Verhilft eine gute EM dem Schweizer Frauenfussball zum Durchbruch? Zwei Meinungen
Mit dem Auftaktspiel zwischen Island und Finnland erfolgt heute der Startschuss in die WEURO 2025. Was folgt, sind drei Wochen voller Fussball, Emotionen und (hoffentlich) guter Stimmung – und dann? Wird der Grossanlass den Frauenfussball in der Schweiz nachhaltig verändern? Unsere Redaktoren Andy Maschek und Patrick Y. Fischer sind sich nicht einig.
Andy Maschek sagt: Ja
Heute geht sie los, die Frauen-EM in der Schweiz. Es sollen die Festtage des Frauenfussballs sein und ihn in unserem Land ankurbeln, ja gar einen Boom auslösen. 40’697 lizenzierte Spielerinnen, 2743 Trainerinnen, 134 Schiedsrichterinnen und 390 Funktionärinnen: Diese Zahlen finden sich in der Frauen-Statistik des SFV. Das Ziel ist klar: Bis 2027 sollen sie doppelt so gross sein. Es ist ambitioniert, ganz klar, und es muss vieles, wenn nicht alles passen, dass dieses Unterfangen auch gelingt.
Die Rahmenbedingungen sind gegeben. Es ist angerichtet für ein Fussballfest. Die Organisatoren haben ganze Arbeit geleistet, damit ein grossartiges Turnier über die Bühne gehen wird. In den Spielorten von Zürich, Bern, Basel, Luzern oder St. Gallen bis Sion oder Genf: Es ist Begeisterung spürbar. Das Prachtswetter und die einzigartige Kulisse sorgen zudem für das passende Ambiente, damit tolle Bilder um die Welt gehen. Und auch, damit der Frauenfussball in der Schweiz an Popularität gewinnt.
Dies allein reicht aber nicht. Die beste Werbung ist am Schluss der Sport. Nichts lockt mehr als der Erfolg. Und da ist das Schweizer Nationalteam gefordert, muss mit starken, leidenschaftlichen Auftritten und auch mit guten Resultaten überzeugen und den Funken legen, der das Feuer der Begeisterung entfacht. Lia Wälti, Sydney Schertenleib und Co. müssen so die Herzen der Fussballfans erobern und auch in Gartenbeizen und Public Viewings für Interesse sorgen. Und gleichzeitig zeigen, dass es keinen Grund gibt, den Frauenfussball zu belächeln.
Natürlich, der Frauenfussball hinkt den Männern hinterher, wobei diesbezügliche Vergleiche unfair sind. Um in der Gunst der Fans weiter nach oben zu steigen, müssen aber generell Geschichten geschrieben und Heldinnen geboren werden. Die Bühne dafür ist mit der EM vorhanden. Die mediale Aufmerksamkeit ist den Schweizer Kickerinnen gewiss. Noch vor ein paar Jahren wäre die aktuelle Präsenz undenkbar gewesen, auch wenn sich der Frauenfussball Schritt für Schritt immer stärker ins allgemeine Bewusstsein gespielt hat.
Die EM ist nun der Steilpass, der verwertet werden muss. Die Nationalspielerinnen müssen sportliche Schlagzeilen produzieren, zeigen, dass es sich lohnt, seinen Traum zu leben. So zu Vorbildern werden und attraktive Botschafterinnen sein, die bereits den nächsten Angriff auslösen – der dazu führt, dass Unternehmen den Wert und die Möglichkeiten erkennen, über die der Frauenfussball verfügt. Die Euro ist so etwas wie das «Hallo wach», die Nati kann mit starken Auftritten die Basis legen, damit in naher Zukunft auch die nationale Liga wächst und mehr Aufmerksamkeit geniesst. Was in der Konsequenz dann unter anderem dazu führt, dass viele junge Mädchen von einer Fussballkarriere träumen, frei nach dem Motto: «Kick it like Schertenleib».
Patrick Y. Fischer sagt: Nein
Zugegeben: Der Zeitpunkt, um dem Frauenfussball in der Schweiz eine mehr oder minder überschaubare Zukunft vorherzusagen, könnte schlechter kaum sein. Denn am Tag des Eröffnungsspiels der WEURO 2025 und eigentlich schon seit ein paar Wochen sind die Schweizer Fussball-Frauschaft und das anstehende Heimturnier die dominierenden Themen in den Sportgazetten unseres Landes. Entsprechend würde ich meiner Antwort auf die Kernfrage unserer heutigen Diskussion gerne ein «es ist kompliziert» vorausschicken.
Denn eines ist für mich klar: Die Europameisterschaft wird den Frauenfussball in der Schweiz ankurbeln, ihn für eine kurze Zeit zu einem allgegenwärtigen Thema machen und so dessen gesamte Entwicklung in noch nie dagewesenem Masse nach vorne treiben. Und das so ziemlich unabhängig von den Resultaten der Schweizer Nati. Denn ganz egal wie die Schweizerinnen am Heimturnier abschneiden werden, das kurzfristige Aufmerksamkeitsplus und die dominierende mediale Präsenz werden dafür sorgen, dass eine ganze Generation junger Mädchen und Frauen sich auch einmal mit dem Ball am Fuss wird versuchen wollen. Eine Verdoppelung der Zahl der Fussballerinnen auf 80‘000 bis 2027 ist das Ziel der SFV-Legacykampagne «Here to stay». Es ist realistisch.
Aber hierin liegt auch die Krux: Um den Frauenfussball langfristig zu etablieren, braucht es mehr, als eine deutlich breitere Basis an aktiven Spielerinnen. Diese mag für eine positive sportliche Entwicklung unabdingbar und für Sponsoren interessant sein, um aber den Schritt zum relevanten Publikumssport zu machen, braucht es vor allem ein grosses Publikum, bestehend aus Frauen und Männern, Mädchen und Jungen. Ein Publikum, welches die Sportart auch abseits des Event-Highlights EM verfolgt, das auch im kommenden und darauffolgenden Herbst Spiele in der Women’s Super League League besuchen wird, das sich Vorbilder aussucht und Merchandise der einzelnen Teams und ihrer Aushängeschilder kauft. Kurz, echte Fans, die sich mit leidenschaftlicher Hingabe für den Frauenfussball interessieren. Und genau die – befürchte ich – werden in der Schweiz auch nach der EM fehlen.
Und Schuld daran sind vor allem sie: Die Männer aus der Brack Super League, der National League, ja vermutlich auch aus der NBA, der NFL, der Formel 1 und weiteren führenden Sportarten und Wettbewerben, die mit ihren Darbietungen die Aufmerksamkeit der Sportfans beider Geschlechter auf sich ziehen. Weil sie ein Produkt kreieren, das gemäss der subjektiven Wahrnehmung ganz vieler (männlicher und weiblicher) Sportfans deutlich attraktiver ist, als der Frauenfussball. Weil sie Sport faszinierender und unterhaltender zelebrieren als der Frauenfussball und ganz viele andere Sportarten, in denen Sportler:innen ebenfalls auf höchstmöglichen Niveau performen und dennoch nur eine verhältnismässig kleine Masse nachhaltig begeistern. Und genau darum geht es schlussendlich im Sport- und Unterhaltungsbusiness. Ansonsten wären Sportarten wie Turnen, Schwimmen oder auch die Leichtathletik nicht nur alle vier Jahre Themen, die grosse Teile der Bevölkerung wirklich zu begeistern vermögen.