Schweizer Nati: Fünf Trümpfe im Sommermärchen
Die Schweiz befindet sich im Fussballfieber, an der EM der Frauen wurden neue Heldinnen geboren. Am Freitag kommt es nun in Bern zum Viertelfinal gegen Spanien. Die Weltmeisterinnen sind klar favorisiert, doch auch Pia Sundhage hat in ihrem Team ein paar Trümpfe, von denen wir fünf rauspicken.
Die Erinnerungen an die letzten Duelle mit den Spanierinnen sind schmerzhaft. An der WM 2023 kassierte die Schweiz eine 1:5-Niederlage, es war eine Lehrstunde. Ein paar Wochen später blieb die Schweiz in der Nations League zuerst in Cordoba chancenlos und verlor mit 0:5, dann gab es in Zürich in der bis heute letzten Direktbegegnung eine schallende 1:7-Ohrfeige. Die Resultate sprechen eine klare Sprache und sorgen vielleicht oder hoffentlich dafür, dass die Weltmeisterinnen das Team von Pia Sundhage auf die leichte Schulter nehmen.
Spanien hat an dieser EM bislang überzeugt und ist mit drei Siegen und 14:3 Toren in die Viertelfinals gestürmt. Das Team tritt dominant und brillant auf, verfügt über eine geballte Offensivpower und alles, was es für den Titelgewinn braucht. Das sorgt auch für die grosse Favoritenrolle im Kampf um den EM-Titel und einen nicht zu unterschätzenden Druck. Oder wie die bisher bei der Schweiz überragende Géraldine Reuteler sagt: «Auch die sind mal fällig. Reuteler ist einer von verschiedenen Trümpfen, die der Schweiz für dieses Duell gegen die Gigantinnen Hoffnung machen.
Livia Peng
Livia Peng? Elvira Herzog? Die Frage, wer an der EM die Nummer 1 im Schweizer Tor ist, wurde erst kurz vor dem Turnier beantwortet. Überraschend zugunsten der Bündnerin Peng, nachdem zuvor Herzog in der Gunst der Teamverantwortlichen höher gestanden war. Peng hat sich für dieses Vertrauen mit Leistung bedankt. Und dies, obwohl der Start in die EM alles andere als wunschgemäss verlief. Im Auftaktmatch gegen Norwegen sah die Torhüterin beim ersten Gegentor unglücklich aus. Was hätte zu einer dauernden Unsicherheit führen können, hatte jedoch keine Folgen. Peng blieb danach gegen Island und auch gegen Finnland makellos. Im letzten Gruppenspiel hielt sie die Schweiz mit einem Blitzreflex vor der Pause im Spiel. Und tief in der Nachspielzeit war sie nach einem finnischen Freistoss und einer Verlängerung per Kopf nochmals zur Stelle und hielt das Weiterkommen fest.
Aus dem vermeintlichen Unsicherheitsfaktor wurde so ein Trumpf der Schweizerinnen. «Was sie abliefert ist unglaublich. In den Momenten, in denen du sie brauchst, ist sie einfach da», sagt Riola Xhemaili, die gegen Finnland den Last-Minute-Ausgleich erzielte, über die Torhüterin, die auf die neue Saison hin von Werder Bremen zu Chelsea wechselt und in der Premier League einen Vierjahresvertrag unterschrieben hat. Auch Nadine Angerer, die einstige Weltklasse-Keeperin und heutige Goalietrainerin der Schweizer Nati, ist voll des Lobes für Peng: «Sie ist ein Mentalitätsmonster. Das hat sie auch bei Werder Bremen in der Bundesliga bewiesen. In den wichtigen Spielen ist sie bereit.»
Lia Wälti
Captain Lia Wälti ist in der Schweizer Nati auf dem Platz Denkerin, Lenkerin und Taktgeberin und führte ihr Team als Chefin in den Viertelfinal. Und dies, obwohl die Vorzeichen denkbar schlecht waren. Lange zitterte man um sie, nach einer langen Verletzungspause trainierte sie im EM-Pre-Camp meist allein, für die EM-Hauptprobe gegen Tschechien figurierte sie nicht im Kader. Doch als es ans Eingemachte ging, war die 32-jährige Emmentalerin bereit, überzeugte durch ihre Präsenz, Ruhe und Übersicht. Trotz körperlicher Probleme biss sie sich in den drei Gruppenspielen durch, kam auf eine Passgenauigkeit von 85,6 Prozent und eroberte 26 Mal den Ball. Auf diese Anzahl kam an der EM bislang einzig auch die Schwedin Nathalie Björn. Die Belohnung dafür erhielt Wälti vom deutschen Fachmagazin «kicker», welches sie in die «Elf der EM-Vorrunde» wählte.
Nach den begeisternden ersten drei Spielen soll diese wunderbare EM-Reise für Captain Wälti und ihre Teamkolleginnen noch nicht zu Ende sein, auch wenn Weltmeister Spanien die schwerstmögliche Aufgabe ist. «Wir haben nichts zu verlieren, wir haben keinen Druck. Und ich glaube, genau das gibt uns Mut», sagt Lia Wälti. «Wenn wir den Schwung mitnehmen können, können wir das Unmögliche schaffen.» Sie hoffe auf noch viele gute Spiele bei dieser EM, erklärte sie in diesen Tagen, um dann zu ergänzen: «Ich rede bewusst von mehreren Spielen, weil ich fest daran glaube, dass wir für diese Überraschung sorgen können.»
