Wie es YB und Imke Wübbenhorst schaffen, der Zeit voraus zu sein
Imke Wübbenhorst hat YB erstmals seit Einführung der Playoffs in den Final der Women’s Super League geführt. Gegen GC kann die Deutsche die Bernerinnen zum ersten Meistertitel seit 2011 führen.
Die 36-Jährige empfängt die Nachrichtenagentur Keystone-SDA in einem Café am Egelsee, unweit ihres Wohnortes. Mutter Kerstin schaut während des Gesprächs zum fünf Monate alten Sohn Bendt, und ihre Dalmatinerhündin lauscht unter dem Tisch aufmerksam, was sie zu erzählen hat. Am Tag zuvor stand Wübbenhorst erstmals seit ihrer Mutterschaft wieder selber auf dem Fussballplatz, bei den Senioren des FC Bern. Entsprechend spürt sie den Muskelkater noch etwas. Aber sie sagt: "Es macht Spass, hier angekommen zu sein. Nicht nur als Trainerin, sondern als Mensch."
Wübbenhorst spricht darüber, was YB in dieser Saison besser macht als die Konkurrenz, warum es schwierig ist, im Frauenfussball nachhaltig und über mehrere Jahre erfolgreich zu sein und sie sagt, weshalb sie es wichtig findet, dass Spielerinnen auch ausserhalb des Fussballs sozialisiert werden.
Imke Wübbenhorst, die Paarung im Final der Women's Super League lautet YB gegen GC. Darauf hätte vor der Saison wohl kaum jemand gewettet, oder?
"Es war unser Ziel, in den Final zu kommen, und GC hat mit Servette Chênois und Basel die beiden Favoriten auf den Titel herausgekegelt. Insofern haben es sicher beide Teams verdient, da zu stehen, wo sie jetzt sind."
YB ist Qualifikationssieger und hat GC in dieser Saison in der Meisterschaft und im Cup insgesamt dreimal bezwungen. Ihre Mannschaft geht als Favorit in den Final.
"Beim letzten Spiel der Regular Season hat man gesehen, dass sich GC extrem verbessert hat. Im Winter haben sie einige gute Transfers getätigt, die die Qualität angehoben haben. GC ist eine Top-Mannschaft, die eine tolle Rückrunde gespielt hat. Sie spielen sehr zielstrebig, schnell und dynamisch, sind aktuell richtig im Flow. Uns ist in den Playoffs jedoch die Selbstverständlichkeit etwas abhandengekommen."
Wie meinen Sie das?
"Dass wir im Halbfinal-Hinspiel in Zürich auswärts 3:1 gewonnen haben, war ein Geschenk. Bis in die 82. Minute lagen wir ja 0:1 zurück. Und das machte die Ausgangslage schon deutlich angenehmer. So richtig souverän sind wir in den Playoffs allerdings noch nicht aufgetreten."
Wie kriegen Sie es hin, dass dies im Final-Hinspiel am Sonntag im Letzigrund anders sein wird?
"Das Wichtigste ist, dass wir die Frische in die Beine bekommen, deshalb trainieren wir in dieser Woche zwar intensiv, aber vom Laufumfang her weniger. Ich will es möglichst einfach halten und die Spielerinnen nicht mit neuen Inputs überfordern. Der Druck ist bei so einem Final genug hoch, also geht es vor allem auch um Mentalität. Wer will es mehr? Wer ist bereit, mehr zu laufen? Wer kann sich mehr quälen?"
Erstmals seit Einführung der Playoffs gibt es heuer nicht nur ein Spiel, sondern kann jedes Team einmal zuhause antreten. Begrüssen Sie das?
"Für uns ist das ein Vorteil, weil wir dadurch wenigstens einmal auf Kunstrasen spielen können. Ich habe bei meiner Mannschaft noch nicht feststellen können, dass wir auswärts weniger gut auftreten. Aber Naturrasen ist für uns natürlich schon schwieriger, gerade wenn das Wetter nicht gut ist."
Mit Naomi Luyet fällt seit Ende November eine eigentliche Leistungsträgerin aus, die bis zu ihrer Verletzung viele Tore und Vorlagen lieferte. Überrascht es Sie, dass Ihre Mannschaft trotzdem so weit gekommen ist?
"Die Regular Season haben wir gewonnen, weil wir das bessere Torverhältnis hatten. Insofern hat Nao da einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Es zeichnet uns jedoch aus, dass immer jemand da ist, wenn es einen Ausfall gibt. Ob das ich war mit meiner Mutterschaft, Iman Beney mit der Kreuzbandverletzung, Stephanie Waeber, Courtney Strode, Athena Kuehn oder eben Naomi. Wir hatten immer irgendwo etwas zu kompensieren. Dadurch ist aber auch jede Spielerin in dieser Mannschaft wichtig geworden. Zu merken, dass wir auch ohne unsere Top-Spielerinnen ein gutes Konstrukt haben und Ausfälle auffangen können, gibt jeder einen zusätzlichen Push."
