skysport.ch
Sky Sport

Live-Sport ansehen auf

Sky Sport
Analysen Fussball

Wanner und Bayern: Das Ende eines toxischen Politikums

Was wirklich hinter dem Abgang von Top-Talent Paul Wanner steckt – eine kommentierende Analyse von Sky Sport Reporter Kerry Hau.

media_api_sky_de_699751668a83fb603f62
Paul Wanner verlässt den FC Bayern. © Imago

Was wirklich hinter dem Abgang von Top-Talent Paul Wanner steckt – eine kommentierende Analyse von Sky Sport Reporter Kerry Hau.

Die Botschaft von Max Eberl am 31. Juli in Richtung Paul Wanner war unmissverständlich. "Er hat jetzt eine grosse Chance, sich zu zeigen", meinte der Sportvorstand des FC Bayern mit Blick auf den arg ausgedünnten und von Verletzungen heimgesuchten Kader.

Drei Wochen später ist Wanner weg. Auf eigenen Wunsch. Weil er für sich eine bessere Perspektive und den logischen nächsten Schritt auf der Karriereleiter bei der PSV Eindhoven sieht. Dass Wanner künftig nicht mit Harry Kane, Michael Olise und Co. auf Torejagd gehen möchte, sondern lieber in der Eredivisie spielen will, wird in der öffentlichen Wahrnehmung - befeuert durch die Aussagen von Sportvorstand Eberl am Donnerstag - als Anflug von Bequemlichkeit interpretiert.

Das Narrativ, Wanner habe nicht genug Mumm und Mut, kratzt maximal an der Oberfläche. Wäre Wanner ein bequemer Typ, der glaubt, ihm fliege alles von allein zu, hätte er den FCB in den vergangenen beiden Jahren nicht proaktiv darum gebeten, sich für mehr Spielzeit und Erfahrungen im Profibereich verleihen zu lassen.

Wanner geht den unbequemen Weg

Während viele Top-Talente für sich sofort einen festen Platz in der ersten Mannschaft beanspruchen und enorme Schwierigkeiten in puncto Selbsteinschätzung aufweisen, ging Wanner tatsächlich einen sehr unbequemen Weg. Raus aus der Millionen-Metropole München, raus aus der Bling-Bling-Kabine an der Säbener Strasse. Erst ins sehr kleine Elversberg, dann ins kleine Heidenheim. Und auch wenn in der Rückrunde in Heidenheim nicht alles glatt lief: Die Lernkurve ging bei ihm steil nach oben.

Fussballerisch war der technisch versierte Linksfuss schon länger bereit für die Bundesliga. Körperlich und mental aber bei weitem nicht. In diesen Bereichen hat Wanner wichtige Schritte gemacht. Vor allem hat er verstanden, dass Geduld, Konstanz und Behutsamkeit für seine eigene Entwicklung notwendig sind - und zu viel Trubel um seine Person ihm in seiner momentanen Lebensphase nicht guttut.

Als Bundestrainer Julian Nagelsmann ihn nach ein paar vielversprechenden Auftritten zu Beginn seiner Heidenheim-Zeit anrief, um ihn zur A-Nationalmannschaft einzuladen, bat Wanner ihn darum, erst einmal zu warten. Er müsse sich noch entwickeln und diese Leistungen bestätigen - sowohl in Heidenheim als auch bei der deutschen U21. Welcher andere Teenager hätte so reagiert?

Komplexe Wanner-Personalie

Was Aussenstehenden bei der aktuellen Debatte um Wanners Eindhoven-Wechsel nicht bewusst ist: Die Personalie ist seit vielen Jahren ein komplexes, fast schon toxisches Politikum beim FCB. Seit Januar 2022, kurz nach seinem 16. Geburtstag, um genau zu sein.

Wanner kam infolge einer Corona-Welle bei den Profis zu seinem Debüt in der Bundesliga. Es war ein unverhoffter Zug von Nagelsmann, damals kurioserweise noch Bayern-Trainer, denn eigentlich planten der Spieler und seine Familie schon zu jenem Zeitpunkt den Abflug.

Nach Recherchen von Sky Sport war sich Wanner mit dem VfL Wolfsburg einig. Der damals von Florian Kohfeldt trainierte Bundesligist bot ihm bereits für die Rückrunde reichlich Profi-Spielzeit in einem ruhigen und gesunden Umfeld. Als sich eine Person aus der Chefetage der Wölfe bei Hasan Salihamidzic meldete, um ihn über den geplanten Wanner-Wechsel zu informieren, soll der damalige Bayern-Sportvorstand unüberhörbar in den Büros an der Säbener Strasse getobt haben.

Entwicklung in Elversberg & Heidenheim

Nicht nur mit wirtschaftlichen Argumenten gelang es Salihamidzic und seinem Kaderplaner Marco Neppe, den Wolfsburg-Deal zu verhindern. Das Duo Salihamidzic-Neppe sah in Wanner einen zukünftigen Stammspieler und prophezeite ihm einen ähnlichen Durchbruch wie Jamal Musiala. Dass Wanner kurz darauf einen festen Platz im Kader von Nagelsmann erhielt und einen für Jugendspieler-Verhältnisse äusserst lukrativen Vertrag unterschrieb, schaffte Probleme. Denn fortan war nicht nur der Hype um den Jungen gigantisch. Sondern auch der Neid. Vor allem am Campus, dem Nachwuchsleistungszentrum des FCB.

