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Der Schweizer Pionier Heinz Günthardt über Tennis heute und damals

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Heinz Günthardt spielte sich in den 70er-Jahren als erster Schweizer in die Weltspitze. Im Interview mit Keystone-SDA spricht er über spezielle Erfahrungen am US Open sowie das Tennis einst und heute.

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Heinz Günthardt hat viel zu erzählen - über das Tennis von damals und heute © KEYSTONE/SALVATORE DI NOLFI

Heinz Günthardt, sie spielten 1978, als das US Open erstmals am heutigen Austragungsort in Flushing Meadows stattfand, in der 2. Runde gegen Björn Borg. Woran erinnern Sie sich?

"Die Jahreszahlen interessieren mich eigentlich nicht sehr gross. Aber an den Match gegen Björn Borg kann ich mich erinnern. Vor allem, dass es extrem viel Flugverkehr gab. Es war ein Night Match, und zirka alle 40 Sekunden kam ein Flugzeug. Direkt über dem Center Court."

Das war noch, bevor später die Flugrouten geändert wurden.

"Und es war so laut, dass du unmöglich irgend etwas verstanden hast. Das kann man nicht vergleichen mit heute. Der ganze Center Court hat wirklich angefangen zu vibrieren. Es war wirklich unglaublich, so extrem. Wir hörten die Bälle nicht, wenn sie geschlagen wurden. Ich und Björn haben zwei, drei Mal versucht, die Flugzeuge durchzulassen, aber es kam ja jeweils gleich schon das nächste. Es gab dann grosse Diskussionen, es war eigentlich für alle nicht aushaltbar."

Sie waren da 19 Jahre alt und hatten wahrscheinlich vorher noch nie vor so vielen Zuschauern gespielt.

"Doch. Ich hatte vorher schon einmal ein Turnier gewonnen, in Springfield bei Boston, als Lucky Loser. Da sahen auch etwa 12'000 Zuschauer zu."

Aber Björn Borg als Gegner war sicher speziell, der hatte damals eine gewaltige Aura.

"Es war für mich nicht so speziell, weil ich viel mit ihm trainiert habe und wir uns sehr gut kannten. Deshalb dachte ich mir, auf Hartbelag in den frühen Runden gibt es durchaus eine Möglichkeit. Ich war dann aber doch recht weit weg."

Vor 1978 fand das Turnier in Forest Hills statt, sie haben da noch als Junior und im Doppel gespielt. Wie gross war der Unterschied?

"Forest Hills ist ein Privatklub, und entsprechend war es auch anders organisiert. Du hattest immer Mitglieder, die auch noch gespielt haben während dieser Woche - und zwar auf Sandplätzen. Damals wurde nach Wimbledon den ganzen Sommer auf Sand gespielt, auch in Amerika."

Im Doppel erreichten sie am US Open den Final, im Mixed haben sie mit Martina Navratilova sogar gewonnen. Was halten Sie vom neuen Format im Mixed, das an zwei Tagen in der Woche vor dem eigentlichen Turnier durchgeführt wurde?

"Gar nichts. Das ist ein reines Show-Turnier, bei dem du in der Woche der Qualifikation versuchst, den Center Court mit grossen Namen zu füllen. Sportlich ist das nichts wert. Da muss man sich schon fragen, ist das ein guter Trend, wenn du eine ganze Konkurrenz sportlich zunichte machst, um damit noch mehr Geld zu verdienen."

Das Tennis ist generell immer kommerzieller geworden. Ist das eine gute Entwicklung?

"Es war früher anders, ob es besser war? Klar ist, es gibt einfach x-mal mehr Preisgeld. Und die ganze Maschinerie ist grösser geworden. Es wird alles herausgepresst. Plötzlich musst du während der Qualifikation ein Mixed-Doppel-Turnier machen, damit es noch mehr Geld für dich gibt. Du musst überall schon am Sonntag anfangen, um noch einen Tag mehr Tickets verkaufen zu können. Aber das ist ja nicht nur im Tennis so."

Aber es gibt mehr Tennisspieler, die vom Sport leben können als vor 40 Jahren.

"Richtig, wobei es eine gute Diskussion ist, wie das Geld verteilt wird. Es gibt extrem viel Geld im Tennis, aber es ist sehr ‘top heavy’."

Immerhin haben sie in den letzten Jahren auch das Preisgeld für die ersten Runden der Grand Slams stärker erhöht als für die späteren Runden.

"Klar, aber das sind immer noch erste hundert, richtig? Dass am Schluss diese Sportart mit so viel Geld nur etwa 200 Spieler ernähren kann, ist schon irgendwie speziell."

