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Die Speed-Asse und der Tanz auf der Rasierklinge

Andy

Die Männer in Val Gardena, die Frauen in Val d’Isère: In diesen Tagen befinden sich die Ski-Asse im Speed-Fieber. Sie bewegen sich dabei auf einem schmalen Grat. Denn nach einigen schweren Stürzen und gravierenden Verletzungen rückt die Sicherheitsthematik wieder einmal stark in den Vordergrund.

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Letztes Jahr bewegte sich nicht nur Alexis Monney auf der Saslong am Limit. © EPA/ANDREA SOLERO

Aktuell fährt im Ski-Zirkus immer ein wenig die Angst mit, nachdem auch die Weltbesten immer wieder von den Pisten abgeworfen werden und im Spitalbett landen. Letzte Saison schwebte der Franzose Cyprien Sarrazin nach einem Horrorsturz in Bormio mit Hirnblutungen in Lebensgefahr, ob er jemals wieder Weltcuprennen bestreiten kann, ist offen. Anfang April zog sich Gesamtweltcupsiegerin Federica Brignone an den italienischen Meisterschaften einen doppelten Schien- und Wadenbeinbruch sowie einen Kreuzbandriss zu, seither bestreitet sie einen Wettlauf gegen die Zeit, um an den Olympischen Spielen im Februar 2026 in Cortina und Mailand an den Start gehen zu können. Bereits geplatzt ist wohl der Olympia-Traum für ihre Landsfrau Marta Bassino, die beim Training im Oktober eine Fraktur des Schienbeinkopfes im linken Bein erlitt und zu einer Zwangspause von vier bis sechs Monaten gezwungen ist. Und auch die Amerikanerin Lauren Macuga, bei der WM in Saalbach Dritte im Super-G, verpasst Olympia, nachdem sie sich Ende November im Training einen Kreuzbandriss zugezogen hat.

Ungewisse Zukunft von Gut-Behrami und Gisin

Grosses Pech hatten zuletzt die Schweizer Frauen. Zuerst verletzte sich Lara Gut-Behrami, dann Corinne Suter und zuletzt schliesslich auch Michelle Gisin. Während Suter, die Abfahrts-Olympiasiegerin von 2022, Glück im Unglück hatte und sich bei ihrem Sturz im Abfahrtstraining in St. Moritz «nur» einen Muskelfaserriss im linken Unterschenkel, eine Prellung des linken Kniegelenks und eine Fraktur im Rückfussbereich zuzog und bis zur Titelverteidigung in Italien wieder fit sein dürfte, können Lara Gut-Behrami und Michelle Gisin an Olympia definitiv nicht auf Medaillenjagd gehen.

Gut-Behrami erlitt Ende 20. November bei einem Trainingssturz in Copper Mountain einen Kreuzband-, Innenband- und Meniskusriss. Eigentlich hatte die Tessinerin geplant, nach dieser Saison, die sie mit einem dritten Platz in Sölden begonnen hatte, zurückzutreten. Nun befindet sie sich in der Reha – und lässt offen, ob sie in der kommenden Saison mit der Heim-WM in Crans-Montana als Höhepunkt doch nochmals zurückkehrt.

Offen ist auch die Zukunft von Michelle Gisin. Sie stürzte letzte Woche im Abschlusstraining zur Abfahrt in St. Moritz und musste mit dem Helikopter ins Spital geflogen werden. Zuerst musste sie an der Halswirbelsäule und am Handgelenk operiert werden, später wurden auch noch ein Riss des vorderen Kreuzbandes sowie des Innenbandes im linken Knie diagnostiziert, die ebenfalls einen Eingriff erfordern. «Ich hatte grosses Glück und bin froh, dass ich meinen ganzen Körper noch bewegen kann», teilte die Kombinations-Olympiasiegerin von 2018 und 2022 und Bronze-Gewinnerin 2022 im Super-G danach in den sozialen Medien mit.

Herausforderung Kamelbuckel

Die Männer gastieren nun in Val Gardena, auf jener Piste, wo schon manche Fahrer von den Kamelbuckeln abgeworfen wurden. Im ersten Training verletzten sich zuerst zwei italienische Vorfahrer, danach erwischte es den Österreicher Stefan Eichberger, der bei den Kamelbuckeln zu wenig Speed hatte. «Ich bin zu kurz gesprungen und voll im dritten Kamelbuckel gelandet. Danach habe ich das Knie nicht mehr gescheit belasten können», gab Eichberger zu Protokoll, ehe später die Diagnose die Befürchtungen bestätigte: Kreuzbandriss sowie Meniskusriss im rechten Knie, Saisonende. Auch sein Teamkollege Felix Hacker verletzte sich in Gröden schwer verletzt, klagte nach einer harten Landung über ein ungutes Gefühl im linken Knie: Meniskusriss.

