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Pia Sundhage gewann die EM - nun führt sie die Schweiz ins Turnier

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Seit anderthalb Jahren ist Pia Sundhage Schweizer Nationaltrainerin. Die EM im eigenen Land ist für die 65-Jährige ein grosser Anreiz für den Job im SFV.

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Zwischen Optimismus, Realismus und grosser Vorfreude: die Schweizer Nationaltrainerin Pia Sundhage © KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht die Schwedin über ihre Kindheit in Südschweden und ihre frühe Faszination für den FC Liverpool. Sie erzählt, wie sie erst dank einer Schummelei eines Trainers überhaupt Fussballspielen durfte. Und die leidenschaftliche Sängerin verrät, wann sie ihre Komfortzone verlässt und weshalb sie bei keiner ihrer bisherigen Stationen als Coach so geduldig sein musste wie in der Schweiz.

Pia Sundhage, wie sind Sie eigentlich zum Fussball gekommen?

"Ich bin im kleinen Dorf Marbäck in Südschweden aufgewachsen, wo nur etwa 250 Menschen lebten. Und niemand interessierte sich für Fussball. Ausser ich. Zu dieser Zeit gab es fixe Vorstellungen. Nur Jungs sollten einen Ball kicken dürfen, Mädchen sollten ihn werfen. Aber das fand ich langweilig, also habe ich ihn auch gekickt. Das hat mir grossen Spass gemacht. Meine Eltern schenkten mir einen Ball, den ich zuhause gegen das Garagentor kickte. Manchmal ging zwar eine Scheibe zu Bruch, aber meine Eltern haben mich und meine fünf Geschwister immer unterstützt - auch wenn wir sehr unterschiedlich sind."

Aber nur vom Kicken gegen das Garagentor wurden Sie nicht zur schwedischen Nationalspielerin.

"Nein. Ein Juniorentrainer kam dann mal auf mich zu und fragte, ob ich mal ein richtiges Fussballspiel spielen möchte, so richtig mit Toren, Netzen, Trikots und Schiedsrichter. Ich sagte, natürlich, und er erwiderte: Dann musst du ein bisschen schummeln."

Inwiefern?

"Wir änderten meinen Namen. Aus dem Mädchen Pia wurde der Junge Pelle. Nach einer Weile hatte ich das Gefühl, die Leute rufen mich 'Pelé'" (lacht).

Wie war das für Sie?

"Ich war immer anders als die anderen Kinder, aber es ist okay, anders zu sein. Es ist okay, nicht dasselbe zu machen wie alle anderen Mädchen. Ich wurde als Junge angeschaut, und es war mir egal. Weil mein bester Freund immer der Fussball war."

Mussten Sie Ihre Weiblichkeit immer verstecken?

"In der Schule haben die Jungs den Lehrern einmal gesagt, dass ich Fussball spiele. Ich hatte mich nicht getraut, etwas zu sagen. Ich war immer sehr schüchtern. Erst der Fussball hat mich kontaktfreudiger gemacht. Dann fragten mich die Lehrer, ob ich lieber 40 Minuten mit den Jungs Fussballspielen möchte, anstatt Gymnastik zu machen. Das fand ich fantastisch. Dann fuhr ich immer mit dem Fahrrad zum Nachbarort und spielte Fussball. Mit 11 Jahren spielte ich dann erstmals in einem Frauen-Team. Das Trikot war blau-weiss."

Verfolgten Sie den Fussball auch sonst, oder spielten Sie nur selber?

"Im Fernsehen gab es damals zwei Sender. Kanal 1 und Kanal 2, beide in schwarz-weiss. Einen Farbfernseher konnten wir uns nicht leisten. Jeden Samstag um 16 Uhr wurden damals die Spiele aus England übertragen. Und so sass ich immer vor dem Bildschirm, und obwohl die Bildqualität schlecht war, habe ich mich darauf eingelassen."

Schauten Sie einem Team besonders gern zu?

