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"Audrey ist eine Läuferin, die den Drang nach vorne hat"

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Vor 24 Jahren läuft André Bucher im kanadischen Edmonton zu WM-Gold über 800 m. Nun scheint an der WM in Tokio ein ähnlicher Coup durch 800-m-Läuferin Audrey Werro möglich. Der Champion analysiert.

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André Bucher, einst 800-m-Weltmeister, traut Audrey Werro in Tokio einiges zu (Archivbild aus dem Jahr 2007) © KEYSTONE/ALEXANDRA WEY

André Bucher gewann 2001 als erst zweiter Schweizer nach Werner Günthör die Goldmedaille an Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Vor der Spitze aus lief er über 800 m zum Sieg. Im selben Jahr senkte er bei Weltklasse Zürich den noch heute gültigen Schweizer Rekord auf 1:42,55 Minuten. Der 48-jährige Luzerner wohnt im Knonauer Amt, ist vierfacher Familienvater und pflegt nur noch gelegentlichen Kontakt mit der Schweizer Leichtathletik-Szene.

André Bucher, wenn man Audrey Werro über die Bahn fliegen sieht, erinnert dies stark an Sie. Eine geborene Frontläuferin wie einst André Bucher?

"Audrey hat eine natürliche Tendenz, die Rennen zu bestimmen. Sie ist prädestiniert als Frontläuferin. Das heisst aber nicht, dass sie in einem taktischen Rennen nicht auch punkten kann. Jeder hat seine Präferenzen. Audrey ist sicher eine, die den Drang nach vorne hat."

Einige Experten sagen, dass Audrey Werro mit ihrer Grösse und dem raumgreifenden Schritt Mühe habe, sich im Feld einzuordnen. Teilen Sie diese Meinung?

"Nur bedingt. Sie hat in hunderten von Rennsituationen schon erlebt, dass es grössere und kleinere Läuferinnen gibt, solche mit grossen und solche mit eher kleineren Schritten. Umgekehrt ist es für ihre Gegnerinnen auch schwierig, wenn jemand einen sehr raumgreifenden Schritt hat. Ich denke nicht, dass Audrey dies irritiert. Aber ja: Es ist sicher einfacher, wenn die Vorderfrau denselben Rhythmus läuft. Ich kenne das aus meiner Zeit mit den Pacemakern: Gleich gross klappt besser."

Was sollte Audrey Werros Taktik in den Tokio sein?

"Es wäre falsch, würde ich Tipps geben. Sie hat bereits in den Junioren- und Jugendkategorien überzeugt und gezeigt, dass sie eine Turnierläuferin ist. Mit ihrer Ausgangslage kommt nun noch der Druck hinzu. Es wird interessant sein zu schauen, wie sie damit umgeht. Wobei ich diesbezüglich keine Angst habe. Weltklasse Zürich mit der Rekordansage, das war grosses Kino."

Würden ein taktisch gelaufener Vorlauf oder Halbfinal Audrey Werro nicht unnötig in Gefahr bringen?

"Bei taktischen Rennen hat es immer Unwägbarkeiten. Das Feld ist eng beieinander, es wird gerempelt, man erwischt mal einen Stolperer, mal kann nicht durchlaufen oder muss aussen herum. Taktische Rennen sind mit mehr Risiko behaftet."

Dann eben doch einfach vorne laufen?

"Als Frontrunnerin benötigt man mehr Energie. Nicht wegen des fehlenden Windschattens, sondern aus mentaler Sicht. Als Verfolgerin kann man mitrollen, muss sich um nichts kümmern, nur den Rhythmus übernehmen. Wenn Audrey vorne läuft, muss sie wirklich immer beschleunigen. Andererseits hat sie als Frontrunnerin auch Vorteile: Die Taktik ist einfach und sie kann den Konkurrentinnen das Rennen aufzwingen."

Seit wann haben Sie Audrey Werro als mögliche WM-Medaillengewinnerin auf dem Radar?

"Zunächst will ich das Niveau im 800-m-Lauf der Frauen in der Schweiz loben. Es ist ja unglaublich, dass in der Schweiz WM-Trials notwendig sind. Und die Athletinnen dann unter zwei Minuten laufen müssen, um zu bestehen. Ich habe all diese Frauen schon länger auf dem Radar und finde es eine sehr coole Entwicklung. Und Audrey fiel mir schon früh als Rohdiamant auf."

Was verstehen Sie unter einem Rohdiamanten?

"Ich sah Audrey in jungen Jahren laufen und dachte: 'Hier hat sie noch Potenzial, das sitzt noch nicht, aber sie ist schon sehr, sehr schnell.' Sie hat in den Nachwuchskategorien viel erreicht, obwohl ihr Stil technisch nicht sauber war. Als ich sie nun bei Weltklasse Zürich sah, habe ich das Gefühl, dass sie einen grossen Schritt nach vorne gemacht hat."

Wie beschreiben Sie den Laufstil von Audrey Werro?

"Audrey ist gross und hat einen sehr kräftigen und langen Schritt. Aus einem langen Schritt heraus ist es schwieriger, schnell zu beschleunigen oder auf eine Rennsituation zu reagieren. Aber Audrey ist eine starke Racerin, das zeigen ihre Medaillen. Sie kann die Rennen lesen oder ihnen auch die Taktik aufzwingen."

Und ihre Grundschnelligkeit mit einem 400-m-Lauf in 51,03 Sekunden ist herausragend.

"Ja. Aber ich habe dieses Rennen nicht gesehen und kann nicht sagen, ob Audrey die Zeit dank einer starken Beschleunigung oder dank einem raumgreifenden Schritt ab 100 m erzielt hat. Aber sie hat offenbar Potenzial, um auch über 400 m in die Weltspitze vorzustossen."

Lassen sich die Zeiten noch mit den Werten Ihrer Ära vergleichen?

"Ein heikles Thema. Aber in der Qualität der Schuhe gab es eine messbare Entwicklung. Zum Ende meiner Karriere wurde mit den ersten Karbon-Sohlen gepröbelt, sie sind nun ausgereift. Trainer sagen mir, auf 400 m hole man bis zu einer Sekunde heraus. Über 800 m sind es entsprechend mehr. Aber solche Entwicklungen gab es schon früher, beispielsweise mit dem Wechsel von Aschen- auf Tartanbahn."

Ihr Schweizer Rekord (1:42,55) ist immer noch Weltklasse und Weltklasse Zürich besuchen Sie regelmässig. Waren Sie auch noch mal nach Edmonton in Ihr Gold-Stadion zurückgekehrt?

"Nein. 2006 waren ich und meine Frau mit dem Camper in den Rocky Mountains unterwegs. Aber nach Edmonton zog es mich nicht."

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