Rohrers vertagter NHL-Traum ist ein Glücksfall für den ZSC
Enttäuschung hier, Freude da: der österreichische Jungstar Vinzenz Rohrer setzt sich bei den Montreal Canadiens vorerst nicht durch und ist zurück bei den ZSC Lions. Die können ihn gut gebrauchen.
Vinzenz Rohrer gibt sich grosse Mühe, seine Enttäuschung zu verstecken. Dass er mit den ZSC Lions gerade im Derby gegen Kloten 2:0 gewonnen hat, hilft, aber nur ein bisschen. "Ich wäre gerne länger dort geblieben", gibt der 21-jährige Vorarlberger schliesslich offen zu.
Dort, das ist Montreal, die wahrscheinlich hockeyverrückteste Stadt der Welt. Rohrer konnte sich im Vorbereitungscamp präsentieren, kam in vier Testspielen zum Einsatz (zwei mit der ersten Mannschaft) und erhielt viel Lob. Dennoch schaffte er den Sprung ins Team nicht und kehrte am Sonntag in die Schweiz zurück. "Ich war schon etwas überrascht, als man mir nach einem Training mitteilte, dass es nicht gereicht hat", erzählt Rohrer. "Ich hatte ja mitgekriegt, dass es eigentlich ganz gut gelaufen ist. Aber es ist, wie es ist."
Der junge Österreicher sieht durchaus auch Positives darin, wieder in Zürich zu sein. "Sie haben mir erklärt, dass es für meine Entwicklung besser ist, beim ZSC eine wichtige Rolle zu haben und mich weiter zu verbessern." Deshalb war ein Gang in die zweitklassige nordamerikanische Liga AHL kein Thema. In Vergessenheit wird der Jungspund bei den Canadiens nicht geraten. "Ich kann immer noch auf ihre Ressourcen zurückgreifen, habe ganz viele Ansprechpartner bei Fragen."
Die Grösse der Organisation und die Begeisterung der Leute in Montreal haben Rohrer beeindruckt. "Da sind sicher etwa 2000 Angestellte im Klub, es ist alles mega organisiert. Es ist für alles gesorgt, von der Ernährung bis zur Mentalität." Und in den vier Wochen, die er in Kanada verbrachte, hat er auch gespürt, was das Eishockey den Menschen dort bedeutet. "Hockey ist eine Religion dort", schwärmt er. "Das kriegst du auch immer mit, egal, wo du bist, in Restaurants, überall." Logisch, dass er nun in einem Jahr den nächsten Schritt machen will, um in der NHL zu spielen.
Rohrer weiss, dass er Zeit hat. "Ich bin noch jung, mein Vertrag mit Montreal läuft drei Jahre, und sie sind in einem 'Rebuild'", macht er sich keine Sorgen. Vielleicht ist es deshalb nicht einmal ein Nachteil, nicht bereits in dieser, für Montreal möglicherweise eher komplizierten Saison, in der NHL zu spielen. Der älteste professionelle Hockeyklub der Welt (seit 1909) und Rekordsieger des Stanley Cups (24) hat seit dem Final 2021 dreimal die Playoffs verpasst und im letzten Jahr in der 1. Runde verloren. In einem Jahr sind sie vielleicht besser aufgestellt, um wieder anzugreifen - dann mit Rohrer.
Montreal weiss um das gute Umfeld, das der Vorarlberger aus Rankweil, 8 km von der Schweizer Grenze entfernt, bei den ZSC Lions vorfindet. Des einen Enttäuschung ist denn auch des anderen Freude. Viermal in Folge hatte der Schweizer Meister der letzten zwei Jahre und Champions-League-Sieger zuletzt verloren. Dass es nun bei der Rückkehr Rohrers wieder klappte mit dem Siegen, mag Zufall sein.
Tatsache ist, dass der Powerstürmer trotz Jetlag seine Qualitäten gleich wieder aufblitzen lässt, sobald er mit dem Löwen auf der Brust aufs Eis geht. Gut fünf Minuten dauert es am Dienstagabend bis zu seinem ersten Schuss aufs Tor (am Ende sind es drei), er gewinnt solide vier von acht Bullys und verpasst in der Endphase einen Treffer in das leere Tor nur knapp. Im letzten Drittel liefert er sich sogar eine kleine Rauferei mit dem ehemaligen Teamkollegen Reto Schäppi. "Huh, nein", meint Rohrer mit einem Schmunzeln. "Mit ihm möchte ich mich eigentlich nicht anlegen. Ich habe einfach einen Teamkollegen verteidigt."
Für den ZSC-Cheftrainer Marco Bayer ist die Rückkehr Rohrers ein Glücksfall, gerade, weil mit Derek Grant, Sven Andrighetto und Andy Andreoff aktuell gleich drei offensive Leistungsträger mit Verletzungen ausfallen. "Natürlich wäre es schön für ihn gewesen, wenn er hätte drüben bleiben können", sagt Bayer. "Aber er ist natürlich eine absolute Bereicherung. Er gibt uns unglaublich viel Energie."
Rohrer hat sich damit abgefunden, dass er seinen Traum von der NHL nochmals für ein Jahr zurückstellen muss. "Ich freue mich irgendwo auch", betont er. "Ich habe so viel hier in Zürich. Meine ganze Familie, meine Freunde, die Fans, Teamkollegen. Es ist ein vertrautes Umfeld." Er weiss, was er bei den ZSC Lions hat. Und umgekehrt gilt dies erst recht.