Schwierige Zeiten in Gladbach: "Einer wie Xhaka würde uns richtig guttun"
Nach schwachem Saisonstart steht Borussia Mönchengladbach vor möglicherweise wegweisenden Wochen. Wie ist die Stimmung rund um den Traditionsverein vor dem wichtigen Heimspiel gegen RB Leipzig? Sky Sport hat sich dazu mit Christian Meyer unterhalten. Der 33-Jährige ist lizenzierter Fussballtrainer (DFB C-Lizenz) und seit bald 30 Jahren glühender Fan der Fohlen.
Sky Sport (Sky): Vier Spiele, 2 Punkte, Platz 14: Bei Borussia Mönchengladbach bahnt sich abermals eine schwierige Saison an. Wie sind die Erwartungshaltung und die Stimmung rund um den Verein?
Christian Meyer (CM): Ehrlich gesagt, schaue ich dem Rest dieser Spielzeit mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Borussia steckt Mitten in einer Phase des Umbruchs, der aus meiner Sicht bislang aber nicht mit der letzten Konsequenz vorangetrieben wurde. Wenn man unsere gerade auf den Aussenbahnen junge und unerfahrene Defensive sieht und anerkennt, wieviel offensive Qualität wir mit den Abgängen von Hofmann, Thuram und Stindl verloren haben, kann man schon zum Schluss kommen, dass wir noch mehr hätten machen müssen. Ich hoffe es nicht, aber es könnte in der Tat eine sehr schwierige Saison auf uns zukommen, auch wenn ich mir persönlich eine Platzierung zwischen Rang 8 und 12 erhoffe. Aber wir müssen auf der Hut sein. Beispiele von Vereinen, die sich in Sicherheit wähnten und dann trotzdem abstiegen, gibt es zu Genüge.
Sky: Für die Borussia verliefen die vergangenen drei Jahre wenig erfreulich. Woran liegt das deiner Meinung nach?
CM: Aus meiner Sicht geht der Ursprung auf die Zeit der Zusammenarbeit mit Marco Rose (heute RB Leipzig) zurück. Der ersetzte zum Ende der Saison 2018/2019 Dieter Hecking, der trotz laufendem Vertrag und seiner Freundschaft zum damaligen Geschäftsführer Sport Max Eberl gehen musste, weil die Borussia stagnierte. Mit Rose wollte Eberl die Borussia auf ein neues Level heben, ein Plan der zumindest bis zur Bekanntgabe von Roses Wechsel nach Dortmund (Feb. 2021) funktionierte. Sein Weggang war dann allerdings ein Knackpunkt - für die Fans, für die Mannschaft und auch für Eberl. Ich glaube, Roses Entscheid das gemeinsame Projekt ohne Not aufzugeben, hat Eberl auch persönlich getroffen.
Trotzdem hielt man weiterhin am Trainer fest und verpasste am Ende die bereits sicher geglaubte Qualifikation für das europäische Geschäft. Das zog einen Rattenschwanz an negativen Entwicklungen (fehlende Einnahmen, fehlende Transfererlöse, weniger Perspektiven für potentielle Neuzugänge) nach sich, die durch die Auswirkungen der Pandemie noch akzentuiert wurden. Vor seinem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen Anfang 2022 war es Eberl zudem nicht mehr gelungen, die Verträge wichtiger Schlüsselspieler zu verlängern. Der Borussia gingen somit weitere Einnahmen flöten.
Am Ende des Tages verlor die Borussia durch all diese Ereignisse innert relativ kurzer Zeit jenen Wettbewerbsvorteil, den sie sich in den zehn Jahren zuvor hart erkämpft hatte. Eine strategische Neuausrichtung war von Nöten, die allerdings erst im Hinblick auf diese Saison in Angriff genommen werden konnte. Wobei der Umbruch bislang wie erwähnt auf eher überschaubarem Niveau vonstattengeht.
Sky: Schweizer Spieler und Trainer haben in Gladbach seit diesem Jahrtausend Tradition. Zuletzt verliess euch Yann Sommer nach achteinhalb Jahren in Richtung Bayern und wurde durch den neuen Captain Jonas Omlin ersetzt. Was hältst du von ihm?
