Andres Gerber: "Ein Aufstieg ist wie die Geburt eines Kindes"
Am Freitag kann der FC Thun nach fünf Jahren in der Challenge League die Rückkehr ins Oberhaus perfekt machen. Der Präsident Andres Gerber bezieht zu diversen Herausforderungen Stellung.
Vor der Partie gegen Aarau spricht Präsident Andres Gerber mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über Gefahren, die er trotz komfortabler Ausgangslage für den FC Thun noch sieht, er erklärt die Rolle von Investor Beat Fahrni und was ein Aufstieg im Verein verändern würde – und der 52-Jährige sagt, was es braucht, damit die Thuner keine Liftmannschaft werden. Denn einen Abstieg will der Belper keinesfalls noch einmal erleben.
Andres Gerber, wie sieht Ihr Programm für den Samstag aus?
"Ich hoffe natürlich, dass das Programm da nur noch nebensächlich ist und wir mit einer riesigen Befriedigung einfach geniessen können."
Am Freitag kann der FC Thun mit einem Heimsieg gegen Aarau den Aufstieg in die Super League perfekt machen. Sind Sie parat?
"So weit man parat sein kann, sind wir es. Aber wir wollen nicht zu viel reden, sondern erst einmal auf dem Platz unsere Pflicht machen."
Zweimal verpasste Thun 2021 gegen Sion und letzte Saison gegen die Grasshoppers den Aufstieg über die Barrage. Nun sind Sie vier Runden vor Schluss mit acht Punkten Vorsprung Erster. Das ist eine deutlich komfortablere Situation.
"Aber sie birgt auch eine gewisse Gefahr. Ich will überhaupt nicht pessimistisch sein, sondern einfach ruhig und realistisch bleiben. Im Fussball gab es immer wieder ganz verrückte Geschichten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir es packen. Aber wenn es jetzt am Freitag nicht klappen sollte, würde das die Stimmung wohl etwas trüben. Es ist wichtig, dass wir einfach unsere Arbeit machen.
Haben Sie denn Zweifel?
"Nein, ich zweifle nicht. Ich will nur zuerst die Arbeit machen. Dass Aarau nun 19 Mal in Folge nicht verloren hat, ist auch ein Fakt. Es ist also nicht gerade eine Selbstverständlichkeit, sie zu bezwingen. Wir sind im Flow, wir haben viel Selbstvertrauen, wir haben uns die Zuversicht verdient. Aber denken wir doch nicht zuviel darüber nach. Zuerst die Arbeit."
Auch wenn rund um Sie sehr viel Euphorie herrscht. Das Stadion ist seit Wochen ausverkauft.
"Das ist sehr schön. Das Umfeld ist etwas ungeduldig. Am liebsten wäre allen, es wäre schon Freitagabend und wir hätten es geschafft. Aber diese Vorfreude und dieses Kribbeln sind etwas Schönes. Es ist wie beim Warten auf ein Prüfungsresultat oder die Geburt eines Kindes. Diese Unsicherheit muss man aushalten."
Ende März verlor Thun 0:3 bei Lausanne-Ouchy und Aarau übernahm die Spitzenposition. Jetzt liegen acht Punkte zwischen euch. Überrascht Sie das?
"Ein wenig schon, aber nicht wegen uns. Aarau schien lange unaufhaltsam zu sein und spielte fast wie Leverkusen letztes Jahr in der Bundesliga, als sie viele Spiele sehr spät noch drehten. Aber es zeigt auch, dass es eben nicht so einfach ist Erster zu sein und das dann durchzuziehen."
Weshalb steht der FC Thun aber nun doch ganz oben?
"Wir sind nicht Erste, weil wir ein Riesenspektakel abliefern. Wir gewinnen mit Solidarität, Organisation, Struktur und Mentalität. Und das ist mega cool. Kein Spieler hat mehr als sieben Tore geschossen. Das ist schon bemerkenswert als Leader. Man könnte uns das ankreiden, aber mich freut das, weil es das widerspiegelt, was uns als Philosophie wichtig ist und was Trainer Mauro Lustrinelli so stark fordert. Den Teamgedanken."
