"Es muss immer wieder am Stolz gekratzt werden"
Giorgio Contini und YB stehen vor dem Meisterschaftsstart. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der Trainer unter anderem über das aktuell noch zu grosse Kader.
Als Giorgio Contini im vergangenen Dezember nach dem ersten Saisonteil das Amt als Trainer der Young Boys übernahm, lagen die Berner im 9. Tabellenrang. Unter dem 51-Jährigen gelang der Sprung auf den 3. Platz. Nun möchte er YB zurück auf den Meisterthron führen.
Giorgio Contini, die vergangene Saison ist nicht so verlaufen, wie die Young Boys sich das vorgestellt haben. Es wird immer betont, dass Rückschläge Chancen bieten. Welche sehen Sie?
"Wir haben es im Winter hinbekommen, die schlechte Vorrunde irgendwie noch zu retten, dass wir nun international spielen dürfen. Das heisst, die Mannschaft hat die ersten Korrekturen und Anpassungen angenommen und umgesetzt. Nun geht es darum, auf diesem Weg weiterzumachen. Ich bin jetzt schon sechs Monate hier, das hilft. Die Spieler kennen mich. Im Fussball gibt es keine Wahrheit. Letztendlich gilt es, am Tag X bereit zu sein und zunächst das erste Spiel gegen Servette (am Samstag zu Hause, die Red.) zu gewinnen. Zurückzuschauen bringt definitiv nichts im Fussball, wie auch im Leben nicht. Die Vergangenheit kann nicht mehr korrigiert werden, aber es kann mit positiven Gefühlen nach vorne geschaut werden."
Allerdings war auch unter Ihrer Führung die Konstanz nicht so, wie Sie sich das wohl vorgestellt hatten. Welche Haupterkenntnisse haben Sie daraus gezogen?
"Es sind verschiedene Aspekte - physische, mentale. Die Rückschläge zu Beginn der Saison kosteten den Spielern viel Energie, schwächten das Selbstwertgefühl. Das kann nicht von heute auf morgen korrigiert werden, wurde die ganze Saison mitgetragen. In Phasen, in denen es nicht so lief, ging der Glauben an uns wieder etwas verloren. Wir setzten den Hebel an bei der Widerstandsfähigkeit, was die physische Belastung angeht, aber auch bei der Bereitschaft, sich als Person zu committen. Es muss immer wieder am Stolz gekratzt werden. Die vergangene Saison hilft dabei, gewisse Dinge anzusprechen, damit sie erstens nicht mehr passieren, und zweitens das Bewusstsein vorhanden ist, wie es ist, wenn es schlecht läuft. Wir gehen mit grosser Vorfreude in die Saison."
Von aussen betrachtet gab es letzte Saison zu wenig Führungsspieler im Team. Nun wurden mit dem 30-jährigen Gregory Wüthrich und dem ein Jahr jüngeren Edimilson Fernandes zwei erfahrene Spieler zurückgeholt. Ich denke, das war nötig?
"Spieler, die Erfahrung haben, helfen natürlich, das Gerüst zu stabilisieren. Aber ich mache das nicht am Alter fest, sondern an der Person. Es gibt Spieler, die schon früh Verantwortung übernehmen. Gregory erlebte als junger Spieler, wie es bei YB ist. Dann ging er weg und machte seinen Weg. Er kennt unsere Werte, weiss genau, was es braucht. Das kann er weitergeben. Edimilson hat auch eine internationale Karriere gemacht. Das sind Spieler, die für die Gruppendynamik helfen. Sie stellen sicher einen Mehrwert dar."
Das Team umfasst aktuell fünf Goalies und 29 Feldspieler. Was war das Wichtigste im Umgang mit diesem grossen Kader?
