Union Berlin: Vom Regen in die Traufe - oder wenn fast alles schief läuft
Im Mai 2023 feierte der 1. FC Union Berlin mit der Qualifikation für die UEFA Champions League den grössten Erfolg der Vereinsgeschichte. Ziemlich genau ein Jahr später steckt der Köpenicker Kult-Klub mit seinem bereits dritten Trainer der laufenden Spielzeit mitten im Abstiegskampf. Droht jetzt sogar der Super-GAU?
…und plötzlich ging nichts mehr
Können Sie sich noch an den Saisonstart der «Eisernen» erinnern? Nach zwei Siegen und 8:2 Toren grüsste Union Berlin Ende August 2023 von der Tabellenspitze – und dann ging nichts mehr. Es folgten 14 sieglose Partien mit 13 Niederlagen, eine Serie, die ultimativ Erfolgstrainer Urs Fischer den Kopf kostete. Der hatte die Berliner mit einem Durchschnittskader und «Underdog-Fussball» von der zweiten Liga bis in die CL geführt, ehe der Faden komplett riss. Noch im Sommer hatte sich der Klub zum ersten Mal prominent verstärkt, Stürmer Kevin Volland aus Monaco, Mittelfeld-Ass Robin Gosens von Inter und Abwehrrecke Leonardo Bonucci aus Turin geholt, um so den Schritt vom latent «überperformenden» Aussenseiter zum Bundesligisten von Format zu vollziehen. Doch das Gegenteil trat ein. Auf einmal machte das Team nicht mehr das Beste aus dem Möglichen, sondern verlor sich in ungewohnten taktischen Experimenten. 3-5-2 flach, 3-4-3 flach, 4-2-3-1 oder 3-1-4-2 – plötzlich traten die Berliner nahezu jedes Wochenende mit einer neuen taktischen Ausrichtung an, gewannen damit aber keinen Blumentopf. Nach einem 0:4 bei Bayer Leverkusen im November blieb schliess nur noch eine Option: Trainer Urs Fischer war nach 244 Spielen (Punkteschnitt 1,53) an der Berliner Seitenlinie Geschichte.
Fehlbesetzung Nenad Bjelica
Es folgt eine überraschende Nachfolge-Lösung: Mit dem Kroaten Nenad Bjelica übernahm ein Mann die Nachfolge von Fischer, der bislang «nur» in Österreich, Kroatien, Polen und der Türkei tätig gewesen war. Zwar teilweise und insbesondere bei Dynamo Zagreb (zwei Meistertitel und ein Pokalsieg) mit Erfolg, schlussendlich aber nicht mit dem Renommee, wie man es sich aufgrund der schwierigen Situation hätte erwarten können. Doch zu Beginn seiner Amtszeit lieferte der 52-Jährige wie von ihm gefordert: Aus den Spielen gegen Gladbach, Köln, Darmstadt, Wolfsburg und Hoffenheim resultierten wichtige Siege, es gelang dem ehemaligen Spieler des 1. FC Kaiserslautern die Mannschaft zu stabilisieren. Dabei verkraftete sein Verhältnis zur Mannschaft sogar eine unrühmliche Episode beim Auswärtsspiel in München, in dem Bjelica Ende Januar nach einer Tätlichkeit gegen Bayern-Stürmer Leroy Sané vom Platz flog. Schliesslich scheiterte der dreifache Kroatische Trainer des Jahres auch nicht am mangelnden Vertrauen seiner Spieler, sondern an der zunehmenden Konzeptlosigkeit sowie einem Mangel an Antworten auf spieltaktische Probleme. Zu oft agierte Union unter Bjelica mit zu viel Bauch und zu wenig Kopf, eine Entwicklung, die ihn schlussendlich am vergangenen Wochenende nach der 3:4 Heimniederlage gegen den VfL Bochum den Job kostete.
Ein Jugend- sowie zwei Co-Trainer sollen’s richten
Und jetzt? Nach zuletzt sechs sieglosen Spielen in Folge soll nun ein Trio aus dem bisherigen U19-Verantwortlichen Marco Grote sowie den beiden Co-Trainer:innen Marie-Louise Eta und Sebastian Bönig die Kohlen aus dem Feuer holen. Allen Drei gemeinsam ist die mangelnde Erfahrung als Verantwortliche eines Bundesliga-Teams, dafür aber kennen zumindest Grote und Bönig den Verein seit Jahren. In den beiden verbleibenden Runden (auswärts in Köln und vs. SC Freiburg) geht es nun einzig und allein noch darum, den Ligaerhalt der aktuell auf Platz 15 rangierenden Berliner sicherzustellen und somit von dieser Saison zu retten, was noch zu retten ist. Gelingt dies, kommt man in Köpenick noch einmal mit einem blauen Auge aus einer Spielzeit, in der Sportchef Oliver Ruhnert und Präsident Dirk Zingler sowohl bei der Neubesetzung des Trainerpostens als auch bei der Auswahl und Integration der namhaften Neuzugänge (Bonucci ist bereits wieder weg, Volland steht aktuell bei zwei Saisontoren) zum ersten Mal seit Jahren kein glückliches Händchen bewiesen. Es wäre schade, würden genau diese Fehler die erfolgreiche Aufbauarbeit der jüngeren Vergangenheit in nur einer Spielzeit über den Haufen werfen.