Der war sicher auch in der letzten Saison wichtig, als Thun mit 76 Punkten einen Vereinsrekord aufstellte, es aber am Ende gegen Sion doch nicht reichte.
"Vielleicht haben wir dieses zusätzliche Jahr gebraucht. Die Erfahrungen, die man in einem Jahr macht, sind unglaublich wertvoll für alle im Verein. Aber nach fünf Jahren Challenge League ist es Zeit. Wenn wir es wieder nicht schaffen würden, wäre es wohl eine Riesenherausforderung, die Einstellung wieder hinzukriegen und noch einmal anzugreifen. Aber daran will ich gar nicht denken."
Was ändert der Aufstieg für den Verein?
"In unseren zehn Jahren bis zum Abstieg haben wir ganz viel Erfahrung in der Super League gesammelt. Niemand hat davor Angst, aber wir haben Respekt. Es sind andere Gegner auf dem Platz, aber auch daneben. Es kommen mehr Fans, und auch medial ist das Interesse grösser. Du bist viel mehr im Schaufenster. Die Spieler sind wertvoller, wenn sie in der Super League spielen. Es würden sich viele Faktoren verändern, aber die Arbeit, welche die Zuschauer wahrnehmen, bleibt genau dieselbe."
Der FC Thun hatte in der Vergangenheit immer wieder Geldsorgen. Würde ein Aufstieg den Verein automatisch auf gesündere Beine stellen?
"Automatisch nicht. Aber es geht auch um das Gefühl, wieder Teil der Super League zu sein. So wirst du als Verein automatisch anders wahrgenommen. Du wirst auf allen Ebenen interessanter. Für Sponsoren, aber auch für die Zuschauer. Und die Fernsehgelder sind auch höher."
Ihr Budget liegt bei rund 10 Millionen Franken. In der Super League war es einst etwa fünf Millionen höher. Werden Sie sich wieder in diesem Rahmen bewegen?
"Ungefähr. Aber es ist nicht so, dass wir einfach fünf Millionen mehr Einnahmen hätten. Es gibt natürlich auch Mehrausgaben. Bei der Infrastruktur, der Sicherheit - und die Mannschaft wird zwangsläufig teurer. Aber die Spieler werden auch interessanter, weil sie im grösseren Schaufenster sind. Das ist für Transfererlöse ein ganz wesentlicher Faktor."
Coach Mauro Lustrinelli hat seinen Vertrag um drei Jahre verlängert. Nach drei Jahren mit ihm können Sie aufsteigen, wo sehen Sie Thun in drei Jahren?
"Da müssen Sie den lieben Gott fragen. Ein Aufstieg setzt viel Energie frei, aber ich glaube, dass niemand so naiv ist und denkt, mit Kampfgeist und Solidarität bleiben wir in der Super League. Da müssen wir eine Schippe drauflegen."
Wie meinen Sie das?
"Die Super League hat sich verändert im Vergleich zu den 10 Saisons, die wir dort gespielt haben. Es gibt viel mehr Investoren in den Klubs, und es ist teils normal geworden, dass Klubs mehrere Millionen ausgeben für einen Transfer. Früher waren es Basel und YB, die finanziell führend waren und am meisten für Transfers ausgeben konnten. Heute gibt es mit Lausanne, Lugano, GC und Yverdon mehrere Klubs mit potenten Investoren. St. Gallen und Luzern haben sich stabilisiert. Der einzige Klub, der im Moment mit uns vergleichbar ist, ist Winterthur. Die anderen haben mehr Möglichkeiten, und entsprechend müssten wir schon Optimierungen vornehmen, aber nicht gleich alles auf den Kopf stellen."
Wie schaffen Sie es, dass der FC Thun keine Liftmannschaft wird und gleich wieder absteigt?
"In erster Linie müssen wir gute Transfers machen. Was nicht heisst, möglichst viele. Eine gute Kaderplanung ist entscheidend. Natürlich ist auch das ganze Drumherum wichtig, aber wenn wir davon ausgehen, dass das gleich bleibt, muss auf dem Platz sicher etwas gehen."
Sie müssen also das Kader verstärken, was aber wiederum Geld braucht. Werden Sie das Portemonnaie von Investor Beat Fahrni in der Super League mehr belasten?
