Wird Viktor Gyökeres Arsenal endlich die Lösung bringen?
Methodisch, ultra-rational und akribisch – so lässt sich der Ansatz der Gunners wohl am treffendsten beschreiben. Und doch endet die Saison erneut auf enttäuschende Weise: kein einziger Titel findet den Weg in die beeindruckende Trophäenvitrine des Klubs. Während die beiden ungeliebten Nachbarn munter auf dem Welt- und Europamarkt einkauften und das Arteta-Projekt in seine Reifephase tritt, bleibt die Frage: Reicht die Verpflichtung des hochgehandelten Schweden, um das bittere Muster zu durchbrechen?
Obwohl Arsenal dem strauchelnden Liverpool und dem nicht unschlagbaren City auf den Fersen war, gelang es Mikel Artetas Team erneut nicht, die Premier League für sich zu entscheiden. Noch schlimmer: Trotz einer beeindruckenden internationalen Kampagne – Platz 3 in der Ligaphase und der krachende Sieg gegen Real – schied Arsenal letztlich kläglich im Parc des Princes aus. Und das, obwohl man das Rückspiel gegen Paris klar dominierte.
Währenddessen hat Chelsea einen weiteren europäischen Titel hinzugefügt. Und – Sakrileg – selbst der sonst verspottete Lokalrivale aus North London gewann ein bedeutendes internationales Relikt: Durch einen Sieg gegen United in Bilbao sicherten sie sich die Europa League.
Taktik und Strategie
Trotz eines durchdachten, dynamischen und vertikalen Spielmodells – inklusive starker Standardsituationen – gelingt es Arsenal nicht, die eigene Theoriearbeit in Zählbares umzumünzen. Beim Hinspiel gegen PSG taktisch ausgecoacht, stellten die Gunners im Rückspiel ihre offensive Struktur komplett um und dominierten Paris nach Belieben.
Durch gezielte Rotationen und kluge Positionswechsel entkam Arteta dem Pariser Pressing – und entschlüsselte die Offensivfalle, die im Hinspiel so effektiv war. Dennoch: Für den Finaleinzug reichte es nicht.
Schon in der zweiten Hälfte des Hinspiels zeichnete sich dieser Wandel ab: Timber, eigentlich dritter Innenverteidiger, schob in Sakas Zone vor, während sich Saliba in einen rechten Aussenverteidiger verwandelte. In einem theoretisch offensichtlich lange vorbereiteten Rotationsschema (u. a. Partey als zentraler Innenverteidiger, Ødegaard als Sechser) zerlegte Arsenal das brillant organisierte Pariser Pressing.
Mit zerstörter Pressinghöhe und manipulierten Zuweisungen fällt PSGs defensive Ordnung auseinander – das übliche signature alignment muss aufgegeben werden, das Team hetzt kopflos in Richtung eigenes Tor.
Ebenfalls akribisch vorbereitet: das lange Spiel sowie die weiten Einwürfe von Arsenal zwingen Paris von Beginn an tief in die eigene Hälfte, wo sie praktisch bis zum Schlusspfiff festgenagelt bleiben. Bereits die oben beschriebene Sequenz mündet in einen Einwurf von Partey und Ødegaards berühmtem Distanzschuss, den Donnarumma in höchster Not pariert.
Dies ist nur ein Beispiel für die vorbildliche Arbeit am Taktikboard – ein Bereich, in dem Arsenal mit Sicherheit nicht zu den Nachlässigen gehört. Man hätte übrigens genauso eine lobende Analyse über das starke Pressing im Parc schreiben können.
Natürlich fällt in diesem Kontext der Blick auf die ikonische Zone der Wahrheit: den Strafraum. Jenen Ort, an dem Spiele gewonnen – und nicht bloss geplant – werden. So nah dran, und doch so weit entfernt: Die Gunners müssen die Heimreise antreten. Ihr Gegner hingegen weiss im Chaos zu improvisieren, verlässt den strukturierten Pfad – und erreicht das Ziel, dem letztlich jede Strategie dienen sollte: den Sieg.
"I don't think there's been a better team in the competition so far"
— Football on TNT Sports (@footballontnt) May 7, 2025
Mikel Arteta speaks on the progress of his Arsenal team, and believes they've been the best team in the Champions League despite losing to PSG 💪
🎙@Becky_Ives_ | 📺 @tntsports & @discoveryplusUK pic.twitter.com/KeiXX3PAtu
Eine (zu) durchdachte Variabilität?
In einer weiteren Sequenz dieses Positionswirbels, der Paris komplett aus dem Konzept bringt, befindet sich Ødegaard plötzlich in perfekter Abschlussposition – im Jargon der Champions League, wohlgemerkt.
