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"Manchmal schaut das Glück zu und sucht sich eine Seite aus"

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Mit dem FC Biel steht erstmals ein Drittligist im Final des Schweizer Cups. Sportdirektor Mauro Ierep spricht über die wenigen Profis im Team, Herzensangelegenheiten und mögliche Europacup-Reisen.

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Mauro Ierep, Sportdirektor des FC Biel, blickt dem Cup-Final entgegen © KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Mauro Ierep stösst zum FC Biel, als dieser am Tiefpunkt steht. 2016 geht der Verein Konkurs. Statt Challenge League heisst die neue Realität 2. Liga regional (sechsthöchste Stufe). Der neue Klubpräsident Dietmar Faes holt mit Ierep einen ehemaligen Biel-Junior als Finanzchef, der später zudem den Posten des Sportdirektors übernimmt. Neun Jahre danach sind die Bieler dreimal aufgestiegen und stehen zum erst zweiten Mal in der Vereinshistorie im Cup-Final. Faes bezeichnet Ierep im Zuge des Erfolgs als "die wichtigste Person im Klub". Keystone-SDA trifft den 50-Jährigen, der neben seinen Aufgaben als zweifacher Vater und seiner Vollzeitstelle als Controller in einem Industrieunternehmen seit fast einem Jahrzehnt diverse Aufgaben beim FC Biel übernimmt und nun vor der Krönung seiner Arbeit steht.

Mauro Ierep, wie viele Spieler beim FC Biel, dem Cup-Finalisten 2025, sind Profis?

"Ich würde sagen: acht. Die fünf Franzosen und die drei Nachwuchsspieler von Servette respektive Lausanne."

Also gut ein Drittel der Mannschaft.

"Allerdings sind die drei Nachwuchsspieler ausgeliehen, belasten also nicht unser Budget. Dazu sind drei der fünf französischen Spieler von unserem Partnerklub Clermont finanziert. Somit sind es nur noch zwei Profis, die den Lohn direkt von uns beziehen. Und auch das war nur möglich, weil sie sich bereit erklärt haben, finanzielle Einbussen in Kauf zu nehmen."

Was bedeutet das genau?

"Die Gehälter sind nicht öffentlich. Aber bei uns verdient man durchschnittlich 1200 bis 1500 Franken. Einige Spieler etwas mehr, andere verdienen gar nichts. Sie wohnen vielleicht noch bei den Eltern oder studieren und sehen es als Investition. Als Möglichkeit, eine Visitenkarte abzugeben. Und sonst arbeiten viele Spieler nebenbei. Morgen- oder Nachmittagstrainings sind bei uns jedenfalls nicht möglich. Wir trainieren immer abends."

Wie war es möglich, dass dieses Amateurteam im Viertelfinal Lugano und im Halbfinal den damaligen Schweizer Meister YB besiegt hat?

"Es hat eine Mannschaft gebraucht, die mit dem Herzen spielt. Mit Mut. Mit Respekt vor dem Gegner, aber ohne Angst. Und vor allem hat es viel Disziplin benötigt. Mit dieser Einstellung sind wir in die Spiele gegangen. Natürlich hatten wir auch das nötige Glück. Allerdings habe ich das Gefühl, dass das Glück hin und wieder dem Geschehen zuschaut und sich dann eine Seite aussucht."

Dieser Halbfinal: Wann haben Sie daran geglaubt, den Sieg holen zu können?

"Als unterklassiges Team geht man immer mit den gleichen Gedanken in solch ein Spiel: Es ist wichtig, so lange wie möglich die Null zu halten, bloss keinen frühen Rückstand kassieren. Schliesslich hatten wir ein volles Stadion und wollten, dass die Leute bis zum Schluss bleiben. Je länger das Resultat ausgeglichen war, desto mehr begannen die Berner zu zweifeln. Und genau umgekehrt war es bei uns. Je länger es 0:0 stand, desto mehr haben wir an unsere Chance geglaubt."

Was hat Ihnen der Erfolg bedeutet?

"Alles. Es waren Emotionen, die nur der Fussball auslösen kann. Alle haben sich umarmt, selbst, wenn man sich nicht gekannt hat. Das Schönste für mich war, die Freude in den Augen der Spieler und der Staff-Mitglieder zu sehen. Aber auch bei den Menschen, die den Klub schon so lange begleiten. Die genau wissen, wo wir vor neun Jahren angefangen haben."

Sie waren dabei, als der Klub 2016 nach dem Konkurs in der regionalen 2. Liga neu startete. Was hat sie damals motiviert?

"Biel ist mein Leben. Biel ist meine Kindheit, meine Familie, meine Freunde. Auch wenn ich aufgrund meiner Arbeit nicht mehr hier wohne, war mein Herz immer in dieser Stadt. Hier habe ich auch mit Fussball begonnen. Deshalb habe ich nicht gezögert, als ich über einen Freund erfahren habe, dass Leute gesucht werden, die mithelfen, den Klub wieder aufzubauen."

Zurück zu dieser Saison: Das grosse Ziel war nicht der Cupfinal, sondern der Aufstieg in die Challenge League. Diesen hat das Team verpasst. War die Cup-Belastung zu hoch?

