«Man soll sich keine Limiten setzen»
Mittelfeldspieler Leonardo Bertone (31) ist massgeblich daran beteiligt, dass der Aufsteiger FC Thun in der Super League mit zwei Siegen einen Traumstart hingelegt hat. Im Interview spricht der langjährige YB- und heutige Führungsspieler der Berner Oberländer über die Gründe und die Ziele.
Nach fünf Jahren zurück in der Super League. Was ist das für ein Gefühl?
Leonardo Bertone: Ein wunderschönes, es ist wie ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. In diesen fünf Jahren habe ich viel erlebt, und es war immer das Ziel, mal wieder in der Super League zu sein. Jetzt haben wir das geschafft, es ist sehr beflügelnd und schön.
2020 seid ihr in der Barrage gegen Vaduz aus der Super League abgestiegen. Ist das nun endgültig vorbei und vergessen?
Definitiv, wir haben auch versucht, das irgendwann abzuhaken und vorwärts zu schauen. Wir haben einen neuen Weg eingeschlagen und gehen diesen weiter. Zurückschauen müssen wir da nicht mehr.
Sie waren dann zwei Jahre in Belgien und sind im Juli 2022 zurückgekehrt. Gekommen, um zu bleiben?
Sicher! Mein Ziel war es, mit Thun aufzusteigen und dann gemeinsam in der Super League etwas zu erleben. Das ist aufgegangen und deshalb geniesse ich nun den Moment.
Letzte Saison ist die Rückkehr in die Super League endlich gelungen, dort habt ihr die ersten zwei Spiele gegen Lugano und Lausanne gewonnen – der perfekte Start…
Das ist so. In der Vergangenheit haben die Barragespiele viel Kraft und Emotionen gekostet. Da dachten wir schon: Weshalb nur reicht das nicht? Jetzt ist es endlich soweit gekommen. Wir waren überzeugt, einen super Weg eingeschlagen zu haben und probierten, diesen konsequent umzusetzen. Wichtig ist die tägliche, harte und konzentrierte Arbeit. Das ziehen wir nun auch in der Super League weiter, keine Frage. Und deshalb haben wir auch diese Resultate erzielt. Es überrascht mich nicht, dass wir so eingeschlagen haben. Ich weiss, was wir können, wie wir trainieren und wohin wir wollen. Es macht Spass und ist cool!
Auch Ihnen läuft es wie geschmiert: Beim 2:1-Sieg gegen Lugano haben Sie beide Tore erzielt. Was war das für ein Gefühl?
Es war irgendwie surreal. Ich bin eigentlich nicht der Torschütze vom Dienst. Dann passieren diese zwei Treffer, es ist ein cooler Match, der erste zurück in der Super League, ich kann so dem Team helfen – ja, es war ein perfekter Tag!
Sie haben vor der Saison gesagt: Nach oben soll man sich keine Limiten setzen.
Das ist allgemein mein Lebensmotto. Ich bin nicht der Typ, der sich viele Ziele setzt und sage stattdessen, dass gegen oben alles möglich ist. Man muss einfach daran glauben und hart arbeiten, dann kommt alles in die richtige Richtung.
Sie haben auch angekündigt, dass sich Thun vor niemandem verstecken werde, das ist ganz offensichtlich so…
Das zeichnet Thun auch aus! Wir sind demütig, wissen, was wir können und über welche Qualitäten wir verfügen. Daran und an unseren Tugenden halten wir auch fest, an der harten Arbeit. Ich habe in den letzten Jahren im Fussball viel erlebt und gesehen, dass die Unterschiede zwischen all diesen Ligen nicht riesig sind und dass man mit harter Arbeit sehr viel erreichen kann. Deshalb ist mir auch klar: Man soll sich keine Limiten setzen.
Sie wissen, was es heisst, auf der grossen Bühne zu sein, waren Meister mit YB, haben in der Champions League gespielt. Wie ist es, zurück auf der grossen Bühne zu sein?
Der Kreis schliesst sich irgendwie. Ich habe dazwischen viel erlebt, viele Emotionen mitgenommen. Das versuche ich nun auch zu teilen und während des Spiels, der Trainings und auch neben dem Platz meine Erfahrung einzubringen.
Geniessen Sie das Rampenlicht, das zweifelsohne stärker ist als in der Challenge League?
Als Fussballer wünscht man sich immer, erfolgreich zu sein und so hoch wie möglich zu spielen. Und da merkt man natürlich auch, dass die Challenge League nicht so stark im Fokus ist wie die Super League. Jetzt spüren wir, dass es mehr um Thun geht, mehr um uns als Personen – das ist schön, auch deshalb haben wir uns für den Job eines Fussballers entschieden.
Hat der Aufstieg im beschaulichen Thun für eine Euphorie gesorgt?
Ganz sicher. Das hat schon begonnen, als der Klub 2021 in der Barrage gegen Sion spielte, ich war damals in Belgien. 2024 durfte ich dann die Barrage gegen GC miterleben und spürte: Hier geht etwas! Und als es nun mit dem Aufstieg geklappt hat, waren die Emotionen riesig. Dieser Drive ist immer noch vorhanden und soll noch so lange wie möglich bleiben – und wir sind dafür zuständig.
Als was fühlen Sie sich eigentlich, als Berner oder Berner Oberländer?