Wie viele seiner Mitspieler in vergleichbaren Momenten begeht der Däne jedoch einen unverzeihlichen Fehler auf diesem Niveau: er zögert. So verpufft eine grosse Ausgleichschance. Hätten die Gunners im Parc das 1:0 gemacht, hätten sie die verbleibenden Minuten der doppelten Begegnung aus einer idealen Position bestreiten können. Doch dieser unnötige zusätzliche Kontakt ist tödlich – auf diesem Level ist jede Verzögerung gleichbedeutend mit dem Verlust des entscheidenden Moments.
Genau darin liegt das Paradoxon von Arteta: Indem er ein Maximum an Vertikalität, Läufen, Bewegungen und Variationen in ein ursprünglich starres System (das von Pep Guardiola, bei dem er einst Co-Trainer war) einbringt, kehrt der Baske in gewisser Weise zurück zum 4-2-3-1 – einem System, das theoretisch einfacher, weniger konzeptuell ist. Und doch bleibt ein Mangel an Spontaneität bestehen – wohl auch, weil Artetas komplexe taktische Vorarbeit in Offensive wie Defensive den Spielern die Freiheit nimmt.
Weit entfernt von einem Einzelfall ist auch Salibas fatales Zögern, das fast zu einem Pariser Kontertor führt (kurz vor dem 1:0). Es ist wohl direkt mit der Vielzahl und Komplexität der taktischen Konzepte verbunden, die Arteta seinen Spielern mitgibt – Konzepte, deren Vielfalt im Parc besonders deutlich wurde.
Man sieht deutlich, wie auch die Viererkette permanent verschoben wird, um maximale Verwirrung beim Gegner zu erzeugen. Lewis-Skelly etwa, im Parc deutlich breiter positioniert als sonst, wechselte zwischen den Rollen des Aussenverteidigers, Sechsers und Innenverteidigers. Auch Partey und Saliba rotierten munter in jenem beschleunigten Ballett, das die Mittelfeldspieler einbezog.
Doch erneut prallt diese künstliche Beweglichkeit von der Taktiktafel an der fatalen Zögerlichkeit der Akteure auf dem Rasen ab.
Kopf gesenkt, ohne klare Orientierung, spielt der französische Innenverteidiger einen laschen Pass – offenbar unentschlossen zwischen Aussen- und Innenverteidiger – ins Nirgendwo. Barcola antizipiert, sticht dazwischen und stiehlt einen Ball, der nie hätte verloren gehen dürfen.
Solche Tendenzen zur Slapstick-Einlage sieht man auch in der Premier League – etwa gegen Crystal Palace. Matetas Tor kostete Arsenal zwei wertvolle Punkte.
Weiter vorne auf dem Platz gibt es unzählige Beispiele dafür, dass das Problem weniger im „System“ oder in der „Animation“ liegt – sondern im einzelnen Spieler.
Timber etwa steht im Strafraum mit Blick zum Spiel – er sieht ein leicht komplexes, aber völlig machbares Passfenster, um Partey in den Lauf zu bedienen und so eine Riesenchance zu kreieren. Doch er erkennt es nicht.
Während Arteta seine Spieler zu direkten Lösungen anhält, verlieren diese – aus unerfindlichen Gründen – wertvolle Sekunden mit dem Blick aufs GPS.
Just do it
Selbst das Hinspiel-Viertelfinale gegen Real Madrid – obwohl geprägt von zwei direkten Freistosstreffern – trägt die Handschrift dieser schulmeisterlich timiden Spielweise.
Als „moderner Klub“ im strengsten „scientistischen“ und rationalistischen Sinn scheitert Arsenal oft an allem, was sich nicht objektiv messen oder quantifizieren lässt. Der Versuch, alles zu theoretisieren, beraubt die Gunners eines entscheidenden Faktors: der Entschlossenheit. Etymologisch liegt in der „Détermination“ das Ende der unnötigen Umwege.
Und obwohl Arsenal taktisch überragend gegen Real agiert, können geometrische Konzepte oder algorithmische Komplexität nicht ersetzen, was letztlich fehlt. Zwei Sequenzen machen dies besonders deutlich: Die Körpersprache von Lewis-Skelly (nach hinten gelehnter Oberkörper, steifes Bewegungsmuster) verrät einen Spieler, der sich kaum auf seine Intuition verlässt. Selbst Rices Volley mit dem linken Innenrist wirkt zu brav, zu bemüht – nicht entschlossen.