"Ich denke nicht, dass wir den Aufstieg nur deswegen verpasst haben. Aber der Cup spielte wohl schon eine Rolle. Der Weg in den Final hat vor allem mentale Kraft gekostet. Wir waren in der Meisterschaftsrückrunde zu unbeständig, haben oft unnötig Punkte liegen gelassen. Das Team ist sich diese doppelte Belastung und den Druck noch nicht gewohnt."

Ist das Kader zu dünn?

"Niemand von uns hat an Weihnachten mit dem Einzug in den Cupfinal gerechnet. Sowieso hätten uns die finanziellen Möglichkeiten gefehlt, einen weiteren erfahrenen Spieler zu verpflichten. Natürlich sind wir enttäuscht, dass es nicht mit dem Aufstieg geklappt hat. Aber wir sehen das nicht als Debakel, sondern als weitere Etappe auf unserem Weg. Ausserdem bleibt uns die Chance, die Saison nicht nur schön, sondern historisch zu beenden."

Im Final trifft der FC Biel auf die grösstmögliche Hürde. Wie realistisch ist der Hattrick Lugano, YB, Basel?

"Wir werden den Final so angehen wie die Runden davor. Wir werden versuchen, die Spannung so lange wie möglich hochzuhalten. Wir wissen, dass in einem Spiel alles passieren kann, aber wir denken nicht in erster Linie an den Pokal. Für uns geht es darum, den vielen Fans etwas zu bieten. Wir repräsentieren nicht nur eine Stadt und eine Region, sondern auch den Amateurfussball. Klubs, die nur dank vielen Freiwilligen bestehen. Und mit diesen Werten gehen wir auch auf den Platz - mit viel Herz."

In der Liga spielt Biel bei Heimspielen vor gut 1000 Fans. Am Sonntag wird es komplett anders sein. Wie stellen Sie das Team auf ein Stadion mit 30'000 Zuschauenden ein?

"Wir haben glücklicherweise Spieler wie Freddy Mveng, Anthony de Freitas oder Brian Beyer, die diesbezüglich schon Erfahrungen gesammelt haben. Sie haben erzählt, dass der erste Moment vor solch einer Kulisse schon sehr beeindruckend sein kann. Nach zwei bis drei Minuten sei man aber nur noch auf den Platz, den Ball und den Gegner fokussiert und man vergesse alles rundherum."

Aber ehrlich: Ist man nicht eingeschüchtert, wenn man als Amateurfussballer plötzlich vor einem Spieler wie Xherdan Shaqiri steht?

"Sehen wir es andersrum: Wie gross ist wohl die Motivation bei einem Amateurfussballer, einem Weltklassespieler wie Shaqiri den Ball abzunehmen oder seine Pässe zu blockieren? Unsere Jungs haben bereits bewiesen, dass sie sich in diesen Momenten einzig auf ihre Leistung fokussieren können."

Und wenn der FC Biel die Sensation schafft, spielt das Team in der nächsten Saison im Europacup. Hat der Klub überhaupt die Ressourcen dafür?

"Es war schon ein bisschen surreal, als wir vor ein paar Wochen die Europacup-Lizenz beantragen durften. Es käme sicher viel Neues auf uns zu, denn wir müssten für den Herbst quasi eine zweite Meisterschaft einplanen. Gleichzeitig wäre es eine fantastische Erfahrung für uns alle. Und ich denke, dass wir dabei auf die Unterstützung der Swiss Football League zählen und wohl auch von den Erfahrungen anderer Schweizer Vereine profitieren könnten."

Haben Sie als Finanzchef auch schon an die vielen Reisen gedacht?

"Natürlich. Wir müssten das Antrittsgeld nicht nur in neue Spieler investieren, sondern eben auch Rücklagen wie diese einplanen. Aber wer unsere Philosophie kennt, weiss, dass wir bescheiden sind. Ich sage nicht, dass wir jedes Mal mit EasyJet verreisen würden, aber es wäre sicher auch keine Luxus-Airline. Das sind jedoch alles Eventualitäten. Aktuell ist das Budget auf eine normale Promotion-League-Saison ausgelegt."

Wären die Europacup-Spiele in Biel?

"Nein. Das liegt jedoch daran, dass wir einen Kunstrasenplatz im Stadion einbauen und deshalb bis im Herbst auch in der Liga woanders spielen müssen. Diesbezüglich laufen Gespräche mit Neuenburg."

Zum Schluss: Was sagen Sie dazu, dass Vereinspräsident Dietmar Faes Sie mehrfach als die wichtigste Person im Klub bezeichnet hat?

"Das freut mich. Jedoch gibt es noch viele andere sehr engagierte Personen, die ihre Freizeit dem Klub opfern. Aber es ist sicher so, dass Dietmar und ich uns gut ergänzen. Ich sage oft: Wenn Dietmar allein wäre, wäre der FC Biel vielleicht schon in der Super League, stünde aber ohne finanzielle Reserven da. Und wenn ich allein wäre, wäre der FC Biel wohl sehr reich, aber noch immer in der 2. Liga regional."

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