Thomas Roost vor dem NHL Draft: «In einigen Jahren werden wir Probleme bekommen»
Thomas Roost weiss, wovon er spricht. Der gebürtige Schaffhauser ist seit rund 30 Jahren im internationalen Eishockey tätig – als Scout und Talentspäher (SC Bern, EHC Biel, NHL Central Scouting Office), TV-Analyst und Co-Podcaster und seit letztem Sommer auch als GM des EHC Olten. Mit Sky Sport unterhielt er sich vor kurzem über die jüngsten Erfolge und Misserfolge auf Stufe Nationalmannschaften, unser Eishockey im Allgemeinen sowie natürlich über den am Wochenende anstehenden NHL Draft.
Herr Roost, Ende Mai holte sich die Schweizer Eishockey-Nati in Stockholm zum zweiten Mal in Folge WM-Silber. Kurz vor Turnierbeginn, stieg unsere U18 an der WM aus der höchsten Stufe ab. Welches der beiden Ereignisse hat Sie mehr «bewegt»?
Thomas Roost (TR): Auch wenn ich mich über das erneute Silber gefreut habe - mehr beschäftigt hat mich der Abstieg der U18-Auswahl. Dieser markiert aus meiner Sicht einen Tiefpunkt, speziell in Abwesenheit der Teams aus Russland und Weissrussland. Da hätte mehr möglich sein müssen, auch wenn man am anderen Ende des Spektrums sicher auch damit rechnen musste, allenfalls im Abstiegs-Endspiel zu landen. Dass man dieses gegen Norwegen jedoch verloren hat, hat mich wirklich bestürzt.
Was sind denn die unmittelbaren Konsequenzen dieses Abstiegs?
TR: Kurzfristig ist dieser Abstieg ein Rückschlag für unsere gesamte Nachwuchsbewegung, aber speziell für die jungen Schweizer Talente, welche sich im nächsten Jahr für den NHL-Draft aufdrängen wollen. Sie haben nun nur noch bedingt die Möglichkeit, sich mit den besten Junioren der Welt zu messen, sich im direkten Duell den Scouts zu zeigen. Das ist ein Nachteil, insbesondere wenn es darum geht, sich für einen frühen Draft zu positionieren. Ein Fehlgriff in der ersten oder zweiten Runde kann eine Franchise teuer zu stehen kommen, da sind nur wenige GMs bereit, für einen Spieler, der sich nicht auf höchstem Niveau bewähren konnte, «all in» zu gehen.
Und mittelfristig?
TR: Leider ist der Abstieg nicht der erste Dämpfer auf Juniorenstufe. Auch auf U20-Stufe haben wir gegen sogenannt «Kleine» oft zu kämpfen, finden uns in 50-50-Spielen wieder und holen kaum noch grosse Siege. Eine Tendenz, die sich auch in der Anzahl der Top-Draftpicks der letzten Jahr widerspiegelt. Hier haben zuletzt auch Länder wie Deutschland, die Slowakei oder Österreich besser abgeschnitten, was sich mittelfristig auch auf die Nationalmannschaft auswirken wird. Diese ist mit der aktuellen Spielergeneration noch für drei bis vier Jahre gut aufgestellt, im Anschluss aber, dürfte es schwierig werden.
Wo genau liegen denn unsere Probleme?
TR: Wenn du Jahr für Jahr auch im Verhältnis zur Anzahl lizenzierter Junioren deutlich weniger NHL-Talente hervorbringst, als Top-Nationen wie Schweden oder Finnland, liegt für mich die Vermutung nahe, dass unsere Grundausbildung im Vergleich zu diesen Ländern qualitativ einfach weniger gut ist. Das hat vermutlich auch mit der Qualität der Trainer an der Basis zu tun, auch wenn das natürlich keine sympathische Meinung ist. Ich glaube, dass die vielen ehrenamtlich tätigen Trainer gerade in kleineren Vereinen davon profitieren könnten, selber vom Fachwissen ausländischer Top-Nachwuchs-Coaches zu lernen. Hier könnte der Verband meiner Meinung nach den Hebel ansetzen mit dem Ziel, die nächste Generation an Spielern auf einem höheren Grund-Niveau an den kompetitiven Bereich heranzuführen.
Nehmen wir an ich hätte einen talentierten Sohn und würde Sie um Rat bitten: Worauf sollte ich bei der Ausbildung achten, welche Fähigkeiten unbedingt fördern, wenn mein Sohn künftig den Sprung in NHL schaffen will?
TR: Viel Gewicht würde ich dem sogenannten «Hockey Sense» geben, also der Förderung des Spielverständnisses und der Spielintelligenz. Beide sind nicht einfach gegeben, sondern können weitestgehend auch erarbeitet werden, z.B. in dem ich bei den besten Spielern der Welt etwas genauer hinschaue, beobachte, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten, welche Entscheidungen sie treffen. Zudem gibt es meiner Meinung nach auch in der taktischen Ausbildung eine Tendenz, die risikoarme, (zu) einfache Spielweise zu fordern. Diese mag zwar Resultate im Sinne von Siegen bringen, fördert aber die Entwicklung junger Spieler nicht optimal. Diese sollen in jungen Jahren mutig spielen, auch einmal ein Dribbling oder einen riskanten Pass wagen und Fehler machen dürfen, anstatt die Scheibe einfach nur aus dem Drittel zu spielen. Denn am Ende des Tags sind es diese Skills, die den guten vom sehr guten Spieler unterscheiden.