"Das Wichtigste war, vom ersten Tag an klar zu kommunizieren, den betroffenen Spielern zu sagen, dass sie in der langfristigen Planung von YB keine Rolle einnehmen. Jeder weiss genau, woran er ist, keiner ist überrascht. Dennoch durfte jeder alle Einheiten mitmachen. Die Dynamik und der Zusammenhalt waren sehr gut, es hilft immer, wenn die Spieler respektiert werden, schliesslich haben sie ja nicht umsonst hier einen Vertrag erhalten. Ich nahm mir aber das Recht heraus, bei der spezifischen Arbeit Gruppen zu machen, die mit den Assistenten arbeiteten."
Es gibt den einen oder anderen wichtigen Spieler in der Mannschaft, der mit dem Ausland liebäugelt. Wie schwierig ist es, mit dieser Unsicherheit umzugehen?
"Für mich ist es nicht schwierig, weil ich die Situation kenne und ruhig bleibe. Vor zehn Jahren war ich vielleicht etwas nervöser und hätte das Kader gerne schon Ende Juni zusammengehabt. Das geht in der Schweiz allerdings nicht, weil die Meisterschaft schon so früh beginnt. Es muss akzeptiert werden, dass erst im September klar ist, welche Mannschaft die Saison bestreiten wird. Ich mache mir diesbezüglich keinen Kopf."
Haben Sie noch Wünsche, was die Zusammenstellung des Teams angeht?
"Nein. Das Wichtigste ist, dass die Kadergrösse reduziert wird, diesbezüglich Lösungen gesucht werden. Das wird in den nächsten Wochen mit Sicherheit passieren."
Sie waren zuvor Cheftrainer bei Vaduz, St. Gallen, Lausanne-Sport und dem Grasshopper Club Zürich. Mit YB stehen sie nun bei einer Schweizer Top-Adresse unter Vertrag. Was sind die grössten Unterschiede zu den Vereinen zuvor?
"Hier ist alles eine Schuhnummer grösser. Du musst dir als Trainer eines solchen Klubs bewusst sein, was deine Position ist, welche Werte der Verein vertritt. Die gemachten Erfahrungen als Trainer helfen mir dabei, gelassener, ruhiger zu sein. Ich bin dank Wuschu (Christoph Spycher) und anderen Leuten im Verein sehr gut eingebettet. Sie halten mir den Rücken frei."
Bei YB sind nur Titel gut genug, dementsprechend gross ist die Aufmerksamkeit. Ist das manchmal auch mühsam?
"Nein, bei YB ist es normal, dass du an dem gemessen wirst. Es darf kein Druck sein, sondern muss Energie geben und Freude machen. Um Titel zu spielen, ist ja gerade der Reiz am Job, ich strebe immer nach Höherem. Sonst wäre ich in Vaduz geblieben, wo ich meine Karriere als Cheftrainer vor 13 Jahren begonnen habe. Dort hatte ich ein sehr schönes Leben, konnte ich abseits vom Rummel ruhig arbeiten."
Zur kommenden Saison: Wie sehen Sie die Ausgangslage?
"Ich denke, die üblichen Verdächtigen werden wieder um die vorderen Plätze kämpfen. Dann kann Aufsteiger Thun gefährlich sein. Es gibt Vereine wie GC, der sich komplett verändert hat und schwierig einzuschätzen ist. Wichtig ist, gut aus den Startlöchern zu kommen."
Was macht Sie zuversichtlich, dass YB am Ende der kommenden Saison zum siebenten Mal innert neun Jahren den Meisterpokal in die Höhe stemmt?
"Die Zuversicht in meine Arbeit, dass ich alles dafür tun werde. Im Fussball gibt es so viele Variablen, die nicht beeinflussbar sind. Man kann verlieren und trotzdem ein gutes Gefühl haben. Es gibt kein Rezept, welches das richtige ist. Man muss die Fähigkeit haben, sich Woche für Woche zu adaptieren und zu verbessern. Es geht darum, dass ich als Trainer den Glauben an unsere Stärke habe, vorausgehe und den Enthusiasmus versprühe, eine sehr gute Saison zu machen."