Tadej Pogacar, das nimmersatte Monster
Der vierte Tour de France-Sieg von Tadej Pogacar scheint nur noch eine Formsache zu sein. Für seine Gegner ist der Slowene längst ein nimmersattes Monster geworden.
Den heutigen Ruhetag in Montpellier konnte Tadej Pogacar geniessen. Nach 15 von 21 Etappen liegt der 26-jährige Slowene klar an der Spitze des Feldes, sein erster Verfolger, sein grosser Rivale Jonas Vingegaard, liegt bereits 4:13 Minuten zurück. Auch wenn in den nächsten Tagen auf dem Weg zum Ziel auf den Pariser Champs-Elysées noch einige happige Tage mit schweren Hindernissen auf dem Programm stehen: Am vierten Tour-Sieg von Pogacar zweifelt kaum jemand. Er fährt in einer eigenen Liga und hat nach zwei Wochen bereits vier Etappensiege auf seinem Konto. Insgesamt steht der Slowene nun bei 21 Etappensiegen an der «Grand Boucle» und belegt in der ewigen Rangliste der Etappensieger Rang 6 – in Führung liegt Mark Cavendish (35 Siege) vor Eddy Merckx (34) und Bernhard Hinault (28).
Lob von Bernard Hinault
Mit seiner Dominanz ist Pogacar für seine Gegner ein Kannibale. Er lässt dem Rest nur Brosamen übrig. Es ist eine Eigenschaft, die teilweise auch kritisiert wird, die aber der Franzose Bernard Hinault schätzt, wie er in diesen Tagen erklärte. «Er ist der Einzige, der Eddy und mir ähnlich ist», so Hinault. «Er gewinnt Klassiker, Grand Tours und hat immer noch die Energie, beim Saisonfinale anzutreten und Weltmeister zu werden. Er ist der kompletteste Fahrer und hat den grössten Ehrgeiz.» Er liebe Pogacars Enthusiasmus, dieser zeige sich in dessen Rennstil. «Er geniesst es zu gewinnen. Er hat das Potenzial, Eddy und mich zu übertreffen. Die Rivalität mit Vingegaard könnte ihm noch mehr Motivation geben.»
Mit seinen beeindruckenden Leistungen ist Pogacar auch auf dem besten Weg, in der Hitliste der Gesamtsieger ganz nach oben zu klettern: Mit fünf Triumphen liegen die Franzosen Jacques Anquetil und Bernard Hinault gemeinsam mit dem Belgier Eddy Merckx und dem Spanier Miguel Indurain an der Spitze, Pogacar folgt hinter dem Briten Chris Froome (vier Siege) und mit drei Triumphen bereits auf Position sechs. Tendenz steigend.
Keine Geschenke
Und bislang verschwendet der Slowene offenbar auch keinen Gedanken daran, seinen Konkurrenten Etappensiege kampflos zu überlassen. So sagte er nun: «Ich habe ein grosses Team hinter mir, das jeden Tag seiner Karriere dafür arbeitet, dass ich an der Tour teilnehmen kann. Wenn ich im Alleingang beschliessen würde, Chancen zu verschenken, wäre das Team nicht glücklich.» Es ist eine Einstellung, die auch Bernard Hinault imponiert. Die französische Legende erklärte in diesen Tagen: «Ich finde seine Haltung angenehm. Er verschenkt nichts, und das muss er auch nicht. Indurain war grosszügiger, er hatte eine andere Einstellung – er war nur am Gesamtsieg der Tour de France interessiert. Aber ich glaube, das Publikum bevorzugt Fahrer, die immer alles geben.»
Der Appetit widerspiegelt sich auch in der Statistik. 103 Siege als Profi stehen aktuell in Pogacars Palmarès. Damit belegt er in der ewigen Rangliste den 24. Platz – in Führung liegt der Belgier Eddy Merckx (279) vor dem Briten Mark Cavendish (165), dem Italiener Mario Cipollini (163), dem Belgier Roger de Vlaeminck (162) und dem Iren Sean Kelly (159). Die erfolgreichsten Schweizer sind übrigens Tony Rominger (91 Siege) und Fabian Cancellara (88).
Zweifel und Spekulationen
Eine Dominanz wie jene von Tadej Pogacar sorgt im Radsport erfahrungsgemäss für Spekulationen und Zweifel daran, dass alles mit rechten Dingen zu- und hergeht. So äussert sich der Franzose Antoine Vayer (62), einst selber ein Athlet und in den 1990er-Jahren unter anderem Trainer der Festina-Equipe, die 1998 in einen der grössten Doping-Skandale verwickelt war, in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sehr kritisch zu den Leistungen von Tadej Pogacar, der seine Konkurrenz mit einer Leichtigkeit sondergleichen in Grund und Boden fährt. Auf die Frage, wie Pogacar so dominant sein könne, antwortet Vayer: «Das ist eine gute Frage! Pogacar beherrscht den Radsport, die Tour, er kontrolliert den Peloton. Er kann solo fahren, während hinten 20 Topfahrer im Wind schuften und ihn trotzdem nicht einholen. Wenn er Lust hat, kann er an dieser Tour zehn Etappen gewinnen. Das lässt mich vermuten, dass hier etwas faul ist und ganz falsch läuft.»
Von Doping spricht er nicht, denn auch der Franzose weiss, dass für Tadej Pogacar und andere Spitzenfahrer trotz aller Zweifel und dem schlechten Ruf, der dem Radsport anhängt, die Unschuldsvermutung gilt. Schliesslich wurde er noch nie positiv auf Doping getestet. Und allein das zählt.