Andere Jugendspieler sowie deren Eltern und Berater legten ein besonderes Augenmerk auf die Auftritte von Wanner. Sie waren teilweise sogar das Gesprächsthema auf den Tribünen bei Spielen der UEFA-Youth-League, der Junioren-Bundesliga oder der Regionalliga Bayern. Sprüche wie "Was der Wanner macht, kann mein Sohn doppelt so gut" gehörten noch der netteren Sorte an. So etwas steckt nicht jeder 16-Jährige locker weg. Die hohe Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit tat ihr Übriges: Wanner konnte nicht konstant überzeugen. Und so entstand spätestens nach dem Aus des Duos Neppe auch innerhalb der Führungsetage der Eindruck, Wanner sei überbewertet und überbezahlt.

In Elversberg und Heidenheim hatte Wanner die Möglichkeit, sich in erster Linie auf Fussball zu fokussieren. In diesem Sommer zurück in München, war für ihn eigentlich klar, wieder gehen zu müssen. Sechs Bundesligisten wollten ihn leihen. Drei europäische Klubs waren bereit, eine stattliche Ablöse im Bereich der 15 Millionen Euro für ihn zu bezahlen. Darunter die PSV Eindhoven.

Wanner trifft auf Bosz in Eindhoven

Der Schritt zum niederländischen Meister ergibt aus mehreren Gründen Sinn. Der ballbesitzorientierte Spielstil von Trainer Peter Bosz passt zu den Stärken von Wanner, der im Abstiegskampf mit Heidenheim zuletzt auch Opfer eines defensiveren Ansatzes war und seine Qualitäten mit Ball so kaum zur Geltung bringen konnte. In Eindhoven kann er nun auch in der Champions League Erfahrungen sammeln. Entscheidend für sein "Ja" an die PSV war aber das Vertrauen des Vereins in junge Spieler.

Bei der PSV haben sich zuletzt mehrere Talente - beispielsweise Malik Tillman, ebenfalls aus der Bayern-Jugend, oder Noch-Leipziger Xavi Simons - hervorragend entwickelt.

An der Säbener Strasse räumten sie Wanner nach aussen hin zwar "eine grosse Chance" ein. Das Gefühl, Kaderplaner und Trainer sind unisono von ihm überzeugt und wollen ihn als Eckpfeiler für die Zukunft aufbauen, soll Wanner aber nicht gehabt haben.

Wenige Talente setzen sich bei Bayern durch

Vertrauen entsteht durch Taten, nicht durch Worte. Und dass begabte Kicker aus dem eigenen Nachwuchs es beim FCB schwer haben und in Aussicht gestellte Spielanteile selten mit der Wahrheit kollidieren, zeigt nicht nur der Fall Wanner.

Mit Adam Aznou bestand zuletzt ein weiteres Top-Talent auf einen Wechsel. Der Aussenverteidiger hatte nicht den Eindruck, gut genug gefördert zu werden, nachdem er auf Wunsch der Bayern extra für die Klub-WM Spiele für die marokkanische A-Nationalelf abgesagt hatte - und in den USA letztlich nur einen Acht-Minuten-Einsatz gegen die neuseeländische Halbprofi-Truppe von Auckland City erhielt.

Angelo Stiller (VfB Stuttgart) und Kenan Yildiz (Juventus) erging es vor ein paar Jahren ähnlich. Auch extern verpflichtete Teenager wie der inzwischen fest an Tottenham Hotspur verkaufte Mathys Tel oder Ryan Gravenberch, mittlerweile unangefochtener Stamm- und Schlüsselspieler beim FC Liverpool, verliessen den Verein, weil sie nicht mehr an den vermeintlichen Plan des Vereins mit ihnen glaubten.

Wenig Vertrauen in Karl, Kusi-Asare, Bischof & Co.?

Sich in dem Münchner Haifischbecken voller Stars und Egos langfristig zu behaupten, ist kompliziert. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Zur Wahrheit gehört auch, das einige Talente nicht die optimale Einstellung an den Tag legen. Aber auch der Verein muss sich und seinen Umgang mit jungen Spielern hinterfragen. Stimmen Worte und Taten der handelnden Personen wirklich überein? Werden tatsächlich die richtigen Zeichen an den Nachwuchs gesandt?

Fraglich zumindest, ob Vertrauen bei der nächsten Generation geschafft wird, wenn neue aufstrebende Kicker wie Lennart Karl (17) oder Jonah Kusi-Asare (18) nach starken Vorbereitungsspielen nicht einmal im Supercup eine vernünftige Chance bekommen und selbst der Bundesliga-erprobte Neuzugang Tom Bischof (20) erst in der dritten Minute der Nachspielzeit eingewechselt wird.

Wanner, der gegen den VfB angeschlagen fehlte, dürfte sich bestätigt gefühlt haben. Die Bedenken bei dem 19-Jährigen, seine in Elversberg und Heidenheim genommene positive Entwicklung nun in München nicht fortführen zu können, waren einfach zu gross.

Bewerte den Artikel
0 Bewertungen
Ihre Stimme wird gezählt.

News-Feed

Lesen Sie auch

Mehr anzeigen

Live-Sport ansehen auf

Sky Sport
Copyright Sky Schweiz SA © 2001-2025. Erstellt von EWM.swiss