Überflieger Holden, Sniper Frk und Strafenkönig DiDomenico?
139 Tage nachdem Servette die Finalissima gegen Biel gewinnen konnte und sich erstmals als Schweizermeister feiern liess, eröffnen heute Abend Gottéron und Lausanne die neue Eishockeysaison (auf Sky Sport mit MySports). Was uns in den nächsten Monaten erwarten könnte, zeigt das folgende «Kaffeesatzlesen» – im Wissen, dass die Realität meist ganz anders ist...
Wer wird Meistertrainer?
Titelverteidiger Servette, die ZSC Lions oder auch der EV Zug verfügen zweifellos über so viel Substanz, dass man sie sich ohne zu zögern als Meister 2024 vorstellen kann. Ihre Headcoaches Jan Cadieux (Servette), Marc Crawford (ZSC Lions) und Dan Tangnes (EVZ) wurden ja auch schon Meister. Aber auf einen aus diesem Trio zu setzen, ist doch ein sehr fantasieloser Tipp. Also gehen wir einen etwas weniger konservativen Weg – und setzen auf den HC Davos und Josh Holden. Einverstanden, es ist der Rekordmeister und da kommt ein Titelgewinn fast nie ganz überraschend. Doch bei den Bündnern dauert das Warten auf einen Erfolg halt doch schon eine Weile an. Meister wurde der HCD letztmals 2015, am Spengler Cup datiert der letzte Triumph gar aus dem Jahr 2011, jeweils noch mit Zampano Arno Del Curto an der Bande. Seinen Nachfolgern Harijs Vitolins und Christian Wohlwend sowie dem Interimsduo Waltteri Immonen und Glen Metropolit blieb der finale Jubel verwehrt – und so darf sich nun Josh Holden versuchen. Der gebürtige Kanadier hat in der Schweiz als Spieler tiefe Spuren hinterlassen und polarisiert. Nach seinem Rücktritt hat er im EV Zug als Assistent von Dan Tangnes Coaching-Erfahrungen gesammelt und bekommt nun in Davos erstmals die Chance, sich als Headcoach zu versuchen. Aus Zug weiss er, wie man Meister wird. Wieso soll Josh Holden nicht auch in der Davoser Höhenluft zum ultimativen Überflieger werden und den HCD zum 32. Meistertitel führen?
Wer wird als erster Coach gefeuert?
Die Flugparade ist ein allseits beliebtes Tippspiel – also beteiligen wir uns doch auch daran. Letzte Saison wurden in der National League fleissig Trainer gewechselt, sechs insgesamt – in Lugano, Bern, Davos, Lausanne, Ajoie und bei den ZSC Lions – und dies mit überschaubarem Erfolg. Wenn die Managements nun ihre Aufgaben richtig gelöst haben und in etwas schwierigeren Situationen vielleicht etwas kühleren Kopf bewahren, sollte es doch weniger Übungsleiter erwischen. Aber Kandidaten gibt es dennoch. Wir setzen auf Petri Matikainen, der in Biel als Headcoach übernommen hat. Er tritt ein äusserst schwieriges Erbe an, denn der leider wieder an Krebs erkrankte Antti Törmänen war bei den Spielern, im Klub und bei den Fans beliebt, sehr smart, ein Menschenversteher – und dazu erfolgreich. Matikainen verkörpert dagegen einen Stilwechsel. Die Frage ist, ob die Spieler des Vizemeisters mit der explosiven Art des Trainers, der in der Garderobe doch auch mal richtig toben kann, umgehen können oder ob es zu einer Meuterei kommt. Denn offenbar haben sich die Spieler ja gegen die Verpflichtung von Christian Wohlwend gewehrt. So oder so: Mit dem Stilwechsel geht Biels Sportchef Martin Steinegger ein so grosses Risiko ein, dass wir Petri Matikainen auf der «Fire-Liste» ganz oben sehen.
Wer wird der beste Torschütze?
Sie sind Gold wert für die einzelnen Teams, die Spieler, die vor dem gegnerischen Kasten cool, bleiben und ihre Chancen verwerten. In der letzten Saison war Servettes Finne Teemu Hartikainen mit 28 Treffern der beste Torschütze, vor dem Davoser Matej Stransky (25) und dem Quartett Tyler Moy (Lakers), Juho Lammiko (ZSC Lions), Aleksi Saarela (SCL Tigers) und Filip Chlapik (Ambrì-Piotta), die alle 24 Mal einnetzten. Bis auf Chlapik spielen auch in der neuen Saison in der National League und sind Kandidaten für die inoffizielle Ehrung als Torschützenkönig. Doch es gibt auch viele weitere Spieler, die dafür in Frage kommen – beispielsweise Chris DiDomenico, der vom SCB zu Gottéron zurückgekehrt ist, bei dem jedoch die Gefahr besteht, dass er wegen seiner «kurzen Zündschnur» ab und zu gesperrt zuschauen muss. Oder auch der Tscheche Martin Frk, der neu für den SCB stürmt. Er geniesst den Ruf, eine Goalmaschine zu sein und über eine überdurchschnittliche Schussqualität zu verfügen. In den letzten zwei Saisons hat er in der AHL in 132 Spielen stattliche 77 Tore erzielt. Hält er diese Pace, knackt er in der National League wohl die 30-Tore-Marke.
