Odermatt, Gut-Behrami und Meillard: Welcher Trumpf sticht?
An diesem Wochenende erfolgt der traditionelle Start der Skistars in den Weltcupwinter. Vor einem Jahr kassierten die Schweizer in Sölden eine bittere Niederlage – nun wollen sie zurückschlagen und verfügen dafür über mehrere Trümpfe.
Es war vor einem Jahr nicht das Wochenende der Schweizer. Bei den Frauen gab Lara Gut-Behrami kurz vor dem Riesenslalom auf dem Rettenbachgletscher, wo sie 2013, 2016 und 2023 gewonnen hat, Forfait. Nach der Besichtigung am Morgen entschied sie sich zu diesem Schritt, weil sie sich nicht bereit und genügend fit fühlte. «Das Risiko ist zu hoch. Ich will nicht, dass eine Verletzung meine Karriere beendet», erklärte sie damals ihren auch mutigen Entscheid.
In ihrer Abwesenheit gehörten die Schweizerinnen dann zu den grossen Geschlagenen. Im von der Italienerin Federica Brignone gewonnenen Rennen wurde Camille Rast als beste der Fahrerinnen von Swiss-Ski Zwölfte, dazu gewannen auch Michelle Gisin (22. Platz), Wendy Holdener (25.) und Simone Wild (28.) Punkte. Doch die Ausbeute blieb bescheiden.
Meillards Forfait, Odermatts Out
Ähnlich trist präsentierte sich am Tag darauf die Rangliste bei den Männern. Loïc Meillard kassierte beim Einfahren einen Schlag in den Rücken und musste auf den Start verzichten. Superstar Marco Odermatt, der Sieger der beiden vorherigen Austragungen, startete mit Nummer 1, schied aber nach starker Fahrt nach lediglich 40 Sekunden aus. Später zeigte sich: Bei der ersten Zwischenzeit hatte er satte sieben Zehntel Vorsprung auf den bei Halbzeit führenden Alexander Steen Olsen.
Der Norweger, der in diesem Jahr wegen Knieproblemen auf den Start verzichten muss, brachte die Führung über die Zeit und siegte im norwegischen Festival: Hinter ihm belegten Henrik Kristoffersen und Atle Lie McGrath die Ränge 2 und 3, unmittelbar vor Lucas Pinheiro Braathen, der erstmals für Brasilien statt Norwegen fuhr. Bester Schweizer war der aktuell verletzte Gino Caviezel als Neunter, ebenfalls zu Punkten kamen Thomas Tumler (14.), Justin Murisier (17.) und Livio Simonet (27.).
Zu solchen Niederlagen sollte es an diesem Wochenende nicht kommen. Lara Gut-Behrami (34) startet in ihren 18. und letzten Weltcup-Winter und gehört ganz sicher zu den Sieganwärterinnen. Ihr erstes Ziel sei es, gesund zu bleiben, sagte sie nun über die kommenden Monate. « Wenn man gesund ist, kann man Rennen fahren und gute Leistungen bringen. Das ist mein grösster Wunsch: bis März gesund bleiben – und wenn möglich, auch noch schnell fahren.»
Eine grosse Kugel zum Abschied?
Unter Druck setzen muss sie sich sowieso nicht, ihr Palmarès ist bereits prall gefüllt: 394 Mal startete sie bereits zu einem Weltcuprennen. 100 Mal stand sie auf dem Podest, 48 Mal stemmte sie als Siegerin die Trophäe in die Höhe. Zweimal gewann sie den Gesamtweltcup (2016 und 2024), zudem holte sie sieben Disziplinen-Kristallkugeln (sechsmal Super-G, einmal Riesenslalom), neun WM- und drei Olympiamedaillen. Beweisen muss sie niemandem mehr etwas – und auch aus diesem Grund ist es gut denkbar, dass sie in ihrem letzten Weltcup-Winter nochmals für Furore sorgt und weitere Kristallkugeln erobert. Weshalb nicht auch die Grosse für die Gesamtwertung?
