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Joel Wicki zwischen Hofarbeit und sportlichen Ambitionen

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Joel Wicki befindet sich vor dem Eidgenössischen in Mollis in Topform. Vor dem Saisonhöhepunkt spricht der 28-Jährige über die Bürde des Königstitels, seine Heimat Sörenberg und Rücktrittsgedanken.

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Der König und sein Thronfolger? Wicki strebt nach Pratteln 2022 auch in Mollis den Titel an © KEYSTONE/URS FLUEELER

"Ech cha ned, muess Chüeh aluege": Joel Wicki widersetzt sich den Anweisungen von Trainer Daniel Hüsler, sich umzudrehen und den letzten Sprint auf dem Parkplatz mit einer 180-Grad-Wendung zu beginnen, ehe er doch noch einwilligt. Am gegenüberliegenden Ha grasen Kühe, welche die Blicke des Landwirts auf sich ziehen. Bei aller Professionalität: Der Spass kommt nicht zu kurz im Training des Schwingerkönigs. Auch nicht vor dem Saisonhöhepunkt, dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Mollis.

Es ist Mittwochmorgen, 8.15 Uhr. Joel Wicki ist schon lange auf den Beinen. Hinter ihm liegt eine Fahrt von Sörenberg nach Willisau und eine schweisstreibende Einheit in der zum Kraftraum umfunktionierten Tiefgarage des "Sport Rock". Gewichte wurden gehoben, Traktorpneus durch die Luft geschleudert. Aus den Boxen Hells Bells von ACDC, aus dem Mund von Hüsler immer wieder Anfeuerungsrufe: "Spicke! Spicke! Spicke!". Die Energie ist greifbar. Hier schuftet einer, der König ist. Und der sein eigener Thronfolger werden will.

Wenig später nimmt Wicki frisch geduscht Platz auf einer Couch im Fitnesscenter. Trotz dicht gedrängtem Programm findet er Zeit für ein Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Wickis letzter Ernstkampf vor dem ESAF war das Heimfest in Sörenberg Anfang August, das er standesgemäss und bereits zum sechsten Mal gewann. Dabei liess er mit einem makellosen Notenblatt aufhorchen: sechs Siege, 60,00 Punkte. Wickis Fahrplan stimmt, auch wenn ihn eine Knieverletzung im Juni zu einer einmonatigen Wettkampfpause gezwungen hat.

Umso eindrücklicher verlief das Comeback: Sieg am Innerschweizerischen, bei dem die Ostschweizer Gäste um Samuel Giger und Werner Schlegel als Favoriten gegolten hatten. Sieg auf dem Brünig mit einem spektakulären Plattwurf im Schlussgang gegen Matthias Aeschbacher, den er schon vor drei Jahren im Kampf um den Königstitel bezwungen hatte.

Auf die Frage, ob die Zuschauer momentan den besten Joel Wicki aller Zeiten sehen, weicht der König aus: "Ich bin momentan gut drauf, geniesse es, unbeschwert ins Sägemehl gehen zu können. Die Vorfreude auf Mollis ist gross - auch wenn es zuhause noch viel zu tun gibt."

Die Abtrennung zwischen Sport und Privatem ist Wicki wichtig. Geht er ins Training, liegt der Fokus einzig und allein auf dem Schwingsport. Ist er auf der Arbeit oder seinem Betrieb auf der Alp tätig, geniessen sein Umfeld und seine Tiere die volle Aufmerksamkeit.

Sörenberg, zuhinterst im Entlebuch am Fusse des Brienzer Rothorn gelegen, ist Wickis Rückzugsort. Hier entflieht der König dem Rummel, hier kann er abschalten. "Das erdet ihn extrem und hat ihm auch nach dem Titel in Pratteln geholfen", sagt Hüsler und fügt an: "Vom einen Moment auf den anderen wirst du auf den Thron gehoben. Darauf kannst du dich nicht vorbereiten. Und so ein Königstitel hat nicht nur Sonnenseiten. Du bist der Gejagte, es gibt Leute, die dich fallen sehen wollen."

Nach aussen hart und stark, verbirgt sich hinter den muskulösen Unterarmen und dem durchtrainierten Rumpf ein weicher Kern. "Mir ist schon wichtig, was andere über mich denken und erzählen. Ich will nicht als schlechter Mensch rüberkommen in der Öffentlichkeit." Den Schwingerkönig verletzt es, "wenn Sachen erzählt oder geschrieben werden, die nicht stimmen". Im Schwingsport gehe es nicht um Leben und Tod, sondern um Freude. "Das vergessen gewisse Leute manchmal."

Wicki zählte nach dem schwachen Abschneiden im vergangenen Jahr beim Eidgenössischen Jubiläumsschwingfest in Appenzell für viele nicht mehr zum engsten Favoritenkreis auf den Königstitel in Mollis. Im Lager des Sörenbergers wurde "jeder Stein umgedreht". Er sei in Appenzell unter Wert geschlagen gewesen, habe aber auch kein gutes Fest gezeigt, sagt Wicki.

Aus dem Mund des Trainers hört sich das so an: "Wir haben eine Auslegung gemacht, alles hinterfragt und Sachen gefunden, die wir verbessern können. Ernährung, Athletik, Technik, Taktik: Wir haben in allen Bereichen versucht zu justieren und den Motor zu 'chutzelen'. Da besteht auch immer die Gefahr, zu überdrehen."

Wicki und Hüsler sind ein eingespieltes Team. Seit 2011 arbeiten die beiden zusammen, wobei Hüsler in dieser Zeit zum engen Vertrauten, zum Freund geworden ist. Der Luzerner Hinterländer war selbst ein erfolgreicher Schwinger, gewann acht Kranzfeste und drei Eidgenössische Kränze. Er machte auch auf der Ringermatte von sich reden, ist mehrfacher Schweizer Einzel- und Mannschaftsmeister.

Spricht Hüsler über seinen Schützling, gerät er ins Schwärmen. "Ich bin seit 1983 auf den Schwingplätzen unterwegs. In Sachen Intensität und Explosivität habe ich niemand vergleichbares gesehen." So schafft es der mit 182 Zentimeter eher kleingewachsene Wicki, auch körperlich übermächtige Gegner auf den Rücken zu legen.

"Die Mischung aus Gespür, Intuition und Instinkt, gepaart mit Disziplin sind sehr, sehr selten. Joels Mentalität ist herausragend. Das kenne ich in ähnlicher Form nur vom Kaukasus, wo die weltbesten Ringer herkommen", so Hüsler.

Vom Hochgebirge in Eurasien zurück in die Innerschweiz, wo sich in diesem Jahr hartnäckig Rücktrittsgerüchte um Wicki hielten. Zu gross seien seine Passion für die Arbeit auf dem eigenen Betrieb, für die Jagd und das Fischen, sein Bestreben, dereinst eine Familie zu gründen, als dass sich alles unter einen Hut packen liesse.

"Ich habe noch keinen Entscheid getroffen, kann noch nicht sagen, wie es weitergeht", sagt Wicki zu den Spekulationen. Keine Bestätigung, kein Dementi. Nur so viel: "Manchmal überlegt man sich schon, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich will nicht aufhören, wenn ich körperlich angeschlagen bin. Denn für mich gibt es ein Leben nach dem Schwingen. Den Körper braucht es auch dort."

Ein Blick auf die Uhr: Es ist Zeit, die Arbeit ruft. "Jetz muessi ga höie."

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