Wo liegen denn die grössten Unterschiede zwischen einem NHL-Spieler und einem NL-Spieler?
TR: ich bin mir ziemlich sicher, dass die besten Spieler in den europäischen Top-Ligen in einer untergeordneten Rolle auch in der NHL mithalten könnten. Grösser ist der Unterschied zu den Top-Spielern in den ersten beiden Linien, die noch einmal einen Gang höher schalten können. Was man zudem wissen muss: Enorm wichtig für den Erfolg in der NHL ist das Spiel entlang der Bande, die Fähigkeit sich in den Ecken behaupten zu können, mit der Scheibe aus dem Zweikampf zu kommen und dann Optionen zu kreieren. Dazu benötigt man sicher eine starke Physis – aber eben auch eine Portion Cleverness. Zum Beispiel ist es für einen modernen NHL-Verteidiger sehr wichtig, die Scheibe aufs Tor bringen zu können.
Zurück nach Stockholm: Zum zweiten Mal hintereinander gab es in diesem Jahr Silber. Und wie schon 2024 war die Schweiz im Finale nicht wirklich in der Lage, offensiv das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen. Was fehlt dazu noch?
TR: Das ist schwierig zu sagen. Natürlich, zuletzt waren die USA und Tschechien zweimal etwas besser, aber es war nicht so, dass wir diese beiden Endspiele nicht auch hätten gewinnen können. Am Ende entschieden zwei Ausnahmekönner (David Pastrnak und Tage Thompson) und die notwendige Portion Glück zugunsten ihrer Teams, auch wenn das ein Faktor ist, dem man für gewöhnlich nicht zu viel Gewicht geben möchte. Was zudem noch zutrifft: Für die grossen Nationen ist die WM ein Turnier mit einem hohen sozialen Aspekt, dass erst in der letzten Turnierphase mit maximaler Intensität betrieben wird. Kämpfen Teams wie die USA oder Kanada erst einmal um eine Medaille und den Titel, sind sie deutlich schwieriger zu bezwingen, als noch in der Gruppenphase.
Unser Eindruck in diesem Jahr war: Die NHL-Cracks waren wichtig, aber die Spieler aus der National League war in diesem Jahr fast schon ähnlich dominant. Täuscht dieser Eindruck?
TR: Nein, das sehe ich ähnlich. Und hier darf man das Schweizer Eishockey auch gerne einmal loben, denn wir haben in den letzten 10-15 Jahren grosse Fortschritte gemacht, was die Kaderbreite anbelangt. Mittlerweile ist es so, dass wir durchaus in der Lage sind, gute Spieler wie einen Theo Rochette oder Calvin Thürkauf, die in Dänemark und Schweden verletzt fehlten, gleichwertig zu ersetzen. Wo wir noch Rückstand haben ist in der Anzahl der sogenannten «Unterschiedsspieler». Fallen bei uns ein Josi oder ein Hischier aus, fällt dies mehr ins Gewicht als bei den Top-Nationen.
Was liegt für ein Schweizer Team in optimaler Besetzung an den Olympischen Spielen drin?
TR: Hier müssen wir realistisch bleiben. Im besten Fall können wir im Vergleich zur WM davon ausgehen, dass uns noch drei bis vier Spieler, die jetzt gefehlt haben, verstärken werden. Bei den Top-Favoriten aus Kanada, den USA, Schweden oder Finnland wird es so sein, dass maximal drei bis vier Spieler aus den WM-Teams eine Chance haben werden, überhaupt in Mailand und Cortina dabei zu sein. Hier kommt eine geballte Ladung an Top-Spielern auf uns zu. Das bedeutet nicht automatisch, dass wir chancenlos sein werden, da in einem einzigen Spiel immer sehr viel passieren kann. Aber im Kampf um eine Medaille sind wir definitiv ein Aussenseiter. Das Olympiaturnier wird hinsichtlich individueller Klasse deutlich besser besetzt sein als eine WM.
Leonardo Genoni spielte abermals eine starke WM. Weshalb war er in der NHL nie ein Thema?
TR: Weil er mit 1,80 Meter rund zehn Zentimeter zu klein gewachsen ist. Ich bin überzeugt, dass er aufgrund seiner Stärken im Lesen des Spiels auch in der NHL hätte bestehen können, nur ist die NHL dafür vielleicht eine Spur zu konservativ. Torhüter, die nicht der heutigen Norm (1,90m und mehr) entsprechen haben es sehr schwer, eine Chance zu bekommen. Und das hat auch einen Grund. In den Augen vieler ist das Spiel so schnell geworden, dass selbst pfeilschnelle Goalies nicht mehr die Möglichkeit haben rechtzeitig zu verschieben oder zu reagieren. Deshalb setzt man auf schnelle Torhüter, die aber darüber hinaus alleine schon mit ihrer Masse einen möglichst grossen Teil des Tores abdecken.
