Kane oder Lewandowski: Zwei Meinungen zum besten Bayern-Stürmer der letzten Dekade
In dieser Woche durfte der FC Bayern ein wenig stolz sein, als Harry Kane im Rahmen des Ballon d’Or als bester Bundesligaspieler bestätigt wurde. Für viele, inklusive unseren Redaktor Andy Maschek, ist er zurzeit der beste Mittelstürmer der Welt. Für andere – wie unseren Patrick Y. Fischer – nicht einmal der beste Bayern-Angreifer der letzten Dekade. Zwei Meinungen.
Andy Maschek sagt: Harry Kane
Selbstverständlich, wenn nur das Palmarès entscheidet, hat Robert Lewandowski im Duell mit Harry Kane die Nase vorne. Der Pole gewann mit Dortmund, den Bayern und nun auch mit Barcelona schon fast Lastwagenladungen an Titel, während Kane sich bis zur letzten Saison gedulden musste, ehe er seinen ersten Pokal mit einem Team entgegennehmen und in die Höhe stemmen durfte. Die Meisterschaft mit den Bayern war eine Erlösung und ein erstes richtiges Highlight in der Beziehung zwischen dem Klub und dem Stürmer, der in 103 Wettbewerbsspielen für den Rekordmeister 98 Tore erzielt hat. Er bewegt sich mit 0,95 Toren pro Spiel in ähnlichen Sphären wie Lewandowski, der für die Münchner in 375 Spielen 344 Mal einnetzte (0,91 Tore pro Spiel).
So weit, so gut. Doch vor allem wenn man Kane nicht nur auf seine Tore oder Erfolge reduziert, steht er für mich noch über Lewandowski. Er glänzt mit einer grandiosen Einstellung, ist extrem mannschaftsdienlich. «Wahnsinn, was er arbeitet. Wie viel er nach hinten arbeitet, wie sehr er mit seinem Mann mitläuft, obwohl er Stürmer ist. Auf dem Platz ist er manchmal auch der Linksverteidiger», schwärmte sein Teamkollege Jonathan Tah unlängst.
Der Engländer wartet nicht einfach vorne, bis er zu seiner Chance kommt, er lässt sich regelmässig ins Mittelfeld fallen, holt sich so selber die Bälle, geht ins Duell Mann gegen Mann, zieht so Gegenspieler an sich, bindet aber auch seine Teamkollegen ein und ermöglicht ihnen so Chancen in der Manier eines klassischen Regisseurs. Wenn er den Ball verliert, verwirft er nicht die Hände und wartet bis jemand seinen Fehler ausbügelt – er hetzt dem Gegner hinterher, wenn nötig bis weit in die eigene Hälfte. Vor dem gegnerischen Tor ist er kaltblütig, nützt seine Chancen und ist ein äusserst sicherer Penaltyschütze, der auch in heissen Augenblicken cool bleibt.
Und er ist eine Persönlichkeit, auf dem Feld und in der Garderobe. Er geht voran, übernimmt Verantwortung, kämpft, auch wenn es mal nicht läuft, treibt seine Kollegen an. Eine lustlose Körperhaltung? Ist bemerkenswert selten. Er hat das Mindset, sich jeden Tag zu verbessern und zu perfektionieren. Ist taktisch vielseitig und bewegt sich nicht nur in taktischen Schablonen erfolgreich. Und er spielt konstant auf hohem Niveau. Gleichzeitig hat er enorme Leaderqualitäten, wie Bayern-Sportvorstand Max Eberl sagt: «Harry ist eine Persönlichkeit auf dem Platz. Er will den Ball, unterstützt die Jungs, fightet. Das ist ein wahrer Leader. Er spricht auf dem Platz mit seinen Aktionen, aber auch mit seiner Stimme. Es ist nicht so, dass er viel spricht, aber wenn hat das Hand und Fuss. Da können sich einige immer daran aufrichten.»
100 Millionen Euro bezahlten die Bayern für den Engländer. Eine gigantische Summe. Doch die Gegenwart zeigt, dass es bestens investiertes Geld ist. Denn Kane hat in München nicht nur die grosse Lücke gefüllt, die Robert Lewandowski durch seinen Wechsel nach Barcelona hinterlassen hat. Er hat den Polen längst vergessen gemacht. Und ist momentan der beste Mittelstürmer der Welt.
Patrick Y. Fischer sagt: Robert Lewandowski
Zugegeben: Harry Kane macht seine Sache beim FC Bayern München ziemlich gut. Auf den ersten Blick erinnert der technisch und taktisch versierte Engländer mit kühlem Kopf und dem notwendigen Killerinstinkt vor dem Tor sogar ziemlich stark an seinen Vorgänger aus Polen, den er schliesslich zur Saison 2023/24 (und wohl nicht ganz zufällig) beerben durfte. Was also unterscheidet zwei der besten Stürmer dieses Fussball-Jahrtausends voneinander? In erster Linie harte Fakten, in der Form von Toren und Titeln, und somit genau das, woran Weltklasse-Angreifer ultimativ gemessen werden.
Nehmen wir z.B. die Bayern-Engagements der beiden etwas genauer unter die Lupe. Auch wenn zuweilen kaum vorstellbar – es ist in der Tat möglich, noch regelmässiger zu treffen, als dies Kane in seinen bislang knapp 26 Monaten in München getan hat. Und Robert Lewandowski ist dies gelungen. Der Pole traf in 375 Spielen für den deutschen Rekordmeister 344 Mal, legte 73 Mal auf und trug somit pro Spiel sagenhafte 1,21 Skorerpunkte (Kane 1,17/Spiel) zu den Erfolgen der Münchner bei. Und diese waren während seiner sieben bayerischen Jahre äusserst zahlreich: Einen CL-Triumph (2019/2020), acht Meistertitel und drei Pokalsiege durfte der 1,85 Meter grosse Mittelstürmer mit «den Roten» feiern. Eine Bilanz, mit der Harry Kane einfach nicht mithalten kann.
Böse Zungen würden sogar behaupten, dass Kane vor zwei Jahren vor allem deshalb zum Bundesliga-Krösus wechselte, um endlich den ersten Titel seiner Karriere zu gewinnen. Dem mag so sein oder nicht, sicher ist jedoch, dass Robert Lewandowski vor mittlerweile elf Jahren aus gänzlich anderen Motiven nach München wechselte. Gemeinsam mit seinen Teamkollegen von Borussia Dortmund war er es nämlich gewesen, der den Bayern mit seinen Toren gleich zweimal hintereinander in die Meistersuppe gespuckt hatte. Das konnte und wollte der FCB nicht auf sich sitzen lassen und schnappte dem härtesten Konkurrenten den grössten Fisch quasi frisch von der Meisterschale.
In München folgte dann die nahtlose Fortsetzung von Lewandowskis Erfolgsgeschichte, welche seit seinem Wechsel zu Barca vor drei Jahren nun in Spanien um weitere Kapitel erweitert wurde. Doch der Pole braucht den Vergleich mit Kane nicht nur aufgrund seiner beeindruckenden Statistiken nicht zu fürchten. Seine überragende Physis erlaubt dem 37-Jährigen auch im fortgeschrittenen Alter noch für einen der besten Klubs der Welt auf dem Rasen zu stehen und voraussichtlich abermals über 30 Tore zu erzielen. Qualitäten, wie sie Kane fast, aber eben nur beinahe, verkörpert.