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Neue Essgewohnheiten im Profiradsport

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Im Gegensatz zum Image des spindeldürren Radprofis, der jedes Reiskorn abwägt, stopfen die Fahrer der Tour de France so viel in sich hinein wie nie zuvor auf dem Velo.

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Auch Tadej Pogacar musste sich an die neuen Ernährungspläne gewöhnen © KEYSTONE/EPA/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Die Essgewohnheiten der Radstars haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert, so sehr, dass ihre Mägen inzwischen regelrecht darauf trainiert sind, die Nahrungsflut zu bewältigen. "Wir sind um ein Vielfaches gewachsen", betont Julien Louis, Ernährungswissenschaftler des Teams Decathlon-AG2R, der zuvor für den FC Liverpool tätig war, gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Er spricht ohne Zögern von einer echten Revolution.

Tatsächlich markiert der heutige Ansatz eine 180-Grad-Wende gegenüber den 2010er Jahren und dem damaligen Trend zur "Low Carb"-Diät (ketogene, kohlenhydratarme Ernährung), den das Team Sky um den vierfachen Tour-de-France-Sieger Chris Froome populär machte. Damals wurde dem Körper im Training gezielt Zucker entzogen, um Gewicht zu verlieren und ihn dazu zu bringen, Energie vermehrt aus Fettreserven zu gewinnen.

"Zwei Eier zum Frühstück und dann waren wir fünf, sechs Stunden im Training unterwegs, mit Wasser in den Trinkflaschen. Wir waren die ganze Zeit platt", erinnert sich der britische Routinier Simon Yates, der nach seinem Giro-Sieg im Mai am Montag die 10. Tour-Etappe gewann.

Der Franzose Florian Sénéchal fügt hinzu: "Viele sind durchgedreht. Sie hatten es satt, ständig Diät zu halten oder unter Mangelerscheinungen zu leiden." Und der Kletterspezialist Pavel Sivakav ergänzt: "Mental war es extrem hart - wir waren hungrig, energielos und mussten an unsere Fettreserven ran."

Diese Zeiten sind vorbei: "Wenn der Tank leer ist", erklärt Julien Louis, "schaltet der Körper auf Fettverbrennung um." Das funktioniert, ist aber deutlich weniger effizient als Kohlenhydrate, die den wichtigsten Treibstoff für die sportliche Leistung darstellen und im Volksmund als Zucker (oder Kohlenhydrate) bezeichnet werden.

Und es braucht tatsächlich enorme Mengen, um den riesigen Energieverbrauch auszugleichen - bei einer Bergetappe der Tour de France können es bis zu 7000 Kalorien sein. "Im Grunde muss man viermal so viel essen wie ein normaler Mensch", bringt es der britische Bergfahrer Simon Carr, der sich stark für Ernährung interessiert, auf den Punkt. Der Cofidis-Profi bestätigt: "Wir haben noch nie so viel auf dem Velo gegessen." Vor und nach der Belastung, aber vor allem währenddessen. Kein Wunder also, dass die einst berüchtigten Hungeräste heute fast nicht mehr vorkommen.

Im Rennen nehmen die meisten Fahrer mittlerweile bis zu 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde oder mehr zu sich. Das ist enorm. "Das entspricht sechs Bananen oder rund 200 Gramm getrockneter Nudeln pro Stunde", erklärt Louis. Ein kleiner Aufkleber am Vorbau des Velos erinnert die Fahrer daran, wann sie wie viel essen sollten. Solche Mengen, hauptsächlich in Form von Gels und Energydrinks, zu schlucken, war bis vor kurzem unvorstellbar, da sie den Magen-Darm-Trakt zu stark belasteten.

"Noch vor fünf Jahren waren 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde undenkbar. Nach den Rennen habe ich mir fast in die Hose gemacht", erzählte Tadej Pogacar im September in einem Podcast.

Seither wurden grosse Fortschritte bei Energieriegeln, Gels und Getränken erzielt. Sie enthalten heute eine Kombination aus zwei verschiedenen Arten von Kohlenhydraten. "Lange Zeit ging man davon aus, dass es im Darm nur einen Transportweg für Kohlenhydrate gibt", erklärt Julien Louis. "Dann entdeckte man einen zweiten, der Fructose aufnehmen kann. Wenn man beide Wege gleichzeitig nutzt, lässt sich die doppelte Menge Zucker aufnehmen."

Nach Ansicht aller von AFP befragten Akteure tragen diese Fortschritte im Bereich der Ernährung zusammen mit der Entwicklung der Ausrüstung und der Trainingsmethoden dazu bei, die immer höheren Leistungen im Radsport zu erklären, einem Sport, der häufig unter Dopingverdacht steht.

Auch wenn die heutigen Produkte besser verträglich sind und diese Revolution überhaupt erst ermöglichen, müssen die Fahrer ihren Magen weiterhin gezielt trainieren, um solche Mengen überhaupt aufnehmen zu können. "Sonst kann man die sechs Gels pro Stunde gar nicht verdauen. Der Körper schafft das einfach nicht", betont Pauline Ferrand-Prévot. Sie hat das am eigenen Leib erfahren, als sie bei der Weltmeisterschaft im September krank aufgeben musste - nach einer langen Karriere als Mountainbikerin, wo die Belastungen viel kürzer sind.

Während der Winter-Trainingslager absolvieren die Fahrer "mindestens eine Einheit pro Woche, bei der wir das Darmtraining, das sogenannte 'Gut Training', durchführen", betont Julien Louis vom Team Decathlon-AG2R. "Ganz am Anfang kann es dabei zu leichten Beschwerden kommen. Aber ohne dieses Training startet man mit einem enormen Nachteil. Es ist, als würde man nicht mit dem gleichen Treibstoff laufen", ergänzt der Ernährungswissenschaftler. Er ist überzeugt, dass man "noch höhere Leistungen erreichen kann", auch wenn sich das Verfahren bisher "noch im experimentellen Stadium" befindet.

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