Leichtathletik statt Eiskunstlauf oder Fussball
Die Leichtathletik beklagt oft den Verlust von Talenten an andere Sportarten. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg: Im Schweizer Team startet ein Quereinsteiger-Duo an der WM in Tokio.
Mit Joceline Wind und Ivan Pelizza traten eine gelernte Eiskunstläuferin und ein einst ambitionierter Fussballer die Reise nach Tokio an. Die Frau aus Sonceboz-Sombeval bestritt am Samstag den Vorlauf über 1500 m, der Zürcher greift am Dienstag in den Vorläufen über 800 m ins Geschehen ein.
Die beiden wechselten mit 18 respektive 19 Jahren die Sportart. Zu einem Zeitpunkt, als sie realisierten, dass sie es nicht an die Spitze schaffen würden, obwohl sie alles versucht haben. Zum anderen, weil sie den Wunsch einer (Profi)-Sportkarriere nicht fallen lassen wollten.
"Ich hatte immer Traum, Profisportlerin zu werden. Habe aber gemerkt, das mein Talent im Eiskunstlauf nicht reicht. Letztlich haben mir auch die Coaches empfohlen, es mit der Leichtathletik zu probieren", erzählt die Athletin von Biel/Bienne Athletics.
Ähnliche Töne schlägt Pelizza an, der unter anderem bei GC (U13) und beim FC Red Star Zürich kickte und bis auf Stufe A-Junioren am Fussball festhielt. "Ich habe keinen Weg mehr gesehen, um es zum Profitum zu schaffen. Da habe ich meinen Turnlehrer aus der Sekundar-Schulzeit angeschrieben, der den Kontakt zur Mittelstreckengruppe beim LC Zürich herstellte."
Der Wechsel der beiden unterscheidet sich somit von jenen, die zunächst in diversen Sportarten geschnuppert haben. Auch der Fall Angelica Moser, die einst mit Kunstturnen begann und noch heute davon profitiert, ist anders gelagert. Die Zürcherin gewann als 16-Jährige bereits Gold im Stabhochsprung am European Youth Olympic Festival.
Joceline Wind und Pelizza wechselten in einem Alter zur Leichtathletik, als Gleichaltrige schon Gold an globalen U20-Titelkämpfen gewannen. Und mit dem Wechsel in die Basissportart Leichtathletik war es noch nicht getan. Es galt, die richtige Disziplin zu finden.
Die Frau aus dem Berner Jura stiess erst auf Umwegen zum 1500-m-Lauf. "Ich habe alles ausprobiert", erzählt sie. "Bei den technischen Disziplinen habe ich allerdings realisiert, dass es sehr viel Zeit brauchen würde, um die Abläufe zu lernen." Aus Freude am Sport nahm Joceline Wind am 5-km-Lauf in Büren an der Aare teil - und schaffte ohne Training den Sprung aufs Podest. Somit war der Einstieg geschafft: Im Frühjahr 2018 bestritt sie die Cross-Saison, im Sommer setzte sie auf den 800-m-Lauf. "Mit zunehmenden Ausdauer-Training habe ich dann gespürt, dass die 1500 m mein Ding sind." Ab 2019 ist die Parfait bilingue nun in dieser Disziplin zuhause. Der ehemalige Innenverteidiger hingegen fand seine Disziplin ohne Umschweife: "800 m oder 1-km-Lauf habe ich schon als Schüler geliebt."
Die Frau aus dem Jura und der Zürcher kamen im September beziehungsweise Dezember 2000 zu Welt. Der Aufstieg auf ein globales Niveau gelang Joceline Wind etwas rascher als Pelizza. 2023 stand sie bereits im WM-Team von Budapest, fünf Jahre nach dem Wechsel. Der 800-m-Läufer hingegen wusste erst nach den Olympischen Spielen von Paris, dass es für Tokio klappen könnte. Die Uhren stoppten damals bei 1:45,5.
Joceline Wind und Pelizza sind als Quereinsteiger noch jung an Trainingsjahren. Sie werden gemäss gängiger Lehre in den kommenden Jahren noch besser werden. "Ich habe meinen Peak noch nicht erreicht", betont die ehemalige Eiskunstläuferin. Und sie habe auch nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. "Das Durchschnittsalter im 1500-m-Final der Olympischen Spiele von Paris war um die Dreissig." Die Bernjurassierin ist inzwischen bei 4:01,59 angelangt, Pelizza läuft 1:44,53.
Den Wunsch vom Profitum nimmt Joceline Wind nun in Angriff. Sie hat an der Uni in Freiburg den Bachelor in Biomedizin und Sportwissenschaft abgelegt. Seit Beginn des Jahres trainiert sie unter Christiane Berset Nuoffer beim CA Belfaux. Sie kennt die aufstrebende Audrey Werro bestens und teilt mit ihr in Tokio auch das Zimmer.
Pelizza ist noch nicht beim Profitum angelangt, bei ihm ging der Aufstieg weniger steil voran. So musste er seinen Körper unter anderem mit Krafttraining erst an die neue Belastung gewöhnen, um Verletzungen zu verhindern. Jetzt kann er aber Gas geben - neben dem Studium an der Fachhochschule Winterthur als Datenanalyst.