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Jordan Pickford: Zwischen Buhmann und Held

Andy

Für die Schweiz war England-Goalie Jordan Pickford am Samstag der grosse Party-Killer. Mit seiner Art machte er es den Nati-Fans leicht, ihn nicht ausstehen zu können, ihn als Buhmann zu sehen. Für die Anhänger der Three Lions war er dagegen der gefeierte Held.

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Der schmerzhafte Moment: Jordan Pickford hält den Penalty von Manuel Akanji. © KEYSTON/AP Photo/Thanassis Stavrakis

Wohl selten trifft die Behauptung, dass sich an jemandem die Geister scheiden so gut zu, wie bei Jordan Pickford. Das zeigte sich auch am vergangenen Samstag in Düsseldorf im Stadion, wo Fans beider Teams munter gemischt den Match verfolgten. Die einen – vor allem die Schweizer Anhänger – verfluchten Pickford bereits vor dem Penaltyschiessen für seine Mätzchen, seine theatralischen Einlagen, seine Psychospielchen. Die anderen – die Fans der Three Lions – lobten ihn für seinen Einsatz, sein Herzblut, seine Leidenschaft fürs Nationalteam und sehen ihn bereits heute als Legende.

Ähnlich unterschiedlich sind auch die Zitate, die sich in der digitalen Welt über den englischen Keeper finden lassen. «Jordan Pickford hat eine starke Persönlichkeit und das ist entscheidend für einen Torhüter. Er scheut sich nicht, Verantwortung zu übernehmen und seine Abwehr zu organisieren», sagt etwa der ehemalige Internationale Jamie Carragher. Ähnlich tönt es von Gary Neville, ebenfalls Ex-Profi und heute TV-Experte: «Pickford hat sich als erstklassiger Torhüter etabliert. Er hat eine beeindruckende Ruhe und Selbstsicherheit im Tor.»

Doch es gibt auch ehemalige Fussballgrössen mit einer anderen Sicht. So urteilte etwa Graeme Souness schon: «Pickford neigt dazu, übermässig emotional zu sein. Das führt zu Fehlern, die auf diesem Niveau nicht akzeptabel sind.» Und Roy Keane liess verlauten: «Pickford ist einfach zu emotional im Tor. Seine ständigen Ausbrüche und Grimassen können wirklich nerven, besonders wenn er Fehler macht.»

Fatale Fehler sind ihm gegen die Schweiz – leider – nicht unterlaufen. Stattdessen hexte er sich im Penaltyschiessen zum Helden. Vor dem Penalty von Manuel Akanji liess er sich schon fast unverschämt viel Zeit, holte seine Trinkflasche, auf der notiert war, wie er bei welchem Schweizer reagieren soll – und parierte schliesslich den Versuch des Schweizer Verteidigungsministers.

Provokationen, Psychospiele und Schauspieleinlagen

Es waren typische Szenen für den 30-Jährigen, der mittlerweile 66 Länderspiele auf dem Buckel hat und zu dessen Repertoire Provokationen, Psychospiele und Schauspieleinlagen ebenso gehören wie Grimassen, mit denen er seine Gegner aus dem Konzept bringen will, oder das frenetische Feiern eigener Paraden. Der Schweizer TV-Reporter Sascha Ruefer, kein Mann der leisen Worte, dafür aber markigen Aussagen nicht abgeneigt, nervte sich während des Penalty-Krimis und sagte: «Einer der unfairsten Goalies, die ich kenne, dieser Pickford!»

Pickford selber erklärt, dass seine Mätzchen und Grimassen ihm dabei helfen, fokussiert zu bleiben. Es ist ein Rezept, das für ihn mehrheitlich aufzugehen scheint. Mit knapp 22 Jahren debütierte er für Sunderland in der Premier League, seit sieben Jahren spielt er nun bei Everton, das für ihn damals 25 Millionen Pfund bezahlte und ihn zum teuersten englischen Keeper aller Zeiten machte. Bei den «Toffees» ist er der Liebling der Fans und Captain. Seit November 2017 darf er sich zudem englischer Nationalspieler nennen; mittlerweile ist er mit seinen 66 Einsätzen für England hinter Peter Shilton (125 Länderspiele), David Seaman und Joe Hart (beide 75) sowie Gordon Banks (73) die Nummer 5 im englischen Goalie-Ranking.

Zu kurze Arme…

So weit, so gut. Doch Pickford ist keine Wand, nicht der Typ, der seinem Team Sieg um Sieg sichert. Nach der 1:2-Niederlage gegen Frankreich im WM-Viertelfinal 2022 wurde ihm angekreidet, dass er beim 0:1 nicht an den Schuss von Tchouaméni herangekommen war. Seine Arme seien zu kurz, hiess es. Ärmchen wie ein T-Rex, wurde gespottet. Doch Pickford blieb cool, sagte: «Als Englands Nummer 1 kriegst du immer Kritik. Es geht darum, wie du damit umgehst.»

Die Coolness konnte aber nichts daran ändern, dass das Palmarès des 30-Jährigen erschreckend leer ist. Zwei Auszeichnungen als Spieler der Saison des FC Everton (2017/18 und 2021/22) sind darin zu finden. Und die Teilnahme am EM-Final 2021. Diesen verloren die Engländer daheim im Wembley gegen Italien im Penaltyschiessen, obwohl Pickford die Versuche von Andrea Belotti und Jorginho entschärfte.

Die erneute Finalteilnahme ist nun das erklärte nächste Ziel. Nach dem Sieg gegen die Schweiz müssen heute Abend die Niederländer aus dem Weg geräumt werden. Danach soll mit einem Sieg gegen Spanien der erste Titelgewinn der Engländer seit der WM 1966 folgen. Notfalls auch im Penaltyschiessen. Der streitbare Pickford wäre dann zweifellos der gefeierte Held. Zumindest in seiner Heimat.

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