Marco Odermatt, der Dominator des ersten Trainings, hat Respekt vor den Kamelbuckeln. Gegenüber dem «Blick» sagte er: «Vor jeder anderen Schlüsselstelle kannst du in einem ersten Training kurz bremsen. Genau das funktioniert hier nicht. Wenn du bei diesem Absprung nicht voll durchziehst, knallts.» Und das hat es in der Vergangenheit schon mehrmals getan. Der Österreicher Uli Spiess war der Pionier, der einst den ersten der drei Kamelbuckel drückte, beim zweiten wie aus einem Katapult geschleudert abhob und so den dritten Buckel übersprang. Es heisst, die Fahrer würden bis zu 80 Meter weit und sechs Meter hoch springen – was schon dem einen oder anderen zum Verhängnis wurde.

Sechs Kreuzbandrisse in einem Jahr

Eines der Opfer war Peter Müller im Jahr 1989. «Es hat nass geschneit und mein Servicemann wollte, dass ich im zweiten Trainingslauf einen neuen Ski ausprobiere. Dummerweise war dieser Ski nicht wirklich schnell, ich bin mit zu wenig Tempo auf die Kamelbuckel zugekommen. Weil ich ungefähr eineinhalb Meter zu kurz gesprungen bin, habe ich mit dem linken Knie aufgeschlagen – es war komplett zertrümmert!», sagte der Sieger von 19 Weltcupabfahrten später. In jenem Jahr waren die Kamelbuckel besonders gefährlich, denn neben den Schweizern Müller und Philipp Schuler zogen sich auch die Italiener Michael Mair, Giorgio Piantanida und Werner Perathoner sowie der Österreicher Gerhard Pfaffenbichler bei der legendären Schlüsselstelle einen Kreuzbandriss zu. Als Reaktion darauf wählte der Luxemburger Marc Girardelli einen Weg, der nicht über die Buckel, sondern an den Hügeln vorbei führte und despektierlich als «Hosenscheisser-Linie» bezeichnet wurde. 

Anpassungen entschärften die Kamelbuckel seither zwar, doch eine Mutprobe ist es weiterhin. Und nach wie vor sorgen sie immer wieder für schwere Stürze. So beispielsweise 2007, als der Walliser Silvan Zurbriggen abflog, sich so schwere Verletzungen im linken Knie zuzog, dass ihm die Ärzte prophezeiten, dass er nie mehr ein Weltcuprennen bestreiten könne. Zurbriggen gab jedoch ein Jahr später sein Comeback – und feierte 2010 ausgerechnet in Val Gardena den einzigen Weltcup-Abfahrtssieg in seiner Karriere. 2015 wurde der Österreicher Matthias Mayer von einer Welle nach den Kamelbuckeln übel abgeworfen – mit Brüchen an zwei Brustwirbeln als Konsequenz. 

Und am 15. Dezember 2018 erlitt der Schweizer Marc Gisin bei einem schweren Sturz bei den Kamelbuckeln ein Schädel-Hirn-Trauma, Becken- und Rippenbrüche sowie eine lebensgefährliche Lungenquetschung erlitten. Er fiel ins Koma, musste künstlich beatmet werden und erst nach einer sehr kritischen Nacht konnten die Ärzte Entwarnung geben und mitteilen, dass der Bruder von Dominique und Michelle Gisin über den Berg sei und keine bleibenden Schäden davontragen werde. Gisin versuchte danach zwar, in den Abfahrtsweltcup zurückzukehren, beendete aber Ende November 2020 seine Karriere. Mittlerweile ist er Rennsportleiter bei der Ski-Firma Stöckli und weiterhin mit dem Weltcupzirkus verbunden. Und nicht nur er hofft, dass in diesen Speed-Tagen in Val Gardena und Val d’Isère keine weiteren schweren Stürze und Verletzungen dazukommen.

Die Sicherheit, gerade in den Speed-Disziplinen, ist auch beim Internationalen Skiverband FIS ein zentrales Thema, wie CEO Urs Lehmann nun erklärte: «Von aussen betrachtet, hatte ich früher das Gefühl, dass sich das Risiko immer ein wenig schneller bewegt als die Massnahmen, die getroffen wurden. Ein Restrisiko wird immer bleiben, überall, wo du mit mehr als 100 km/h runterfährst. Dessen sind sich die Athletinnen und Athleten, die am Start stehen, bewusst. Aber es ist klar: Der Fokus muss auf die Sicherheit gelegt werden, das muss ein Top-Thema sein.»

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