«Ich werde jetzt sicher nicht einfach stundenlang im Ziel stehen und die Berge bewundern», sagte sie nun in Sölden. «Ich muss fokussiert bleiben. Denn ich weiss, was es braucht, um Erfolg zu haben, und mache genau gleich weiter.» Und: «Es geht mir gut und ich bin gesund – das ist das Wichtigste.» Auch das ist eine Lehre ihrer langen Karriere. Sie sagt: «Es ist nicht selbstverständlich, dass ich mich auch mit 34 Jahren noch auf Rennen vorbereiten darf und mit den Besten mithalten kann.»
Odermatt der Gejagte – auch von Meillard
Wie Gut-Behrami werden auch Marco Odermatt und Loïc Meillard in Sölden im Rampenlicht stehen. Odermatt steht bei 45 Weltcupsiegen, drei WM-Titeln, einer Olympia-Goldmedaille, hat zuletzt viermal in Folge den Gesamtweltcup und ebenso oft die Riesenslalom-Wertung gewonnen. Klar, dass der Nidwaldner auch in den kommenden Monaten der Mann ist, den es zu schlagen gilt, was auch ihm bewusst ist. So sagte er nun: «Letzte Saison bin ich mit vier Kristallkugeln vom Weltcup-Finale in die Schweiz gereist. Da nicht vom Gewinnen zu reden, wäre absurd.»
Im Kampf um den Gesamtweltcup dürfte Loïc Meillard zum schärfsten Rivalen von Odermatt werden. In Sölden hat er bislang zwar noch nie brilliert, seine besten Resultate waren die Ränge 5 (2020) und 7 (2022) – das wars. Aber er hat im letzten Winter gezeigt, wozu er fähig ist, beendete die Saison als Dritter in der Gesamtwertung, wurde Weltmeister im Slalom und in der Team-Kombination und Dritter im Riesenslalom – und gewann die letzten beiden Riesenslalom im März in Hafjell und Sun Valley jeweils vor Marco Odermatt. Der Neuenburger macht auch kein Geheimnis daraus, dass er grosse Ambitionen hat und Odermatt im Gesamtweltcup fordern will: «Fahre ich konstant, ist das möglich.» Sein Vorteil ist, dass er nun wohl von Anfang an bereit ist, nachdem er in den letzten beiden Saisons zu Beginn mit gesundheitlichen Schwierigkeiten und Materialproblemen zu kämpfen hatte. Doch Meillard bleibt seinem Naturell entsprechend etwas zurückhaltend und sagt: «Klar würde ich irgendwann gerne den Gesamtweltcup gewinnen. Aber wenn ich jetzt mit diesen Gedanken in ein Rennen gehen würde, hätte ich schon verloren. Deshalb liegt mein Fokus derzeit ausschliesslich auf Sölden.»
Ein heisser Kandidat auf einen Spitzenplatz in Sölden ist auch der Bündner Thomas Tumler. Der 35-Jährige hat in der letzten Saison seine grössten Erfolge gefeiert, gewann mit dem Riesenslalom in Beaver Creek sein erstes Weltcuprennen überhaupt und wurde danach in Saalbach Vizeweltmeister im Riesenslalom und im Team-Event. Auch er hat in Sölden noch keine grossen Stricke zerrissen, der 14. Platz im Vorjahr, als er im ersten Lauf Position 4 belegte, in der Entscheidung aber zu verhalten ans Werk ging, ist sein Bestresultat auf dem Rettenbachgletscher. Er sei topfit, sagt Tumler nun. In Chile im Sommer habe er den Rücken etwas gespürt, jetzt sei alles wieder gut, körperlich fühle er sich bestens. Dass nach seinen zuletzt starken Leistungen die Erwartungen an ihn gestiegen sind, ist ihm klar, doch das nimmt er locker: «Der Druck ist von aussen gesehen wohl grösser, ich selber verspüre ihn nicht. Man kann eh nichts erzwingen.»
So lasst nun die Rennen und den Winter beginnen.