Wer sammelt am meisten Assists?
Der erste Anwärter auf den Sieg in diesem Ranking ist Roman Cervenka, der in der vergangenen Regular Season in 43 Spielen 43 Assists realisierte und der mit Abstand beste Passgeber war. Beim Tschechen ist dies Programm – er war auch schon Assistkönig an Weltmeisterschaften und in der Extraliga. Cervenkas Klasse ist definitiv unbestritten, es stellt sich höchstens die Frage, ob und inwiefern der Körper des bald 38-jährigen Stürmers den Strapazen einer Regular Season Tribut zollen muss. Potenzielle Erben gibt es da auch unter den neuen Gesichtern der National League, beispielsweise Servettes Sakari Manninen, der sich einst schon in der KHL bei Salavat Yulaev Ufa als guter Partner von Torminator Hartikainen erwiesen hat. Oder natürlich Denis Malgin, der aus der NHL in die Schweiz zurückgekehrt ist und die Fans der ZSC Lions verzaubern wird.
Wer wird der Strafenkönig?
Härte, Intensität und Strafen gehören zum Eishockey dazu. Und da gibt es natürlich auch Spieler, die besonders auf Härte setzen oder andere, die ihre Nerven nicht immer im Griff haben und auch wegen Reklamierens immer wieder mal in die Kühlbox oder unter die Dusche müssen. So oder so, Chris DiDomenico ist auf jeden Fall ein heisser Kandidat für den Titel des Strafenkönigs. Ausser es gelingt Coach Christian Dubé, seinen eigenwilligen Landsmann zu zähmen. Was aber schade wäre, zumal DiDo genau aus diesen hitzigen Situationen Energie zieht und oftmals dann am besten ist, wenn er emotional auf Hochtouren läuft.
Wer wird der Hexenmeister?
Der Tscheche Simon Hrubec (ZSC Lions) oder die Finnen Harri Säteri (Biel), Janne Juvonen (Ambrì), Juha Metsola (Kloten) und Mikko Koskinen (Lugano) oder neu der Schwede Adam Reideborn (SC Bern): In der National League tummeln sich zahlreiche internationale Klasse-Goalies. Dazu kommen nationale Top-Keeper wie Leonardo Genoni (Zug), Reto Berra (Gottéron), Robert Mayer (Servette), Joren van Pottelberghe (Biel) oder auch Sandro Aeschlimann (HCD), um nur einige zu nennen. Das sorgt für eine enorme Qualität – und dass Details entscheiden, wenn es darum geht, den besten Torhüter einer Saison zu bestimmen. Das wird auch in der neuen Saison wieder so sein. Wir entscheiden uns für einheimisches Schaffen und setzen Leonardo Genoni auf die Top-Position. Denn der 36-jährige Routinier wird nicht nochmals eine so schwache Regular Season zeigen wie 2022/23, als er nur gerade 89,80 Prozent der gegnerischen Schüsse parierte.
Wer wird der Shootingstar?
Jahr für Jahr tauchen junge Spieler in der National League auf und sorgen für Furore. In der vergangenen Saison war dies beim österreichischen Verteidiger David Reinbacher so, der in Kloten so stark spielte, dass er im Draft 2023 in der ersten Runde und als Nummer 5 insgesamt von den Montreal Canadiens gezogen wurde. Nun lohnt es sich wohl, erneut besonders auf einen Verteidiger zu achten: Daniil Ustinkov. Letzte Saison kam der schweizerisch-russische Doppelbürger im Alter von nur gerade 16 Jahren unter Marc Crawford bei den ZSC Lions zu seinen ersten Einsätzen in der National League, nun ist davon auszugehen, dass er auch in den kommenden Monaten immer wieder in der Swiss Life Arena für Aufsehen sorgen wird. Und die Chancen stehen gut, dass Ustinkov im kommenden Jahr zum ersten Schweizer Erstrundendraft seit Lian Bichsel im Jahr 2022 wird. Verteidiger Bichsel wurde damals als Nummer 18 insgesamt von den Dallas Stars gezogen.