Für mich ist das etwa dasselbe, ich bin ein Berner. Ich wohne in Bern und habe 20 Minuten bis nach Thun.
Sie haben vorher über die Ligen gesprochen. Ist der Unterschied zwischen Super League und Challenge League also nicht so gross?
Bezüglich der individuellen Qualität, auch auf einzelnen Positionen, besteht schon ein grosser Unterschied. Bei Rhythmus, Tempo und Arbeitsmentalität finde ich den Unterschied dagegen nicht riesig. Man hat letzte Saison ja auch gesehen, wozu der FC Biel im Cup fähig war, und Challenge-Ligisten konnten immer wieder auch Super-Ligisten ärgern. Es ist alles breiter geworden, die Ligen sind näher zusammengerückt. Das macht es ja auch spannend. Beinahe jeder kann jeden schlagen – und das nicht nur in der Schweiz.
Welche Rolle spielt bei euch Trainer Mauro Lustrinelli?
Eine sehr grosse! Er lebt uns jeden Tag vor, dass das Team das wichtigste ist und dass man nur mit Energie und harter Arbeit Erfolg haben kann. Er verlangt sehr viel, aber deshalb sind wir auch dorthin gekommen, wo wir jetzt stehen. Wir haben alle noch lange nicht genug – vor allem auch er nicht. Es ist wirklich wichtig, jemanden zu haben, der vorangeht und das vorlebt.
Am Samstag trefft ihr auf den ebenfalls noch ungeschlagenen FC Luzern. Was erwarten Sie da?
Sicher wieder ein spannendes und intensives Spiel, hoffentlich auf Augenhöhe. Wir probieren, unser Spiel durchzuziehen und sie ihres.
Mit 31 Jahren sind Sie hinter Marco Bürki der zweitälteste Spieler im Team. Geniessen Sie Ihre Rolle als Führungsspieler?
Definitiv, es macht Spass, die Erfahrungen weiterzugeben und gleichzeitig jeden Tag auch selber etwas zu lernen. Wir haben aber eine gefühlt flache Hierarchie, jeder ist genau gleich wichtig und hat gleichviel zu sagen. Aber klar, mit mehr Spielen auf dem Buckel ist man ab und zu etwas glaubwürdiger. Es ist sicher eine coole Rolle.
Dass Marco Bürki Captain ist und nicht Sie ist kein Problem?
Es war für mich immer klar, dass er hier der Captain ist und das respektieren alle. Für mich war es auch nie das Ziel, Captain zu werden, es hat sich halt einfach ergeben, dass ich die Aufgabe übernahm, als Marco Bürki in der Rückrunde verletzt war. Ich weiss, wie ich meinen Beitrag ins Team und den Verein einbringen kann. Und dafür braucht es keine Binde, sondern Wörter und Taten. Wie erwähnt, bei uns kann jeder etwas sagen.
Ihr Vertrag läuft bis 2027, das heisst, Sie haben noch Ziele im Fussball…
Sicher! Man spielt, um erfolgreich zu sein. Ich habe zuletzt bewusst um zwei Jahre verlängert, weil ich daran glaube, dass ich mit Thun etwas Cooles erreichen kann.
Das heisst? Vielleicht gar auf die internationale Bühne zurückzukehren?
So weit überlege ich nicht, aber man weiss nie, im Fussball ist immer wirklich alles möglich. Und wie gesagt: Gegen oben soll man sich keine Limiten setzen. Und wenn man gut arbeitet und die Resultate stimmen, liegt früher oder später vielleicht mal etwas drin.
Sie beschäftigen sich auch mit dem Leben danach, haben ein Sportmanagement-Studium abgeschlossen…
…ja, das ist ein Schnellstudium der ESM-Academy, das eineinhalb Jahre dauert. Und nun bin ich am Wirtschaftsinformatiker dran. Ich bin sehr lebendig, will mal dies, mal das und so breit wie möglich aufgestellt sein, wenn der Tag X kommt – was hoffentlich noch lange nicht der Fall ist.
Auch die Trainerdiplome sind ein Thema…
Da bin ich auch dran und möchte weiterfahren. Das interessiert mich sehr, nicht weil ich denke, dass ich anderen sagen muss, wie man Fussball spielt, sondern mehr wegen des psychologischen Aspekts. Am Job des Trainers finde ich die Menschenführung interessant.
Ihre Zukunft dürfte wohl langfristig im Fussball sein…
Definitiv! Ich bin mit knapp zehn Jahren einst zu YB gegangen und seither dreht sich mein ganzes Leben um den Fussball. Deshalb ist für mich mehr oder weniger klar, dass ich immer mit Fussball in Berührung sein werde.
Mit Präsident Andres Gerber hat es im FC Thun ja eine Persönlichkeit, die aufzeigt, was man mit Kontinuität und Kompetenz erreichen kann…
Das ist so. Wenn man die Ruhe bewahrt und gut arbeitet, Kontinuität erreicht, kann man etwas Nachhaltiges aufbauen. Es ist auch unser Ziel, nachhaltig starke Leistungen zu zeigen. Man kann nicht immer das Maximum herausholen, aber man versucht, so weit wie möglich dahin zu kommen. Unser Ziel ist es, uns in den nächsten Jahren in der Super League zu etablieren und jeden Tag Vollgas zu geben.