In der Tenniswelt brodelt es wieder einmal
In der Tenniswelt brodelt es wieder einmal. Der Vorwurf ist seit Jahren der gleiche. Die Saison ist zu lang, die Stars müssen zu viel spielen. Wahr ist aber auch: Sie sind zu einem Teil selber schuld.
Carlos Alcaraz, die Nummer 1 der Welt, sagt nach Turniersiegen am US Open und in Tokio für das eigentlich obligatorische Masters-1000-Turnier in Schanghai ab. Grund: physische Probleme. "Der Kalender ist einfach zu eng. Ich rufe die Verantwortlichen dazu auf, etwas zu unternehmen", so Alcaraz.
Jannik Sinner, die Nummer 2, gibt beim laufenden Turnier in Schanghai der 3. Runde mit Krämpfen im Oberschenkel auf und braucht Hilfe beim Verlassen den Platzes.
Alexander Zverev, die Nummer 3, klagt, dass er seit dem Australian Open im Januar nie mehr ein Turnier schmerzfrei gespielt habe. "Unser Zeitplan, unser Terminkalender ist einfach zu voll. Das ist ein Problem", sagt der Olympiasieger von 2021.
Novak Djokovic, 24-facher Grand-Slam-Sieger und Nummer 5 der Welt, hält fest: "Ich habe schon vor fünfzehn Jahren gesagt, dass wir uns zusammentun und den Kalender reorganisieren müssen."
Ben Shelton, Nummer 6 und grosse Hoffnung der Amerikaner, muss nach seiner Aufgabe in der 3. Runde des US Open mit einer Schulterverletzung einen Monat pausieren und kehrt in Schanghai mit einer klaren Niederlage zurück.
Die ATP Tour ist ein Lazarett, und bei den Frauen sieht es nicht besser aus. Beim Turnier der Kategorie 1000 in Peking müssen nicht weniger als fünf Spielerinnen ihre Partien abbrechen, andere, wie Weltnummer 1 Aryna Sabalenka, treten gar nicht erst an.
Die Ansprüche an die gut bezahlten Stars sind hoch. Beispiel Coco Gauff: Die French-Open-Siegerin und Weltranglisten-Dritte gewann am 9. November des letzten Jahres den Final der WTA Finals und stand Ende Dezember am United Cup in Australien bereits wieder auf dem Platz. Die Verbände und Turnierorganisatoren wollen natürlich, dass ihre Besten so oft und so lange wie möglich spielen - kaum eine Sportart hat eine derart lange Saison.
Doch Gauff kontert: "Mehr ist einfach nicht mehr möglich." Sie verstehe auch die kommerzielle Seite, betont die erst 21-jährige, aber meist sehr reflektierte Amerikanerin. "Aber ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass man eine Lösung findet, um die Saison zu verkürzen."
Die WTA verlangt, dass ihre Spielerinnen die vier Grand-Slam-Events, alle zehn 1000er- und sechs 500er-Turniere spielen. Bei den Männern sind die Anforderungen ähnlich. Erschwerend kommt hinzu, dass mittlerweile sieben der zehn Veranstaltungen der Kategorie 1000 auf zehn bis zwölf Tage verlängert wurden, was bei den Profis auf wenig Gegenliebe stösst. Damit sind etwa 31 Wochen des Jahres bereits verplant, für Trainings und Erholung bleibt kaum noch Raum.
Iga Swiatek, Wimbledon-Siegerin und Nummer 2 der Welt, kündigt denn auch drohend an, sie werde nicht mehr alle obligatorischen Turniere bestreiten. "Es gibt zu viele Verletzungen", sagt die Polin. "Ich denke, das liegt an der zu lange und zu intensiven Saison."
Bei der WTA stösst sie auf taube Ohren. "Wir haben die Struktur im letzten Jahr angepasst", teilen die Verantwortlichen der Gewerkschaft mit. "Damit konnten das Preisgeld und das Interesse der Fans erhöht werden, ohne dass die Spielerinnen mehr antreten müssen." ATP-Präsident Andrea Gaudenzi erklärt gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP, die Spieler hätten "eine seltene Freiheit, ihren Kalender zu gestalten". Mit dieser Freiheit komme auch die Verantwortung.
Damit trifft der frühere Profi durchaus einen wunden Punkt, vor allem bei den Männern. Ausgerechnet diejenigen, die am meisten über den tatsächlich sehr vollen Kalender klagen, der ihnen ja auch viel Geld beschert, spielen zusätzlich lukrative Show-Turniere, die keine Weltranglistenpunkte einbringen. Alcaraz und Zverev haben in der Woche nach dem US Open in San Francisco am Laver Cup teilgenommen, Alcaraz, Zverev, Sinner und Djokovic sind in der Woche nach dem Turnier in Schanghai für den so genannten "6 Kings Slam" in Saudi-Arabien gemeldet, einen Einladungsevent, an dem sich sechs Spieler die sagenhafte Gewinnsumme von 13,5 Millionen Dollar teilen.
Da fällt es schwer, die Klagen der Stars ernst zu nehmen. Die Verletzungen werden deshalb nicht abnehmen. Im Gegenteil.