Dass auf die Schweiz möglicherweise schwierigere Jahre zukommen werden, haben wir bereits besprochen. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder über die Erhöhung der Ausländerzahl auf sechs diskutiert, die jungen Schweizer Talenten den Einstieg in der NL erschweren, bzw. deren Entwicklung hemmen soll. Aber macht mehr Konkurrenz nicht auch besser?
TR: Meiner Meinung nach wird dieses Thema etwas zu heiss gekocht. Tendenziell glaube ich schon, dass die Erhöhung der Anzahl Imports eher ein Fehler war, die Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Eishockeys werden aber massiv überschätzt. Denn das Argument, dass mehr Konkurrenz besser macht, ist durchaus legitim und wird auch immer wieder in anderen Ländern unter Beweis gestellt. Gerade in Deutschland spielen seit Jahren massiv mehr Imports als bei uns, trotzdem schafften sie es, in dieser Zeit tolle junge Spieler hervorzubringen (Leon Draisaitl, Tim Stützle, Jason Peterka, Moritz Seider), die sich in diesem Umfeld durchsetzten.
Sie selbst stehen aktuell vor der zweiten Saison als GM beim EHC Olten. Auf dem Papier könnte die Sky Swiss League ein tolles Sprungbrett für talentierte Youngster auf dem Weg ins Profi-Eishockey sein – ist sie das auch?
TR: Eine schwierige Frage. Rein sportlich kann sie das sein. Einerseits für Junioren, die zu gut fürs Juniorenhockey sind und sich hier auf höherem Niveau messen und verbessern können. Andererseits für junge Spieler, die in der NL um ihren Platz im Team kämpfen müssen und in der Swiss League viel Eiszeit erhalten. Das Problem: Wirtschaftlich gesehen, wird die Kluft zwischen NL und SL immer grösser. Selbst für Spieler, die im Oberhaus quasi das fünfte Rad am Wagen sind, lohnt sich ein Abstecher in die Swiss League finanziell mittlerweile überhaupt nicht mehr.
Die Sky Swiss League zu verlassen (via Ab- oder Aufstieg) ist ziemlich schwierig. Ist das eher ein Vorteil (Planungssicherheit) oder ein Nachteil (weniger attraktiv für Zuschauer / Sponsoren)?
TR: Meiner Meinung nach ist die fehlende Durchlässigkeit ein grosses Manko in unserem Profi-Eishockey und müsste dringend korrigiert werden. Klar, auch ich habe ein gewisses Verständnis für finanzielle Überlegungen und den Aspekt der Planungssicherheit, aber so, wie der Auf- und Abstieg aktuell bei uns geregelt werden, ist es sportlich ein Desaster. Dabei zeigt das Beispiel Deutschland, wie es auch funktionieren könnte. Dort floriert die DEL 2, auch, weil die Durchlässigkeit gegeben ist. Was mir zudem ein Dorn im Auge ist: Wie die B-Lizenzen - und somit das hin und her transferieren von Spielern zwischen NL und SL - gehandhabt werden, ist nicht im Sinne des Sports, auch wenn wir in Olten in der letzten Saison kurzfristig davon profitiert haben. Der Wettbewerb wird so verfälscht.
Zum Schluss: Am Wochenende findet der NHL Draft in Los Angeles statt. Mit welchen Erwartungen sollen wir Schweizer den Event mitverfolgen?
TR: Im Bewusstsein, dass in diesem Jahr voraussichtlich kein Schweizer Spieler in der 1. oder 2. Runde gezogen werden wird. Am ehesten traue ich Goalie Elijah Neuenschwander einen Draft zu. Spieler wie Jamiro Reber, Ludvig Johnson, Mike Aeschlimann, Guus Van der Kaaij, Jeremiah Mundy oder Daniil Ustinkov haben Aussenseiterchancen. Vermutlich wird der eine oder andere aus dieser Gruppe in einer späteren Runde gezogen.
Und wenn wir auf die kommenden beiden Jahre blicken: Sehen die Perspektiven für einen Schweizer Top-Pick dann besser aus?
TR: Ja, das tun sie. 2026 kommen Lars Steiner, der sich in der Quebec Major Junior Hockey League gut entwickelt hat, und einige weitere Talente in den Draft, 2027 Noah Neuenschwander (EHC Biel). Leider wird der Jahrgang 2008 den Abstieg der U18 ausbaden müssen, trotzdem haben sie Stand jetzt die Möglichkeit, sich in den Bereich der zweiten oder dritten Draftrunde zu spielen. Und Neuenschwander könnte sich bis 2027 sogar zum nächsten Schweizer Erstrundendraft entwickeln.