"Als Kind war ich grosser Fan von Liverpool. Ich weiss auch nicht, wieso." (lacht)

1984 gewannen Sie mit Schweden die erste EM der Frauen überhaupt. Im Final-Rückspiel gegen England in Luton waren rund 2500 Fans im Stadion, als Sie den entscheidenden Penalty verwandelten. Nun steht das Turnier in der Schweiz an. Viele Spiele werden ausverkauft sein. Hätten Sie gedacht, dass sich der Frauenfussball so entwickeln würde?

"Dafür haben wir alle gekämpft. Als ich mit 13 Jahren einmal sagte, ich wollte Profifussballerin werden, erhielt ich zur Antwort: 'Weisst du, dass du ein Mädchen bist?' Insofern freut es mich, dass wir heute an einem anderen Punkt stehen. Damals mussten wir jeweils um 21 Uhr abends trainieren gehen, weil der Platz vorher besetzt war. Heute können viele Spielerinnen Profis sein und können mit Coaches jeden Tag an ihren Fähigkeiten arbeiten. Und der Final 1984 würde so heute nie mehr stattfinden. Der Platz war dermassen schlecht bespielbar. Aber damals war uns das egal, weil wir überhaupt froh darüber waren, antreten zu können."

Gab es eigentlich nach Ihrem EM-Titel einen grossen Empfang in Stockholm?"Jemand vom Verband war da und gratulierte uns, aber viel mehr war da nicht. Aber in einer Zeitung waren zwei Seiten über uns gedruckt. Zwei Seiten, sogar mit Bild. Wir dachten zuerst, die wollen uns veräppeln, aber die haben wirklich über uns geschrieben."

Als Sie Anfang 2024 als neue Nationaltrainerin zum SFV stiessen, waren die Schlagzeilen in den Zeitungen auch ziemlich gross. Dass eine Trainerin mit Ihrem Renommee, welche unter anderen die USA, Schweden und Brasilien gecoacht und zweimal Olympiagold gewonnen hat, die kleine Schweiz übernehmen würde, kam für viele überraschend.

"Als Nationaltrainerin hast du das Privileg, die besten Spielerinnen eines Landes auswählen zu können. Das ist wirklich cool. Der Job ist zwar überall derselbe, aber die Kultur und die Einstellungen der Menschen sind jeweils ganz anders. Die Arbeit in den verschiedenen Ländern und Kulturen hat mich aufgeschlossener und weltoffener gemacht. Was in den USA funktioniert, muss es nicht zwingend in Schweden, und was in China verstanden wird, könnte in Brasilien nur fragende Blicke auslösen. Für diese Erfahrungen bin ich sehr dankbar."

Welche Beobachtungen haben Sie in anderthalb Jahren in der Schweiz gemacht?

"Am Anfang dachte ich, die Schweiz wäre ähnlich wie Schweden. Jetzt kann ich sagen: Sie ist es nicht." (lacht)

Weshalb?

"Lassen Sie mich ein Beispiel machen: Wenn man in der Schweiz etwas machen will, muss man zuerst drei Dokumente ausfüllen. Dann gibt es zwei Sitzungen, und zum Schluss vielleicht noch eine Telefonkonferenz. Also von der Idee bis zum Zeitpunkt, in dem dann ein Entscheid gefällt wird, ist es oft ein langwieriger Prozess. Als ich in Brasilien war, dachte ich, ich müsse geduldig sein. In der Schweiz ist es noch einmal eine andere Stufe. (lacht) Aber das ist nachvollziehbar, weil der Schweizer oder die Schweizerin auf gar keinen Fall einen Fehler machen möchte."

Stellen Sie diesen Charakterzug auch auf dem Fussballplatz fest?

"Als ich in der Schweiz angefangen habe, versuchte ich, herauszufinden, was die Schweizer Spielerinnen auszeichnet. Es war aber gar nicht so einfach, die Folie, auf die ich 'Schweizer Identität' geschrieben hatte, mit passenden Schlagworten zu ergänzen."

Aufgrund einer verbreiteten Schweizer Eigenschaft, der Zurückhaltung?