CM: Jonas hat in seinem ersten halben Jahr in Gladbach zumindest teilweise überzeugt. Würde ich nur seine sportlichen Leistungen und seine Persönlichkeit bewerten, wäre mein Fazit sicher positiver, denn Jonas ist ein guter Keeper und die Art von Führungsspieler, die unsere Mannschaft braucht. Aber da gibt es halt auch seine Verletzungsgeschichte. Ich weiss nicht, ob ich je einen Torhüter erlebt habe, der so oft ausfällt, wie er. Auch jetzt steht er mit einer Schulterverletzung nicht zur Verfügung und gerade auf seiner Position ist Kontinuität für die gesamte Mannschaft enorm wichtig. Ich hoffe, er kriegt das in den Griff.
Sky: Gestern wurde bekannt, dass Nico Elvedi seinen Vertrag nach langem hin und her bis 2027 verlängert hat. Zufrieden?
CM: Grundsätzlich schon, denn es wäre aus Gladbacher Sicht bitter gewesen, erneut einen Spieler ablösefrei zu verlieren. Rein sportlich muss ich aber sagen, dass ein Wechsel nach acht Jahren möglicherweise für beide Seiten Sinn gemacht hätte. Nico hat sich zwar in seiner Zeit bei uns zu einem überdurchschnittlichen Innenverteidiger entwickelt, stagniert auf diesen Niveau jetzt aber seit rund drei Jahren. Und in der letzten Saison hat er seine Leistung nicht mehr abrufen können, hat sich teilweise haarsträubende Fehler erlaubt und war einfach nicht der Elvedi, auf den sich die Borussia in den Jahren zuvor verlassen konnte. Ich hoffe, er findet nun wieder zur alten Stärke zurück. Das wäre für unsere aktuelle Mannschaft mit Sicherheit ein Gewinn.
Sky: Seit dem 1. Juli wird die Borussia auch wieder von einem Schweizer Trainer geführt. Wie gefällt dir die Arbeit von Gerardo Seoane bislang?
CM: Ich finde es schwierig, seine Arbeit bereits jetzt abschliessend zu beurteilen. Mir ist aufgefallen, dass Seoane an Pressekonferenzen und in der Öffentlichkeit eher verhalten und zurückhaltend auftritt. Da würde ich mir wünschen, dass er etwas mehr Gas gibt, mehr Selbstvertrauen und Emotion ausstrahlt, wie er das am ersten Spieltag auch in Augsburg gezeigt hat. Zudem hoffe ich, dass er auch intern fordernd ist, gerade wenn es um das Thema Neuzugänge im Winter geht. Was mir gefällt ist, dass er eine klare Linie fährt und unsere Mannschaft deutlich disziplinierter auftritt, als das noch unter Daniel Farke der Fall war. Auch spielerisch sind wir wieder etwas besser unterwegs. Aber klar ist auch, dass unsere Zwischenbilanz mit zwei Punkten aus vier Spielen mager ausfällt. Mit Leipzig haben wir jetzt noch einmal einen grossen Brocken vor der Brust, ehe wir dann anfangen müssen auch Spiele zu gewinnen.
Sky: Zum Abschluss noch eine Frage zu Granit Xhaka, der vor wenigen Wochen mit Bayer Leverkusen in den Borussia-Park zurückgekehrt ist. Was hat das in dir ausgelöst?
CM: Das ist ein schwieriges Thema, dass mich auch persönlich etwas aufwühlt. Denn Granit war für mich immer der Inbegriff personifizierter Willensstärke. Seit Stefan Effenberg, den ich noch als Kind im Borussen-Trikot erlebt habe, habe ich nie mehr einen Spieler bei uns gesehen, der eine Mannschaft so geführt, motiviert und dominiert hat wie Granit Xhaka. Entsprechend beliebt ist er auch heute noch in Fankreisen, wo er z.T. verehrt wird, und wohl auch deshalb tut es richtig weh, dass er jetzt bei seiner Rückkehr in die Bundesliga in unserer rheinischen Nachbarschaft gelandet ist. Gerade, weil er in der Phase, in der sich die Borussia aktuell befindet, so unglaublich wertvoll für uns sein könnte. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Möglicherweise findet er in zwei bis drei Jahren noch einmal zu uns zurück – die Türe ist auf alle Fälle nicht zu.