"Das Ziel ist nicht, nun immer mehr Geld von Beat Fahrni auszugeben. Und wir haben logischerweise auch andere Quellen (Sponsoren, Zuschauer, Investoren, TV-Gelder etc.) beim FC Thun, so soll und muss es auch sein. Aber natürlich ist es enorm wichtig, zu wissen, dass er da ist und sich zu uns bekennt. Wir sind aber nach wie vor sehr bewusst am Optimieren unserer ganzen Struktur und geben das Geld auch weiterhin sehr bewusst aus."
Begeben Sie den FC Thun damit nicht in eine Abhängigkeit?
"Rückblickend auf meine fünf Jahre als Präsident kann ich sagen, dass Beat ins Boot zu holen etwas vom Besten ist, was mir gelungen ist. Es gibt immer ein gewisses Klumpenrisiko. Das haben andere Klubs auch. Aber lieber ein Klumpenrisiko, als dass es den Klub nicht mehr gibt. Dafür muss man einfach dankbar sein. Es gibt ganz viele Leute, die den FC Thun unterstützen, aber Beat ist natürlich schon entscheidend eingestiegen. Es ist auch sein Ziel, dass der Verein breit abgestützt ist und nicht zusammenklappt, wenn er einmal nicht mehr ist."
Worauf freuen Sie sich am meisten in der Super League?
"Das ist eine gute Frage. Das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Aber die klassische Antwort wären jetzt die Derbys gegen YB, und das ist wohl nicht ganz falsch. Wenn die Hütte voll ist, ist es schon etwas vom Schönsten. Wenn die Leute ins Stadion kommen und du siehst, was der Klub in den Menschen bewegt, und du nicht nur immer überall hörst, dass alle den FC Thun cool und sympathisch finden, sondern du es auch vor Ort siehst, sehen wir, dass unsere Arbeit geschätzt wird und Sinn macht, dass wir Vorbilder sein können, indem wir sind, wie wir sind. Und das gibt schon ein gutes Gefühl."
Erlebten Sie 2020 Ihren letzten Abstieg?
"Ich hoffe es schon. Das war ein sehr prägender Moment, fast wie wenn jemand stirbt. Mein Sohn hat damals stundenlang geweint. Das hat mir das Herz zerrissen. Das werde ich wohl bis zu meinem Tod nicht vergessen. Und auch jetzt wenn ich darüber rede, werde ich wieder emotional. Die Stimmung war unglaublich bedrückend nach dem Abstieg. Dann der Rücktritt von Präsident Markus Lüthi, und privat hatte ich ein Jahr später während der Barrage einen Todesfall in der Familie. Also dieser Abstieg ist für mich nicht einfach mit Emotionen verbunden. Es geht viel tiefer. Und ich hoffe, dass ich so etwas nie mehr erleben muss. Gleichzeitig war es so prägend, diese fünf Jahre seither, da konnte ich so viel lernen. Das hätte mir kein Studium beibringen können."
Nun stehen Sie quasi vor dem Abschluss. Was passiert, wenn der Schiedsrichter abpfeift, und der FC Thun steht tatsächlich als Aufsteiger fest?
"Ich weiss nicht, was in mir abgehen wird. Vielleicht gehe ich einfach nach Hause, oder alleine in den Wald spazieren."Sicher?
"Ich weiss es nicht. Es wird sehr emotional. Logischerweise wollen wir die Freude mit allen Menschen teilen. Aber wir haben jahrelang auf diesen Erfolg hingearbeitet. Darum möchte ich diesen Moment mit meinen engsten Begleitern teilen, erst einmal Mauro und Domi (Sportchef Dominik Albrecht) knuddeln."
Also wenn die Fans den Platz stürmen und Sie in die Luft heben, haben Sie keine Freude?
"Es ist wie bei der Geburt eines Kindes. Das ist ein magischer Moment. Den willst du mit deinen engsten Begleitern teilen. Das hat auch mit Respekt zu tun. Wir haben jahrelang viel gelitten, mussten viel Kritik einstecken. Wenn es dann geschafft ist, gehört dieser Moment erst einmal nur dir und deinen engsten Begleitern. Aber ja, wir müssen jetzt zuerst liefern, dann können wir den Champagner immer noch hervorholen."