Der Kontrast zum legendären Tor des Real Madrid 2018 in Turin ist frappierend: Marcelo, Isco und CR7 denken nicht nach – sie handeln im Rhythmus. Alles ist essenziell, nichts überflüssig. Isco komponiert intuitiv, seine Bewegungen wirken fliessend – CR7 trifft den Ball, ohne zu überlegen, mit einem einzigen Ziel: das Tor.
Determination : action de déterminer, fixer quelque chose avec précision.
— Victor Lefaucheux (@Premieretouche) August 1, 2025
Du latin determinare (fixer une limite, achever, borner).
Ce à quoi on fixe un terme dans une action déterminée : les tergiversations et les fioritures qui éloignent du but.pic.twitter.com/HV6dbzn96z
Auch das Jahr zuvor hatte CR7 gegen denselben Gegner einen Treffer erzielt, der exakt jenes Element zeigt, das Arsenal in seinem „künstlich vertikalisierten“ Spielansatz vermissen lässt – echte Zielstrebigkeit.
Retour sur Ronaldo qui demande une passe à Modric au niveau du genou et Modric la donne sans regarder. 🥶
— Kenpachi (@Kenpachi1070) July 11, 2024
pic.twitter.com/IQkTLzkvwb
Die Gunners des Jahres 2025 hingegen verteilen Pässe „in den Zig“, wenn eigentlich „der Zag“ gefragt war – auch im selben Viertelfinale. Lewis-Skelly bleibt erneut zu sehr im Plan verhaftet, zu wenig im Moment: Sein Pass auf Saka – komplett im falschen Timing – ist sinnbildlich.
Der Torriecher
Angesichts der zahlreichen verletzungsbedingten Rochaden, die Arteta im Zentrum der Offensive vornehmen musste, und der Tatsache, dass seine kollektive Mobilitätsphilosophie kaum eine klar definierte Zielperson zulässt, stellt sich die Frage: Wäre es überhaupt sinnvoll, die Londoner Schwächen im Strafraum allein faktisch zu analysieren – und mechanisch zu ermitteln, in welchem Ausmass ein reiner Fussballer wie Viktor Gyökeres sie beheben könnte?Die Defizite der Gunners liegen tiefer.
Zweifelsohne: Das dynamische, schnörkellose Spiel von Amorim, in dem Gyökeres bei Sporting aufblühte, weist viele Gemeinsamkeiten mit dem System Arsenals auf. Und sein „Kopf runter und durch“-Profil, mit dem er Räume verschlingt, dürfte problemlos in das Londoner Spielgefüge integrierbar sein.
Doch letztlich geht es – in der nunmehr siebten Saison unter Mikel Arteta – nur noch um eines, in zwei Silben: Titel. In diesem Kontext kann die Spontaneität, die Gyökeres bei einigen seiner ikonischsten Tore gezeigt hat, den Gunners sicher nicht schaden.
Ob im Klassiker gegen Porto 2024 oder dieses Jahr in der Königsklasse gegen Lille: Gyökeres bewies, dass er scheinbar blockierte Situationen mit Entschlossenheit und Torriecher zu lösen weiss. Eng gedeckt von Pepe, gelingt ihm eine technisch starke Aktion – und ein spontaner Abschluss aus spitzem Winkel.
Allerdings sind seine Auftritte auf europäischer Bühne sehr inkonstant. Gegen den BVB beispielsweise verabschiedete er sich torlos – und enttäuschend – aus dem Wettbewerb. Auch wenn er in vielen Aspekten noch Luft nach oben hat – insbesondere im körperbetonten Spiel – bringt er eine Eigenschaft mit, die Arsenal guttun könnte: eine gewisse Wildheit.
In einer Ära, in der der Markt für Neuner durch Saudi-Arabien (und auch die Türkei) neu geordnet wird, wirken klassische „Superstar-Nummer-9s“ wie Duran oder Osimhen fast aus der Zeit gefallen – und dennoch wäre jeder von ihnen ein Gewinn für jede Top-Mannschaft der Premier League. Gyökeres hingegen – günstiger verpflichtet als Gonçalo Ramos – wird trotz aller PR-Offensiven niemals der neue Drogba oder van Nistelrooy sein.
Nichtsdestotrotz: Sein kampfbetontes, intuitives Profil bringt interessante Elemente für eine Mannschaft mit, die nicht unbedingt neue Fähigkeiten braucht – sondern vielmehr ihr Spiel vereinfachen, ihre Wege verkürzen und den Kopf freibekommen muss, um endlich das zu tun, was alle erfolgreichen Teams auszeichnet – etwas, das sich nicht lehren lässt: Abschliessen.