Ist der BVB nur noch ein durchschnittlicher Klub? Zwei Meinungen
Heute feiert der Ballspielverein Borussia seinen 116. Geburtstag. Doch die letzten Wochen und Ergebnisse auf dem Rasen haben nicht nur Grund zum Feiern geboten. Den Dortmundern fehlt es an Glanz und grossen Siegen – sind sie nüchtern betrachtet nur noch Durchschnitt? Unsere Redaktoren Andy Maschek und Patrick Y. Fischer sind unterschiedlicher Meinung.
Andy Maschek sagt: Ja
Deutscher Meister 2012, DFB-Pokalsieger 2021: Die letzten Erfolge von Borussia Dortmund sind schon ein wenig her, haben Staub angesetzt. Zweite Plätze in der Meisterschaft und die Qualifikation für den Champions League-Final sind zu wenig für die eigenen Ansprüche. Schliesslich träumte man vor nicht allzu langer Zeit noch davon, den FC Bayern München an der Spitze der Bundesliga abzulösen. Doch der Traum ist geplatzt. Besonders bitter war es 2023, als die Dortmunder in der letzten Runde gegen Mainz nur ein Remis hinbrachten und die Meisterschale im letzten Moment den Münchnern überlassen mussten, oder eher: den Bayern den Titel schenkten.
Auch in dieser Saison sind die Titelträume mehr oder weniger schon ausgeträumt. In der Liga sind die Bayern enteilt, die Borussia kämpft dahinter höchstens um den Vizetitel. Im Pokal scheiterten die Dortmunder im Achtelfinal an Leverkusen. Und in der Champions League ist der Weg zum Titelgewinn noch weit und steinig, auch wenn die direkte Qualifikation für die Achtelfinals noch möglich ist. So kam in den letzten Wochen, Monaten und Jahren eine schleichende Unzufriedenheit auf, die dem Binnenklima nicht wirklich förderlich ist.
Ist Borussia Dortmund also lediglich noch Mittelmass? In meinen Augen ist die Antwort klar: Sportlich auf jeden Fall! Ein Zeichen dafür sind die Spiele gegen grosse Gegner. In München verlor das Team von Niko Kovac in dieser Saison 1:2, gegen Manchester City 1:4, gegen Juventus gab es immerhin ein 4:4, aber es war eine gefühlte Niederlage, nachdem das Team noch bis zu Beginn der Nachspielzeit 4:2 in Führung gelegen hatte. Wie eine Niederlage war auch der letzte Auftritt in der Champions League, als es daheim gegen den norwegischen Underdog Bodö/Glimt nur zu einem Remis reichte.
Dass Verteidiger Nico Schlotterbeck danach der Kragen platzte und er seine Mitspieler verbal angriff («Die Spieler, die reinkommen, verlieren jeden Ball, wenn man reinkommt in der 60. Minute, erwarte ich 30 Minuten Volldampf») sorgt für Explosionsgefahr. Ein Heimsieg heute Abend gegen Gladbach ist Pflicht, um zumindest ein wenig Druck vom Kessel zu nehmen. Nur drei Siege aus den vergangenen neun Pflichtspielen haben die Nervosität kurz vor dem Jahresende wachsen lassen. «Wenn du nicht gewinnen kannst, darfst du nicht verlieren», sagte Coach Kovac zuletzt, doch fünf Remis in 14 Ligaspielen bedeuten definitiv zu viele vergebene Punkte.
So sieht sich der Übungsleiter auch mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sein Team oftmals zu wenig mutig spielte. Was sich auch in der Statistik widerspiegelt: 24 Tore haben die Dortmunder lediglich erzielt, sie sind so weniger produktiv als alle anderen Top-7-Teams der Liga. Dazu kommen Unruhen um die Stürmer Karim Adeyemi (Waffenbesitz, Transfergelüste) und Serhou Guirassy, dem zuletzt nur wenig gelungen ist und der im Zentrum von Schlotterbecks Kritik stand. Und auch Jobe Bellingham (20), der gegen Gladbach gesperrt fehlt, wird den Ansprüchen nicht gerecht. Es scheint, als laste der Druck des Namens tonnenschwer auf dem jüngeren Bruder von Real-Star Jude Bellingham (22).
