownership, das heisst Beteiligungen an Fussball-Klubs, ist etwas, was für mich super, super spannend war und nach wie vor auch ist. Es ist eine grosse Perspektive und auch das hat dazu geführt, sich noch viel intensiver mit Fussball, Fussball-Klubs ganzheitlich auseinanderzusetzen. So richtig weg war ich also nicht wirklich."
+++ Oliver Kahn wird fester Gast bei "Triple - der Hagedorn Fussballtalk" auf Sky Sport News +++
… wie lange das "Schütteln" gedauert hat: "Na ja, ich habe jetzt in meinem Leben schon einiges erlebt, schon auch während meiner Zeit als Sportler. Und ja, da lernt man auch mit Rückschlägen und mit solchen schwierigen Situationen umzugehen. Ein paar Monate braucht das schon. Trotzdem glaube ich, ist es dann auch immer sehr, sehr wichtig, sich auch gleich wieder Optionen zu schaffen. Und da ich ein sehr neugieriger und immer sehr interessierter Mensch bin, ist das für mich nicht so besonders schwierig."
… wo er die Entwicklung der Bundesliga sieht: "Es gibt schon so ein paar nicht so positive Signale, auch jetzt wenn wir über Florian Wirtz nachdenken, der jetzt nicht zum FC Bayern, sondern nach England geht. (Zwischenfrage: Hat dich das überrascht?) Im ersten Moment hat es mich schon ein bisschen nachdenklich gemacht, aber wir kennen das aus der Vergangenheit. Zu meiner Zeit war es Italien, sehr viele Spieler sind dorthin gegangen, allerdings schon in einem gesetzteren Alter und nicht als so junger Spieler. Das heisst, da stellen sich natürlich auch grundsätzliche Fragen. Ist die Bundesliga noch attraktiv genug für solche Spieler? Ich meine, Bayern ist jetzt in den letzten 13 Jahren zwölfmal Meister geworden. Ich glaube, da muss man sich auch viele Gedanken machen, dass das einfach wieder anders wird. Zu meiner Zeit, kann ich mich noch erinnern, da gab es viele, viel mehr Deutsche Meister. Da war dann Stuttgart mal Meister, Bremen mal Meister, Dortmund Meister, Wolfsburg war Meister. Das heisst, das macht ja den Meisterkampf und damit übrigens auch die Attraktivität im Ausland für eine Liga sehr, sehr spannend. Trotzdem ist die Bundesliga in Deutschland eine gigantische Institution. Das sehen wir am Zuschauerschnitt. Wir sehen es an der Attraktivität der Spiele: Es fallen immer viele Tore, die meisten Trainer lassen offensiven Fussball spielen. Schaust du dir allerdings - auch sehr interessant - die letzten zehn Jahre an, und addierst mal die internationalen Titel, die gewonnen worden sind mit Conference League, Europa League, Champions League. Da zählt man bei Spanien, 18, 19 Titel - die genaue Anzahl habe ich jetzt nicht im Kopf - dann kommt England mit 13 Titeln und dann kommen wir: Deutschland mit drei Titeln und das ist halt schon sehr dürftig. Also muss man sich die Frage stellen: Ist der Fussball, den wir in der Bundesliga sehen, ist das eine trügerische Attraktivität im Verhältnis zu den anderen? Also es gibt viele Fragestellungen rund um den Fussball in Deutschland wirtschaftlich, sportlich, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen."
