Regenrennen in der Formel 1 – der schmale Grat zwischen Show und Sicherheit
Der GP von Belgien am Sonntag in Spa-Francorchamps sorgte für geteilte Meinungen und Kritik: Ist die Formel 1 aktuell zu vorsichtig unterwegs? Werden wir nie mehr «richtige» Regenrennen sehen, bei denen Action garantiert ist? Oder ist der Safety First-Gedanke richtig?
Regenrennen sind so etwas wie das Salz in der Formel 1-Suppe. Die Fahrer bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Sie sehen nur sehr wenig, vertrauen vor allem auch auf ihr Gefühl, ihren Instinkt und ihren Mut. Um im Regen wirklich schnell zu sein, helfe es, den Verstand ausschalten zu können, wurde schon gesagt. Besonders schmal wird der Grat bei Aquaplaning, wenn die Rennstrecke zur Rutschbahn wird und die Piloten jederzeit die Kontrolle über ihre Boliden verlieren können.
Namhafte Regenmeister
Diese ebenso misslichen wie schwierigen Bedingungen meistern, natürlich, die besten Fahrer am besten. Bei diesen Verhältnissen trennen sich oftmals die Mutigsten und Fähigsten von den Durchschnittlichen. Und so gelten gerade auch die Weltmeister und Legenden Ayrton Senna, Michael Schumacher oder Max Verstappen als «Regenmeister». Als jene Piloten, die diesen spektakulären oder gar dramatischen Tanz auf der Rasierklinge am besten beherrschten respektive beherrschen, wie ein paar Beispiele zeigen.
Beim GP von Monaco 1984 verwandelte der Regen die Strassen im Fürstentum in eine Rutschbahn – und ein Fahrer gab eine besondere Kostprobe ab: Ayrton Senna. Der Rookie startete von Position 13, rollte in seinem Toleman-Hart das Feld mit einer gefühlvollen Fahrt von hinten auf und stand nach 31 Runden auf Platz 2, direkt hinter Leader Alain Prost. Gerade als der Brasilianer den Franzosen eingeholt hatte, wurde das Rennen wegen des sintflutartigen Regens abgebrochen. Was Senna und viele Fans sauer machte. Doch mit seiner Fahrt sorgte Senna für viel Aufsehen und Bewunderung, so sagte etwa Niki Lauda über diese Vorstellung an der nassen Côte d’Azur: «Es war, als hätte er eine andere Verbindung zur Strecke als alle anderen.»
Ein besonderes Spektakel war der GP von Belgien 1998, der in ein pures Chaos ausartete. In der ersten Runde kam es in der Startkurve «La Source» zu einer Massenkarambolage, 13 Boliden waren im Regenwetter in Spa-Francorchamps in den Crash verwickelt, überall lagen Trümmerteile herum. Obwohl es weiterhin schüttete, erfolgte ein Neustart und Michael Schumacher fuhr souverän dem Sieg entgegen – bis er bei schlechter Sicht bei der Überrundung von David Coulthard auf den McLaren des Schotten auffuhr und mit gebrochener Radaufhängung ausschied. «Er hätte mich umbringen können!», tobte Schumi später. Dennoch gilt der Deutsche als Regenkönig schlechthin: Er feierte 16 Siege im Regen – so viele wie kein anderer. Sein grösster «nasser» Triumph war 1995 ebenfalls in Belgien, als er von Position 16 startete und am Ende mit knapp 20 Sekunden Vorsprung auf Damon Hill siegte.
Wie Senna und Schumacher hinterliess der amtierende Weltmeister Max Verstappen bei Nässe seine Spuren. Beim GP von Brasilien 2016 zeigte der damals 19-jährige Niederländer im strömenden Regen von Interlagos eine besondere Show. Bei schwierigsten und widrigsten Verhältnissen fuhr Verstappen wie auf Schienen und machte in 15 Runden 11 Positionen gut. Nachdem er nach einem späten Boxenstopp nur noch den 14. Platz belegt hatte, schaffte er es mit einem Wahnsinnsritt noch hinter dem Mercedes-Duo Lewis Hamilton und Nico Rosberg auf Rang 3 und stellte die schnellste Rennrunde auf. Mit damals 19 Jahren und 44 Tagen war er der jüngste Fahrer, dem dies bis dahin gelungen war.
Verstappen wie Senna
«Das war Senna-esk. Ich habe so etwas seit Jahren nicht mehr gesehen», schwärmte sein damaliger Red-Bull-Teamchef Christian Horner nach dem Rennen. Ein weiteres nasses Meisterstück legte Verstappen 2024 ebenfalls in Brasilien ab, als er in São Paulo im Regen von Startposition 17 zum Sieg raste. «Alleine sein Start war elektrisierend. Seine erste Runde war für mich auf dem Niveau von Ayrton Senna in Donington 1993. Ich glaube, Max hat in der ersten Runde sechs oder sieben Autos überholt», zog Teamchef Horner danach erneut den Vergleich zum legendären Senna.
Eine Überreaktion der Rennleitung
Max Verstappen stand nun auch am vergangenen Sonntag in Spa im Rampenlicht. Dies nicht wegen Rang 4, den er hinter Oscar Piastri, Lando Norris und Charles Leclerc belegte. Sondern weil er sich darüber beklagte, dass zu lange mit dem Start zugewartet wurde, nachdem kurz vor 15 Uhr ein heftiger Regenschauer niedergegangen war. So ging das Rennen erst um 16.20 Uhr los und Verstappen erklärte später: «Wir haben unsere Entscheidung mit dem Setup getroffen und dann erlaubten sie uns erst zu fahren, als die Bedingungen schon fast trocken sind.» Er befürchtet, dass echte Regenrennen der Vergangenheit angehören: «Ich denke, dass sie noch immer möglich wären, auch der Regen nachher war handhabbar, falls wir Runden gefahren wären.» Unterstützung erhielt der Holländer von Lewis Hamilton, der ebenfalls fand, dass das Rennen viel zu spät freigeben wurde. Es sei wohl eine Überreaktion der Rennleitung, nachdem man sie im letzten Rennen gebeten hatte, das Rennen nicht zu früh neu zu starten, weil die Sicht zu schlecht war, «an diesem Wochenende gingen wir ein bisschen zu weit in die andere Richtung».
Andere Piloten waren mit dem Entscheid der Rennleitung einverstanden. George Russell etwa sagte: «Ich liebe Fahren im Regen. Aber Fakt ist: Wenn du mit über 300 aus Eau Rouge kommst und nichts siehst, dann kannst du gleich eine Augenbinde aufziehen. Das ist kein Racing, das ist einfach dumm. Nachdem es klar war, dass es ab vier Uhr trocknen würde, war das die richtige Entscheidung.»
Klar ist: Auch in der Formel 1 dominieren die Eigeninteressen. Der Grat zwischen den spektakulären Rennen, welche die Fans sehen wollen und der Sicherheit der Piloten, die sich bei horrenden Tempi am Limit bewegen, ist verdammt schmal. Und jeder Fehler und Fehlentscheid kann verheerende, im schlimmsten Fall tödliche Folgen haben.