In den meisten Sportarten gibt es aber keine 200, die davon leben können.

"Ja, aber nicht Sportarten, in denen der Kuchen so gross ist, darum geht es. Das beste Beispiel ist Golf, da sind es viel mehr Spieler, die davon leben können."

Generell boomt das Tennis aber trotz der Rücktritte von Federer und Nadal. Sind Sie überrascht, dass mit Alcaraz und Sinner gleich wieder zwei so starke Spieler herausgekommen sind?

"Es war eigentlich eine Überraschung, dass so lange niemand gekommen ist. Die drei Grossen dominierten so sehr, dass über drei oder vier Generationen niemand ihr Niveau erreicht hat. Das zeigt, was für Ausnahmekönner sie gewesen sind. Und logisch ist auch, dass es neue Namen gibt, wenn sie aufhören."

Aber jetzt stehen wieder zwei so deutlich über dem Rest. Sind sie wirklich so gut oder ist im Moment auch das allgemeine Niveau nicht so gut?

"Das kann man ja nicht wissen. Das ist, wie wenn du sagst Usain Bolt ..."

Aber bei Bolt kann man es messen, ob die nächste Generation gleich schnell ist.

"Richtig, das ist der Vorteil im Tennis, dass du eben genau das nicht kannst. So kann jeder, an erster Stelle John McEnroe, erzählen: 'Also so, wie Sinner und Alcaraz in Paris gespielt haben, hätte Nadal keine Chance gehabt'."

Was denken denn Sie? Sind Sinner und Alcaraz so gut wie die anderen drei?

"Das weiss ich nicht. Aber dass ein Rafa in Paris in seiner Bestform keine Chance gegen Alcaraz und Sinner hätte haben sollen, ist absurd. Absolut absurd." (lacht)

Aber Alcaraz hätte vielleicht eine Chance gehabt, oder?

"Keine Ahnung. Man kann das gar nicht vergleichen. Der Vorteil der Leichtathletik ist, dass man die Leistungen messen kann. Das ist aber gleichzeitig der Nachteil. Bis heute ist nie eine Frau die 100 Meter schneller gelaufen als Florence Griffith Joyner 1988. Der Weltrekord über 400 Meter wurde vor 40 Jahren von Marita Koch gelaufen, und die 9,58 von Usain Bolt über 100 Meter sind auch bereits 16 Jahre alt. Könnte man diese Zahlen nicht nachschauen, würde wahrscheinlich auch angenommen, dass heute dank besserem Training schneller gelaufen wird als damals. Im Tennis haben wir den Vorteil, dass wir sagen können: So gut wie dieser oder jener, hat noch nie jemand gespielt. Man kann erzählen, was gefällt und was sich gut verkauft."

Aber vom Niveau des French-Open-Finals waren Sie auch beeindruckt, nicht?

"Absolut! Das war super Unterhaltung und grossartig, keine Frage."

Haben Sie eine Präferenz zwischen Sinner und Alcaraz?

"Nein. Der eine ist halt solider und der andere ist vielleicht noch ein Spürchen der bessere Athlet. Alcaraz ist ein bisschen unberechenbarer, spektakulärer. Aber den Spielwitz braucht Sinner eben gar nicht, das ist für gewisse Leute schwer zu verstehen."

Warum nicht?

"Wenn du ein simples Game durchziehen kannst und du damit gewinnst, gibt es keinen Grund, irgend etwas zu ändern. Als ich Coach von Steffi Graf war, kam nach einem Sieg bei einem Grand Slam ein Reporter der ARD zu mir und sagte, zwar habe sie jetzt gewonnen, aber er könne überhaupt keine Entwicklung sehen im Spiel von Steffi. Ich sagte nichts dazu, da schaute er mich an - völlig perplex. Ich erklärte: 'Steffi hat jetzt ganz einfach gespielt, im Prinzip nur cross-court. Das gewinnen wir heute, morgen, übermorgen, das ganze Jahr. Und wenn dann mal eine kommt, die besser cross-court spielt, müssen wir halt öfter longline spielen.' Wenn ich so simpel gewinne, dann bin ich einfach so viel besser. So ist das bei Sinner. Er muss keine Stoppbälle spielen, er kann auch sonst seine Winner schlagen."

Können die beiden einst die Rekorde von Djokovic, Nadal und Federer übertreffen?

"Das ist definitiv noch zu früh. Du musst eben auch gesund bleiben, sehr lange gesund bleiben. Und die Frage ist auch, wer kommt denn noch? Es könnte immerhin sein, dass gerade im Moment noch ein Djokovic, Nadal oder Roger heranwächst, der jetzt 17 ist."

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