… warum Liverpool für Florian Wirtz attraktiver ist als der FC Bayern: "Ich weiss gar nicht, ob man das so auf dieses Klubthema herunterbrechen sollte. Ich glaube zuerst brichst du das mal auf das Liga-Thema runter. Ich weiss nicht, ob das ein Problem des FC Bayern ist oder ob es nicht ein Problem der Bundesliga an sich ist. Weil wenn ich Spieler bin, ist die Premier League die attraktivste Liga. Sportlich, wirtschaftlich und medial auch. Sie hat ganz andere Vermarktungsmöglichkeiten, auch global gesehen. Das ist schon mal das Erste, was ich mir als Spieler überlegen würde. Ja und wenn du dir überlegst, okay, gehe ich jetzt zum FC Bayern und werde ich jetzt da dann zum 15., 16., 17. Mal Deutscher Meister, ist das für mich wirklich so reizvoll? Natürlich, die Champions League zu gewinnen, ist immer super reizvoll. Das sind viele Gedankengänge, die so ein junger Spieler hat. Dann kommt natürlich irgendwann auch die Mannschaft. Da machst du dir Gedanken zu welcher Mannschaft, zu welchem System, zu welchen Trainer passe ich besser. Ich habe mir früher nicht so viele Gedanken gemacht. Für mich gab es nur einen Klub damals. Das war Bayern München. Aber da siehst du, wie die Zeit sich verändert. Ich habe es ja selber erlebt, während ich in der Verantwortung war, immer auch mit den Spielern, wie viele Gedanken die sich machen über irgendeinen Karriereschritt. Das hat fast nichts mehr mit Bauchgefühl zu tun. Da werden wahnsinnig viele Dinge analysiert und dann wird eine Entscheidung getroffen. Die letztliche Entscheidung ist immer noch ein bisschen Bauchgefühl. Aber was da alles an Überlegungen einhergeht, das ist schon erstaunlich."
… warum es den Bayern nicht mehr möglich ist, diese Spieler zu bekommen: "Ich habe gerade gesagt, die Spieler schauen sich natürlich immer die Liga an, was ist möglich. Der FC Bayern ist jetzt zwölfmal in 13 Jahren Deutscher Meister geworden. Ist es wirklich noch eine Motivation, jetzt zum 13. oder 14. Mal Deutscher Meister zu werden? Aber es sind natürlich viele Dinge, auch wenn man jetzt mal über Fluktuation redet. Viele Trainer sind gekommen und gegangen. Damit haben sich die Philosophien, die Ideen immer wieder auch verändert. Der Kader. Es fühlt sich immer wie so ein ständiger Kaderumbruch an. (Zwischenfrage: Ist das einfach zu viel?) Ja, all das erzeugt natürlich eine Art von Unruhe. Und da bin ich auch selbstkritisch genug, nicht dass man mich da falsch versteht, auch während meiner Zeit genau dieses Thema Kontinuität in allen Bereichen, auch das hätte ich auch gerne besser hinbekommen. Aber das ist etwas, wo viele Spieler dann sagen, auch Trainer übrigens, das muss ich mir schon ganz genau überlegen."
... was es mit einem Spieler macht, wenn er merkt, dass ein Verein es nicht schafft, einen Trainer zu holen, der die Spieler trainieren möchte: "Ja, du registrierst das natürlich schon und wenn ich von Kontinuität spreche in allen Bereichen, dann ist natürlich gerade die Trainerposition eine sehr wichtige Position und auch in Gesprächen mit Spielern merkt man das doch. Da ist immer die Frage, wer ist denn oder wer wird denn der Trainer sein? Und Kontinuität bedeutet ja auch: die erfolgreichste Zeit in einem Verein entsteht eben dann, wenn auch der Trainer eine gewisse Zeit arbeiten kann - heute ist es wahrscheinlich ein bisschen kürzer. Aber die besten Zeiten waren eben auch, jetzt zu meiner Zeit mit Ottmar Hitzfeld, der über viele Jahre hinweg eben das System, die Idee prägen konnte und einen bestimmten Stil hatte. Da war eine gewisse Verlässlichkeit da. Und deswegen sind diese Elemente ebenso wichtig.
