Schertenleibs Glanzmoment öffnet die Tür in die K.o.-Phase
Sydney Schertenleib ist das grösste Talent im Schweizer Nationalteam. Gegen Finnland will die 18-jährige Stürmerin des FC Barcelona die Schweiz erstmals in die EM-Viertelfinals führen.
Die Mikrofone laufen noch nicht. Deshalb lässt sich nicht genau sagen, was Johan Djourou Sydney Schertenleib ins Ohr geflüstert hat. Aber offensichtlich etwas, das die beiden sich kugeln lässt vor Lachen, ehe Djourou Schertenleib eine Umarmung gibt.
Es ist der Tag nach dem Sieg der Schweizerinnen gegen Island, und die Interaktion zwischen Sportkoordinator Djourou und Stürmerin Schertenleib im Kultur- und Kongresszentrum Thun unweit des Schweizer Teamhotels zeigt, dass die Stimmung im Schweizer Lager nach diesem erkämpften 2:0 prächtig ist.
Über die Rolle des früheren Innenverteidigers war im Vorfeld der Europameisterschaft öfters diskutiert worden. Es schien nie ganz klar, welche Aufgaben der 38-Jährige in der Delegation des SFV zu erfüllen hat. Dass der Genfer, der unter anderem mehrere Jahre bei Arsenal verteidigte und nun auch das U15-Team der Frauen des FC Lancy trainiert, fussballerisch viele Kompetenzen mitbringt, steht ausser Frage. Djourou ist aber vorab auch mit seinen Softskills gefragt: "Er ist immer da, wenn man eine Umarmung braucht", sagt Schertenleib. Er gebe den Spielerinnen positive Energie und sowohl vor als auch nach den Trainings Feedback. "Johan ist wirklich in vielen Belangen sehr gut."
Schertenleib lanciert mit diesen Worten ein Lobes-Pingpong. Denn Djourou gerät ins Schwärmen, wenn er auf die Qualitäten der jungen Zürcherin angesprochen wird. Er erwähnt ihren Pass in den Lauf von Torschützin Géraldine Reuteler vor dem 1:0 gegen Island. "Dieses Zuspiel auf Geri war einfach unglaublich", sagt Djourou. "Der Einfluss, den Sydney als 18-Jährige auf ein Spiel haben kann, ist schon aussergewöhnlich. Sie wird eine grosse Karriere machen."
Und dem dreifachen Familienvater gelingt es offensichtlich, die Faszination für das Schweizer Supertalent weiterzugeben. "Papa, Papa", sagt Djourou mit einem Lachen im Gesicht und erzählt, wie ihn seine Töchter schon öfters danach gefragt hätten, ob er ihnen nicht ein Trikot von Schertenleib mitbringen könnte.
Die Gelobte lächelt daneben etwas verlegen. Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass so über sie und ihre vielversprechenden fussballerischen Qualitäten gesprochen wird. Seit ihrem Wechsel zum FC Barcelona hat sie eine Entwicklung durchgemacht, die ihr wohl kaum jemand zugetraut hätte. Zumal die kritischen Stimmen klar überwogen, als sie den Campus der Grasshoppers gegen die weltberühmte La Masia der Katalaninnen eintauschte. Schertenleibs Mut und Hartnäckigkeit zahlen sich nun auch fürs Nationalteam aus.
Kam sie gegen Norwegen noch als Einwechselspielerin nach einer guten Stunde für Riola Xhemaili in die Partie, weil Pia Sundhage mit ihren Leistungen im Training nicht zufrieden war, schenkte ihr die Nationaltrainerin in Spiel 2 von Anfang an das Vertrauen. Und Schertenleib zahlte es zurück. Zwar gelang ihr in einer lange Zeit zerfahrenen Partie in der ersten Halbzeit wenig. Es ist allerdings ein Merkmal grosser Spielerinnen, in wenigen Glanzmomenten wie vor Reutelers Treffer dann doch Entscheidendes zu kreieren.
Kann Schertenleib die Bälle in der Offensive so festmachen und als Ballverteilerin fungieren, wie ihr das gegen Island gelungen ist, ist die Zürcherin für das Schweizer Team unverzichtbar. Ebenso mit ihrer Schnelligkeit und Raffinesse. "Ich versuche einfach, jeden Tag mein Bestes zu geben", sagt Schertenleib.
Das wird auch am Donnerstag (21 Uhr) nicht anders sein, wenn die Schweizerinnen im dritten Gruppenspiel in Genf auf Finnland treffen. Aufgrund des besseren Torverhältnisses reicht der Schweiz theoretisch ein Unentschieden dafür, sich bei ihrer dritten EM-Teilnahme nach 2017 und 2022 erstmals für eine K.o-Phase zu qualifizieren. Im SFV-Lager ist der Tenor allerdings klar: Triumphieren geht über taktieren und spekulieren.
Auch für Schertenleib ist es keine Option, gegen die Skandinavierinnen, denen nach dem 1:0 gegen Island gegen Norwegen nur wenige Minuten für einen Punktgewinn fehlten, auf ein Unentschieden zu hoffen. "Nein, natürlich wollen wir gewinnen", sagt sie. Ihr Blick schweift durch den Raum. "Und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das gelingen wird."