Nervenflattern bei den Papayas – Titel-Krimi statt Gähn-Finale
53 Tage ist es her, da fragte man sich in der Formel 1: Welcher der beiden McLaren-Piloten wird Weltmeister? Oscar Piastri oder Lando Norris? Heute glauben viele, dass Max Verstappen im Red Bull seinen fünften Titel in Serie gewinnt – weil McLaren schwächelt und die Fahrer Nerven zeigen.
Am 31. August, nach dem Rennen im niederländischen Zandvoort, führte Oscar Piastri in der WM mit 34 Punkten Vorsprung auf seinen Teamkollegen Lando Norris, der Rückstand von Titelverteidiger Verstappen betrug 104 Punkte. An einen Erfolg des Niederländers glaubte niemand mehr, auch Red Bull-Motorsportchef Helmut Marko nicht. Er sagte: «Das ist gelaufen zugunsten von McLaren und vermutlich Piastri.»
Es war eine Fehleinschätzung. Verstappen gewann seither in Monza und Baku, triumphierte in Austin im Sprint und im «richtigen» Rennen und wurde in Singapur Zweiter. Insgesamt eroberte er damit 101 Punkte – während bei McLaren plötzlich der Motor stotterte. Piastri fuhr in derselben Periode 37 Punkte ein, Norris 57. Damit ist die WM plötzlich wieder offen. Piastri ist zwar nach wie vor WM-Leader, sein Polster ist aber massiv dünner geworden. Sieben Rennen stehen noch an – fünf GP und zwei Sprints – maximal kann ein Fahrer also noch 141 Punkte gewinnen. In der WM führt Piastri 14 Punkte vor Norris und 40 vor Verstappen. Wenn der Holländer alle Rennen gewinnt und Piastri jeweils Zweiter wird, würden dem Australier am Ende drei Pünktchen Reserve bleiben.
Verstappen im Hoch, Piastri im Elend
Die Spannung ist also zurück im GP-Zirkus, die Karten sind neu gemischt. «Das Auto macht endlich wieder das, was ich will», sagte Verstappen zuletzt voller Selbstvertrauen. Gleichzeitig ist Leader Piastri im Elend: «Ich muss versuchen zu verstehen, wieso ich keinen Speed mehr habe.» Dazu kommt, dass bei McLaren die Nerven flattern und die einstige Souveränität von Verunsicherung und Fehlern abgelöst wurde. In Monza verpatzte das Team bei Norris den Reifenwechsel, danach wurde Piastri vom Team befohlen, seinen Kollegen vorbeizulassen. In Baku landete Piastri im Qualifying und im Rennen in der Wand. In Singapur kollidierten die beiden McLaren und in Austin verbuchte Piastri nach einem Crash im Sprint einen Nuller, schnitzerte in der Quali und beendete das Rennen nur als Fünfter.
Verstappen ist auf der Überholspur, während McLaren im Titelkampf der Sprit auszugehen scheint. Und so sagte nun der ehemalige Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone gegenüber der Sport-Bild: «Alle Zeichen bei McLaren sprechen dafür, dass Lando Norris Weltmeister werden soll und nicht Oscar Piastri.» Das sei ein Fehler: «Max Verstappen wird der lachende Dritte sein.»
Die grosse Frage ist: Wie lange kann McLaren noch an den «Papaya-Regeln» festhalten, nach denen es im Team keinen Nummer-1-Fahrer gibt, solange beide Piloten Chancen auf den Titel haben? Die Formschwäche und die Verunsicherung sind bei McLaren offensichtlich. Und die Konkurrenz hat Morgenluft gewittert. «Wenn wir diese Form weiterhin behalten können, kann es wirklich noch spannend werden«, sagt Helmut Marko. Und auch Weltmeister Verstappen hat die Titelverteidigung nicht abgeschrieben: «Die Chance ist auf jeden Fall da!»
McLaren-Teamchef Andrea Stella setzt derweil darauf, dass im Team Ruhe bewahrt wird. «Zunächst einmal muss ich selbst ruhig bleiben, was mir dank meiner Erfahrung und auch dadurch, dass ich die Dinge relativiere, hoffentlich gelingen wird. Und wir sprechen immer wieder darüber, dass das, was wir derzeit erleben, nämlich ein harter Kampf um Siege und um die Fahrerwertung, genau das ist, worum es in der Formel 1 geht», so Stella. «Es ist also ein Prozess, sich an diese Art von Druck zu gewöhnen, den wir mit maximaler Intensität und minimalem Stress erleben wollen. Wir wollen nicht die Freude an dem verlieren, was wir tun. Wir wollen nur sicherstellen, dass wir uns in einen Zustand versetzen, in dem wir unsere beste Leistung bringen können, was auch bedeutet, Spass zu haben und zu erkennen, dass es letztendlich ein grosses Privileg ist, in dieser Situation zu sein. Wir machen einfach weiter so gute Arbeit, dann kommen die Ergebnisse von selbst.»
Das tönt nach Durchhalteparolen des Teamchefs, der zur Option, einen Fahrer als Nummer 1 zu setzen, um nicht den WM-Titel aufs Spiel zu setzen, sagt: «Wenn es darum gehen sollte, eine Entscheidung zu treffen, dann wird die allein auf Mathematik basieren.» Oder anders gesagt: Wenn einer der Piloten rechnerisch nicht mehr im Titelrennen wäre. Für Spannung ist in diesem WM-Finale definitiv gesorgt, nachdem noch vor zwei Monaten alles auf einen Gähn-Titelkampf zwischen den Papaya-Piloten Piastri und Norris hingedeutet hatte.