… wie oft er Fussball konsumiert: "Also ich muss ehrlich sagen, ich habe mich bis auf vielleicht die ersten paar Monate direkt nach dem FC Bayern so viel mit Fussball auseinandergesetzt wie noch nie, natürlich auch auf einer ganz anderen Ebene. Nicht immer nur auf der Ebene Top-Klubs oder Erstligaklubs, sondern auch auf der Ebene Zweit- und Drittligaklubs. Ich bin ein Mensch, der sehr viel Freude, sehr viel Spass daran hat, auch Dinge zu entwickeln. Und wenn man sich mit Fussball-Ownership beschäftigt und der Entwicklung von Fussball-Klubs, dann schaut man sich auch mal in anderen Ligen um und analysiert viele Dinge, verschiedene Klubs und fragt sich, wie könnte man Klub X, Klub Y wieder nach oben bringen, vielleicht von der dritten in die zweite, in die erste Liga. Das bedeutet ja eine ganz tiefe Auseinandersetzung mit Fussball und wir haben uns ja über ein halbes oder dreiviertel Jahr auch das Thema Girondins de Bordeaux sehr intensiv angeschaut und uns sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Deswegen ist das für mich eine Zeit mit super Einblicken, super Learnings, Fussball jetzt auch nicht immer nur aus dieser Top-Top-Klub-Perspektive zu sehen, sondern eben auch aus einer anderen Perspektive. Welche Probleme jetzt so ein Drittliga-Klub in Frankreich hat oder ein Zweitliga-Klub in Spanien. Das ist einfach spannend, das ist interessant und da bekommt man wirklich ein sehr, sehr ganzheitliches Bild über Fussball."
… was ihn beim Weiterkommen der DFB-Elf gegen Frankreich beeindruckt hat: "Was mich wirklich beeindruckt hat, war ja nicht nur, wie das Elfmeterschiessen gelaufen ist, sondern mit welcher Mentalität, mit welchem Willen, mit welcher Leidenschaft, mit welcher Intensität die deutschen Frauen dieses Spiel angegangen sind. Nach 14 Minuten gleich eine Rote Karte, da machst du dir schon viele Gedanken. Aber das durchzuziehen, über die Verlängerung hinweg - noch immer eine Frau weniger auf dem Platz zu sein … Und im Elfmeterschiessen hast du dann einfach gemerkt, da waren sie perfekt vorbereitet: Du hast das bei den Schützen gesehen (…). Wobei ich echt gut fand, dass die Torhüterin ja gesagt hat - auf ihrer Flasche standen ja alle Schützen drauf - 'da habe ich gar nicht draufgeguckt, ich verlasse mich auf meine Intuition'. Das habe ich auch immer so gemacht. Ich habe immer gesagt: 'Weiss ich nicht, ob ich das unbedingt wissen will. Lass mich das fühlen'. Es war einfach begeisternd. Und als das Spiel fertig war, habe ich schon noch eine Zeit gebraucht, weil das echt ein Erlebnis war - auch mit dem Publikum, unheimlich positiv alles, wie so ein grosses positives Fest hat das alles gewirkt."
… wann er das das letzte Mal bei den Männern gesehen hat: "Ich glaube wir sollten fair bleiben. Müssen wir das alles unbedingt miteinander vergleichen? Ich glaube, so richtig Sinn macht das nicht. Für mich war nur wirklich interessant, mit welcher Begeisterung ich mir das angeschaut habe und welche positiven Gefühle mir das alles gegeben hat, diese 120 Minuten plus Elfmeterschiessen. Aber das jetzt mit dem Männer-Fussball zu vergleichen, das führt glaube ich zu nichts."
... über die Parade von Ann-Katrin Berger: "Für mich war das bis jetzt die Parade des Turniers. Der ist technisch, koordinativ schwer zu halten, weil du rückwärts läufst. Du musst die Flugbahn des Balles einschätzen, läufst rückwärts, musst dann noch rückwärts abspringen, was auch nicht einfach ist und den Ball noch vor der Linie bekommen. Das war Weltklasse. Wer Torhüter ist, weiss, wie schwer dieser Ball vom Gesamtablauf, vom Gesamttiming her noch zu halten ist."