"Genau. Ich fragte die Spielerinnen, was sie physisch, mental, technisch, taktisch auszeichne, und es stellte sich heraus: Schweizer Spielerinnen sind in allen Bereichen gut, aber in keinem überragend."

Und?

"Das fand ich interessant. In den USA war ich in einem Umfeld, in dem alle überzeugt waren, die Besten zu sein und das Beste herausholen zu wollen - und wenn sie in einem Bereich in ihren Augen noch nicht die Besten der Welt waren, würden sie weitermachen, bis sie dies erreicht hätten. Und die Brasilianerinnen tanzten viel und fanden immer einen Weg, fröhlich zu sein - egal, was gerade auf dem Feld passiert war. Die Schweizerinnen sind viel zurückhaltender und korrekter."

Wie gehen Sie damit um?

"Ich versuche, den Spielerinnen zu vermitteln, dass es ihnen wohl dabei sein muss, Dinge zu wagen, sich aus der eigenen Komfortzone zu begeben, Fehler zu begehen. Der grösste Fehler, den man machen kann, ist, es gar nicht erst zu versuchen. Im Staff haben wir Folien, auf denen steht: 'Versuch es', 'Noch zwei Schritte', oder 'Du kämpfst'". Wenn Spielerinnen immer nur das machen, was sie schon gut können, werden sie nie herausfinden, wie gut sie sind. Diesen Mut zu vermitteln, ist wahrscheinlich eine der grössten Herausforderungen für mich als Trainerin."

Wann begeben Sie sich denn aus der Komfortzone?

"Wenn ich singe." (lacht)

Aber Sie sind doch eine leidenschaftliche Sängerin?

"Ja, aber nicht wenn ich auf Deutsch singen muss. Einmal habe ich dem Team 'Ein bisschen Frieden' von Nicole vorgesungen. Ich hatte mein Handy so (hält sich die Hand ganz nah vors Gesicht), damit ich den Text ablesen konnte. War es mir wohl dabei? Auf keinen Fall. Es war beängstigend. Und meine Assistenztrainer fragten mich nur: 'Was zum Teufel machst du da? Bist du verrückt geworden?' Aber genau darum geht es. Dieses Unwohlsein gehört dazu, und wir haben jeden Tag die Chance, das Beste herauszuholen."

Die Anspannung wird bei den Spielerinnen wohl auch am 2. Juli spürbar sein, wenn die Schweiz zum EM-Auftakt Norwegen im ausverkauften St.-Jakob-Park empfängt. Ihr Team ist seit acht Partien sieglos. Der Druck wird schon vor Anpfiff gross sein.

"Die legendäre US-Stürmerin Abby Wambach sagte immer: 'Es ist ein Privileg, unter Druck zu spielen. Wenn es einfach wäre, könnte jeder ein Olympiasieger sein. Also muss es schwierig sein.'"

Beunruhigt Sie die Serie der Sieglosigkeit gar nicht?

"Wir schiessen keine Tore. Das ist ein Problem. Wir haben keine richtigen Skorer im Team. Aber ich glaube, wir haben zehn Spielerinnen, die zwei Tore geschossen haben. Das kann man entweder so anschauen, dass wir keine Spielerin haben, die viele Tore erzielt, oder aber, dass wir ein ausgeglichenes Team haben, in dem viele Spielerinnen treffen können. Es gibt immer mehrere Perspektiven."

Was für ein Eröffnungsspiel wünschen Sie sich?

"2013 war ich als Coach von Schweden schon Teil einer Heim-EM. Einen der schönsten Momente erlebte ich damals auf dem Weg zum Stadion, als ich sah, wie viele Menschen bei diesem Spiel dabei sein wollten. Schwedische und dänische Fans feierten damals friedlich miteinander. Ich hoffe, dass ich in Basel nicht nur Schweizer, sondern auch norwegische Fahnen sehen werde. Es geht nämlich um mehr als ums Gewinnen. Sondern darum, gemeinsam ein unvergessliches Ereignis zu schaffen. Es ist auch ein grosser Druck, ja. Aber es wird wunderbar."

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