Lia Wälti ist vor dem Spiel gegen die Weltmeisterinnen optimistisch
Am Freitag trifft die Schweiz im EM-Viertelfinal auf Spanien. Lia Wälti traut ihrem Team den Coup zu. Den Schlüssel zum Erfolg sieht sie im Publikum - und in Parallelen zum Männerteam von 2010.
"Wir müssen kein Feuerwerk abbrennen, sondern realistisch spielen. Und dann müssen wir auch eklig sein": Es sind Worte, die Benjamin Huggel vor dem ersten Gruppenspiel der Schweiz an der WM 2010 in Südafrika wählte. Damals stand das Team von Trainer Ottmar Hitzfeld vor der Herkulesaufgabe Spanien. In Durban setzten sich die Schweizer sensationell mit 1:0 gegen den haushohen Favoriten und amtierenden Europameister durch. Dank Glück, einer geschlossenen Mannschaftsleistung und Gelson Fernandes, der den Ball in der 52. Spielminute irgendwie über die Torlinie stocherte.
Am Freitag in Bern werden die Rollen ähnlich klar verteilt sein wie damals. Die Weltmeisterinnen aus Spanien spazierten förmlich durch die Gruppenphase, wurden ihrer Favoritenrolle auf den EM-Titel bislang vollauf gerecht und sehen das Wankdorf nur als Zwischenstation auf dem Weg zum Final am 27. Juli in Basel. Auf der anderen Seite sind die Schweizerinnen die klaren Aussenseiterinnen. Schon der Vorstoss in die Viertelfinals darf als Erfolg, weil historisch, gewertet werden. Alles, was jetzt kommt, ist Zugabe. "Ja, wir sind die Aussenseiterinnen", sagt denn auch Lia Wälti. "Aber wir haben nichts zu verlieren und - anders als in den Gruppenspielen - keinen Druck. Genau das gibt uns Mut."
Dass Wälti dem Schweizer Spiel an dieser EM bislang ihren Stempel aufgedrückt hat, ist keine Selbstverständlichkeit. Bereits während der ganzen Rückrunde war die Mittelfeldspielerin von Arsenal nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte. Die EM-Hauptprobe gegen Tschechien liess sie kurzfristig aus. Und auch vor jedem Gruppenspiel war die Personalie Wälti, das neue "Knie der Nation", ein Thema. Stets konnte die 32-Jährige mittun und das Schweizer Spiel lenken. Sie tat das so gut, dass sie vom renommierten deutschen Fachmagazin Kicker in die Elf der Vorrunde gewählt wurde. 26 Mal unterband sie einen gegnerischen Angriff - keine Spielerin war als "Abfangjägerin" erfolgreicher.
"Es gibt Tage, da fühle ich mich besser, dann welche, an denen es schlechter geht", sagt Wälti. Es bringe nichts, über Schmerzen zu klagen. "Ich habe immer wieder ein Ziel und das ist, im nächsten Spiel auf dem Platz zu stehen. Dafür tue ich alles." Physio, Osteopathie und Regeneration heissen die Stichwörter. Den nötigen Adrenalinkick geben ihr die Zuschauer. "Da geht jeder kleine Schmerz weg."
Auch im Viertelfinal gegen Spanien kommt Wälti eine entscheidende Rolle zu. Sie muss das Mittelfeld gegen die Ballvirtuosinnen orchestrieren, selber Räume zulaufen, Bälle erobern und Gegenangriffe einleiten. Dies gegen das wohl beste Mittelfeld der Welt mit den mehrfachen Weltfussballerinnen Aitana Bonmati und Alexia Putellas sowie Patricia Guijarro vom FC Barcelona. "Es gibt weltweit wohl keine besseren Spielerinnen als die drei. Es wird eine grosse Herausforderung für uns", so Wälti. Es reiche jedoch nicht, sich nur auf das Mittelfeldtrio zu fokussieren. Auch die anderen Spielerinnen hätten enorme Qualität.
Die Spanierinnen haben in der Gruppenphase nicht nur am häufigsten den Abschluss gesucht (78 Mal), sondern auch am meisten Tore erzielt (14). Für die Gegnerinnen zermürbend ist vor allem der hohe Ballbesitzanteil der Iberinnen. Das Team von Montse Tomé monopolisiert den Ball teilweise mehrere Minuten. Bei durchschnittlich knapp 70 Prozent Ballbesitz kommen bei "La Roja" 89,7 Prozent der Pässe an - auch dies ist der mit Abstand beste Wert aller Teams.
"Wir müssen akzeptieren, dass wir in diesem Spiel wahrscheinlich zu grossen Teilen den Ball nicht haben werden", sagt Wälti. Wichtig werde es sein, gegen den Ball gut zu arbeiten und bei Ballgewinn schnell umzuschalten. "Die Schwierigkeit in solchen Spielen ist, dass du müde wirst, wenn du dem Ball hinterherläufst. Wenn du den Ball dann hast, darfst du dich nicht ausruhen, sondern musst weiter in Bewegung bleiben."
Die Qualität der Spanierinnen bekam die Schweiz in der jüngeren Vergangenheit gleich mehrfach zu spüren. Zwischen August und Oktober 2023 trafen sich die beiden Teams gleich dreimal. Stets gingen die Iberinnen als klare Siegerinnen vom Platz, dies mit einem Torverhältnis von 17:2. Wie also soll gegen diesen übermächtigen Gegner etwas auszurichten sein? "Das Momentum ist auf unserer Seite. Wir haben ein Heimturnier und die Fans im Rücken", zeigt sich Wälti optimistisch. Das gebe dem Team unheimlich viel Aufschwung, habe es auch zu Leistungen gepusht, die es in den letzten Monaten so nicht zeigen habe können.
"Zudem haben wir ein sehr verändertes Team im Vergleich zu vor zwei Jahren. Wir spielen anders, physischer, intensiver", sagt Wälti. Genau darin sieht die Schlüsselspielerin den Schlüssel zum Erfolg. "Wir wissen über die individuelle Klasse der Spanierinnen. Aber wir wissen auch, dass sie es nicht mögen, wenn wir physisch spielen. Es ist immer am schönsten, wenn der Gegner nett ist und einem nicht wehtut. Daher müssen wir sie ärgern. Dann machen auch sie Fehler."
Es sind ähnliche Worte, wie sie Huggel vor 15 Jahren von sich gegeben hat.