Géraldine Reuteler
Die Offensivspielerin von Eintracht Frankfurt nützt die EM-Bühne für absolute Glanzvorstellungen. Wie ihre Teamkollegin Wälti wurde sie ins Team der Vorrunde gewählt, wobei die 26-jährige Nidwaldnerin schon zuvor Auszeichnungen gesammelt hat. In den drei Partien gegen Norwegen, Island und Finnland wurde sie als «Spielerin des Spiels» ausgezeichnet. Auch die Statistik spricht für sich, denn da stehen das wegweisende Tor zum 1:0 beim 2:0-Sieg gegen Island und der Assists beim Ausgleich von Riola Xhemaili , der gegen Finnland das Weiterkommen bedeutete. Géraldine Reuteler ist massgeblich daran beteiligt, dass die Schweizerinnen in den Viertelfinals stehen.
«Für mich war von Anfang an klar, dass Geri eine grosse Karriere machen wird», sagt Captain Lia Wälti über ihre Teamkollegin, die sie bestens kennt. Reuteler verfüge über ein hervorragendes Spielverständnis, sei torgefährlich und arbeite auch defensiv gut. «Sie ist eine komplette Spielerin und eine der wichtigsten in unserem Team.»
Mit ihren beeindruckenden Auftritten ist die vielseitig einsetzbare Reuteler einer der Stars dieses Turniers, und es scheint sehr gut möglich, dass sich der Wunsch von Nati-Kollegin Smilla Vallotto erfüllt, die nach dem Sieg gegen Island gesagt hatte: «Ich hoffe, dass Geri in diesem Sommer ein Grossklub kauft.» Werbung dazu hat Géraldine Reuteler am Heim-Turnier definitiv gemacht.
Unbekümmertheit
Mit dem Erreichen des Viertelfinals ist das grosse Ziel erreicht und gegen die Spanierinnen hat die Schweiz absolut nichts zu verlieren. Der Druck lastet definitiv auf den Weltmeisterinnen. Es ist ein Vorteil für die Schweizerinnen, die an dieser EM auch viele junge Spielerinnen im Team haben, die ebenso unbekümmert wie erfrischend auftreten. Da ist Iman Beney, 18 Jahre jung, eigentlich Offensivspielerin, die von Pia Sundhage in der Nati zur Aussenverteidigerin umgeschult wurde. «Ich weiss nicht, ob es ihre beste Rolle ist, aber es geht darum, das beste Team auf dem Feld zu haben. Und Iman gehört zu diesem», begründete Sundhage ihren Entscheid, während die Unterwalliserin nach dem Sieg gegen Island über ihre Rolle sagte: «Ich bin eine Offensivspielerin, natürlich fühle ich mich wohler, wenn ich auf dem Flügel spiele. Aber ich gebe dort mein Bestes, wo mich die Trainerin aufstellt.»
Und das macht sie beeindruckend: Sie rennt, geht mit grossem Engagement in die Zweikämpfe, setzt offensiv Impulse, kreiert Chancen – und erledigt auch in der Defensive ihre Aufgaben. Beney wechselt auf die kommende Saison hin von Meister Young Boys zu Manchester City – auch das ist definitiv ein Beweis für ihre Qualiät.
In die Kategorie der jungen Unbeschwerten gehört auch die 19-jährige Freiburgerin Leila Wandeler, die gegen Island ihr erstes Pflichtspiel mit der A-Nati bestritt und den Assist zum 2:0 gab und gegen Finnland nach ihrer Einwechslung in der Offensive für Schwung sorgte. Sie ist ein Wirbelwind, der auch den Spanierinnen Probleme bereiten kann. Das trifft auch auf die 18-jährige Sydney Schertenleib zu, die beim FC Barcelona unter Vertrag steht, als grösstes Schweizer Talent gilt, an der Heim-EM aber noch nicht voll auf Touren gekommen ist. Wer weiss, vielleicht schafft sie dies ja gegen Spanien…
Euphorie
Die Schweizerinnen begeistern in diesen EM-Tagen mit ihren leidenschaftlichen Auftritten das ganze Land und haben mit ihren begeisternden Auftritten viele Herzen im Sturm erobert. Volle Stadien, beeindruckende Fanmärsche und lautstarke Fans sorgen für eine Gänsehautatmosphäre, die das Team nicht lähmt, sondern für zusätzlichen Schwung sorgt. Die ganze Nation steht hinter dem Team, was sich auch in den TV-Zahlen widerspiegelt. Das Spiel gegen Finnland verfolgten durchschnittlich 733’000 Zuschauerinnen und Zuschauer auf SRF zwei – Rekord für ein Spiel der Schweizerinnen sowie für ein Frauenfussballspiel generell; der Marktanteil belief sich auf 59 Prozent.
Bereits die ersten beiden Gruppenspiele erreichten jeweils einen Rekordwert: Durchschnittlich 648'000 Zuschauende gegen Norwegen (59,3 Prozent Marktanteil) respektive 686'000 Zuschauende gegen Island (55,3 Prozent Marktanteil) waren zu den jeweiligen Zeitpunkten Bestwerte.
Am Freitag wird der Wankdorf wieder ein Hexenkessel sein – ein Vorteil für die Schweiz, auch in den Augen der Spanierinnen. «Es wird sehr, sehr hart in dem vollen Stadion und mit dem Publikum hinter ihnen. Wir sind sozusagen schon im Rückstand», sagt Stürmerin Claudia Pina.» Verteidigerin Fernandez sieht es ähnlich und sagt: «Die Fans könnten ihnen helfen. Emotional wird es schwer für uns.»
Beeindruckend ist auch, dass in der renommierten Sportzeitung «Marca» der Mahnfinger gehoben wird: «Die Schweizerinnen haben neben der Qualität ihrer Spielerinnen den Vorteil, Gastgeber zu sein. Bei den letzten beiden Europameisterschaften – Niederlande 2017 und England 2022 – blieb die Trophäe im eigenen Land.»
Es ist eine Serie, die gerne weitergehen darf.