Nur ein Sieg heute gegen Gladbach kann für einigermassen ruhige Weihnachten sorgen. Sonst wird wohl eine richtige Krise beginnen. Und das sportliche Mittelmass nicht nur ein vorübergehender Zustand.
Patrick Y. Fischer sagt: Nein
Gewiss, die jüngsten schwarz-gelben Resultate lassen das (bei mir nicht sonderlich ausgeprägte) Borussen-Herz nicht wirklich schneller schlagen. Unentschieden gegen den HSV, den VfB, den Sportclub Freiburg – ja sogar gegen den norwegischen Champions-League-Winzling Bodo/Glimt. Das entspricht nicht wirklich den Erwartungen, zumal der Dortmunder Spielstil aktuell niemanden wirklich von den Sitzen reisst. Und auch echte Identifikationsfiguren sowie Spieler mit internationalem Flair gab es im Borussen-Kader schon mehr. Aber der BVB nur Durchschnitt? Nicht in meiner Welt.
Denn wenn es um die Klassifizierung eines Fussballklubs geht, stehen für mich ein paar simple, aber elementare Kriterien klar im Vordergrund. Kriterien wie der sportliche Erfolg, zum Beispiel, der in der westfälischen Metropole unverändert Programm ist. Ok, vielleicht nicht in der Form von Titeln und Triumphen, aber die waren angesichts von einem CL-Titel und acht deutschen Meisterschaften in 116 Jahren Klubgeschichte ohnehin schon immer die Ausnahme. Was hingegen da ist: Enorme Konstanz auf sehr hohem Niveau. Das bezeugen auch die neun Top-4-Platzierungen in den letzten zehn Bundesliga-Jahren, auch wenn der grosse Wurf dabei – einige mögen sich erinnern – ganz knapp ausblieb. Die einzige Ausnahme: Rang 5 in der Spielzeit 2023/24, in der der BVB dafür aber als letzter deutscher Klub das CL-Finale erreichte.
Aber für mich geht es bei der Beurteilung eines durchschnittlichen (oder eben nicht durchschnittlichen) Fussballklubs ohnehin auch darum, welche Kraft und welche Wucht ein Klub unabhängig der jüngsten sportlichen Ergebnisse entwickeln kann. Und hier ist Borussia Dortmund mit Sicherheit ganz vorne dabei. Seit rund 15 Jahren pilgern Heimspiel für Heimspiel gegen 80‘000 Fans in den heimischen Fussballtempel, der in den letzten dreieinhalb Jahren an genau vier Spieltagen nicht komplett ausverkauft war. Und auch auswärts, auf europäischer Bühne oder sogar im Trainingslager im sankt-gallischen Bad Ragaz bewegt der BVB sich und tausende von Fans. Logische Folge: Dortmund gehört seit Jahren auch zu den Top 15 der wirtschaftsstärksten Fussballklubs der Welt und war folgedessen auch Teil der ersten Auflage des neuen FIFA World Cups für Klubs. Dieser mag sportlich umstritten sein, in Sachen Aussenwirkung und Prestige der teilnehmenden Klubs ist er es (mit ganz wenigen Ausnahmen) nicht.
Was ich zugeben muss: Die ganz grossen oder vielversprechenden jungen Kicker wie vor wenigen Jahren noch Jude Bellingham oder Erling Haaland findet man bei Borussia Dortmund derzeit nicht. Ein Umstand, der direkt dazu beiträgt, dass der BVB aktuell weder national noch international zur absoluten Spitze zählt. Durchschnitt ist Borussia Dortmund deswegen aber noch lange nicht.