Eine neue Offsideregel? Zwei Meinungen!
FIFA-Direktor und Ex-Trainer Arsène Wenger hat eine neue Offsideregel vorgeschlagen. Abseits soll nur sein, wenn sich der Angreifer mit vollem Körperumfang hinter der Offsidelinie befindet. Würde die neue Regel etwas verändern? Macht sie Sinn? Die Sky-Redaktoren Patrick Y. Fischer und Andy Maschek erklären ihre Sichtweisen.
Patrick Y. Fischer sagt: Nein!
Abseits oder nicht? Das ist an jedem Spieltag in jeder Liga auf dieser Welt eine Frage, an der sich die Geister scheiden. Nun lanciert Arsène Wenger, FIFA-Direktor für globale Fussballförderung, einen neuen Vorschlag, um das Spiel einfacher und attraktiver zu machen. Nur tut er das mittel- bis langfristig nicht.
Auf den ersten Blick ist Wengers Vorschlag einleuchtend. Abseits soll nur noch dann Abseits sein, wenn sich der Angreifer (oder die Angreiferin) mit vollem Körperumfang hinter der (virtuellen) Abseitslinie befindet. Millimeter-Entscheidungen über eine vorstehende Zehenspitze oder eine übergelagerte Schulter sollen somit der Vergangenheit angehören und Entscheidungen für den Schiedsrichter und seine Assistenten wieder offensichtlicher machen. Im Idealfall sollen so der Spielfluss weniger oft unterbrochen und bis zu 50% mehr Tore erzielt werden. Kling gut und könnte in einer ersten Phase nach der Änderung der Regel sogar der Realität entsprechen. Sobald die Teams ihr Defensivverhalten jedoch angepasst haben, dürfte es mit der offensiven Herrlichkeit wieder vorbei sein.
Womit wir beim entscheidenden Punkt wären: Wer denkt, dass knappe Abseitsentscheidungen mit der neuen Regel seltener vorkommen werden, unterschätzt die taktische Anpassungsfähigkeit im modernen Fussball. Und wenn es eng wird, kommt ihm Fussball seit knapp sechs Jahren richtigerweise der VAR zum Einsatz. Gerade beim Abseitsentscheid, der im Vergleich zur Handspiel-Regelung ziemlich eindeutig zwischen schwarz und weiss unterscheidet, wäre es sinnfrei zu versuchen, sich wieder vermehrt auf das menschliche Auge zu verlassen. Die Fehlerquote wäre (viel zu) hoch.
Entsprechend wird es weiterhin VAR-Einsätze, Spielunterbrüche und Diskussionen geben – nun einfach bei einer veränderten Zweikampf- und Ausgangssituation. Deshalb wirkt der Vorschlag Wengers aktuell eher wie Kosmetik. An der Art und Weise, wie ein Abseitsentscheid richtig gefällt wird, dürfte sich auch künftig wenig ändern.
Andy Maschek sagt: Ja!
Es ist Spiel für Spiel dasselbe. Fällt ein Tor, dauert es nicht selten mehrere Minuten, bis die Fans endgültig jubeln können. Zuvor wird via VAR geprüft, ob in dieser Phase nicht doch noch irgend ein paar Millimeter des Angreifers für eine Offsideposition gesorgt haben. Denn die aktuelle Regel besagt: Ein angreifender Spieler steht im Abseits, wenn er im Moment des Zuspiels mit einem Körperteil, mit dem er einen Treffer erzielen darf, der Torlinie näher ist als der vorletzte Gegenspieler. Tore dürfen mit allen Körperteilen ausser mit der Hand und dem Arm erzielt werden.
Nun soll die Offsideregel ändern, wenn es nach FIFA-Chefstratege Arsène Wenger geht. Er schlägt vor, dass ein Angreifer nur dann im Abseits steht, wenn er im Moment des Zuspiels mit allen Körperteilen, mit denen er ein Tor erzielen darf, der Torlinie näher ist als der vorletzte Gegenspieler. Das Ziel dieser möglichen Regel ist klar: ein offensiveres Spiel, mehr Tore. Eine Premier League-Statistik soll aufgezeigt haben, dass es im Vergleich mit der bisherigen Regel 50 Prozent weniger Offside-Entscheide gegen das angreifende Team gäbe. Und damit mehr Tore.
Noch sind es nur Gedankenspiele. Ob das Ziel erreicht, der Fussball tatsächlich offensiver und torreicher wird und damit verbunden den Fans auch mehr Spektakel bietet, ist natürlich offen. Denn es ist auch gut möglich, dass bei den Teams mehr Vorsicht herrscht, das Risiko gescheut wird und die Defensive noch mehr Gewicht erhält als jetzt schon. Und eine Regeländerung wenn nicht kurz, so doch mittelfristig ein Eigentor wäre.
Die mögliche neue Regel ist nun in einer Testphase, eine Einführung liegt in ziemlich weiter Ferne. Die Mühlen mahlen langsam, die Fans brauchen Geduld. Damit lässt es sich leben. Wichtig ist, dass laufend darüber nachgedacht wird, wie das Produkt Fussball attraktiver gemacht werden kann. Eine Anpassung der Abseitsregel wäre ein erster Schritt auf diesem Weg. Ein Schritt, bei dem nicht mit der Tradition des Fussballs gebrochen würde. So, wie es bei anderen Eingriffen der Fall wäre, wenn beispielsweise die Tore oder die Strafräume vergrössert oder fliegende Spielerwechsel eingeführt würden.