Sie sind nun seit drei Jahren bei YB. Nach Ausscheiden im Viertelfinal und im Halbfinal können Sie nun erstmals um den Meistertitel spielen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
"Als ich nach Bern gekommen bin, haben wir ein Papier erstellt, auf dem wir unter anderem sportliche, strategische und ökonomische Ziele skizziert haben. Da hielten wir zum Beispiel fest, wie viele Spielerinnen wir aus der Jugend ins Fanionteam integrieren möchten, oder wo wir infrastrukturell und personell investieren wollten. Und ich kann sagen, wir haben das Papier überholt. In diesem Jahr wäre nach Plan erst der Halbfinal das Ziel gewesen."
Eine schöne Überraschung. Worauf führen Sie sie zurück?
"Man kann solche Ziele ja nie einfach isoliert betrachten, sondern es gibt immer auch die Konkurrenz. Und in der Öffentlichkeit wird das vielleicht manchmal etwas verkannt, aber es gibt mit Basel, Servette, GC und Zürich vier Klubs in der Schweiz, die mehr investieren als wir. Insofern wäre es ein Riesenerfolg, wenn wir diesen Titel jetzt über die Ziellinie bringen."
Inwiefern unterscheidet sich denn die Strategie von YB von anderen Vereinen?
"Es gibt Vereine, die investieren weniger in Strukturen, sondern mehr in Beine. Sie holen Spielerinnen aus dem Ausland, die Erfolg bringen sollen, aber wenn es dann mit Titeln nicht klappt, sind die Spielerinnen wieder weg und die Sponsoren verlieren womöglich die Lust. Und dann bricht alles in sich zusammen. YB ist in den letzten Jahren in allen Bereichen organisch gewachsen, sei es mithilfe von Sponsoren oder die Besitzer-Familie Rihs, die jahrelang investiert haben. Dadurch können Strukturen wachsen. Mit Franziska Schild haben wir eine General Managerin für die Frauenabteilung, die 100 Prozent angestellt ist, und auch die Coaches im Nachwuchsbereich verfügen über eine Anstellung, die es ihnen ermöglicht, viel in die Ausbildung junger Spielerinnen zu investieren."
Helfen diese Strukturen auch dabei, dass YB nicht nur in dieser Saison um den Meistertitel spielen kann?
"Das ist bei uns abhängig von den eigenen Talenten, die wir hervorbringen. Man kann als Verein nicht davon ausgehen, dass in jedem Jahrgang im Nachwuchs zwei Supertalente wie Iman und Naomi dabei sind. Ich bin eine sehr ambitionierte Trainerin. Ich möchte jedes Jahr Erfolg haben. Aber ich denke, dass dies schwieriger zu schaffen ist als bei den Männern."
Weshalb?
"Bei den Männern ist auf allen Ebenen viel mehr Geld im Spiel. Die Einnahmen aus dem Europacup und die Transfererträge sind da für die Klubs essenziell. Eine Freundin, die mit ihrem Team regelmässig in der Champions League spielt, erzählte mir aber mal, dass bei ihnen das gesamte Geld für Prämien und Reisen draufgehe. Dass also nichts bleibt, um nachhaltig zu investieren. Und da es im Frauenfussball noch nicht wirklich verbreitet ist, dass bei Transfers lukrative Ablösesummen gezahlt werden, wollen sich Spielerinnen dann nicht langfristig binden, weil sie sich die Freiheit erhalten wollen, zu wechseln, wenn ein interessantes Angebot kommt. Von damals, als ich bei YB angefangen habe, sind immer noch zehn Spielerinnen im Kader. Das ist schon aussergewöhnlich."
Sie wünschen sich also, dass die Löhne steigen und Iman Beney einmal für mehrere Millionen zum FC Barcelona weiterzieht.
"Wir sollten nicht dieselben Fehler machen, wie sie im Männerfussball schon viel zu lange gemacht werden, auch mit den exorbitanten Löhnen. Es ist extrem wichtig, dass wir es nicht nur mit Spielerinnen zu tun haben, sondern mit Menschen. Menschen, die eine ganzheitliche Sozialisation brauchen und nicht einfach in der Fussballblase leben sollen."
Wie meinen Sie das?
"Ich finde es extrem wichtig, dass diese Mädels auch noch ein normales Umfeld haben. Dadurch wird nämlich sowas wie Resilienz überhaupt erst gebildet, weil sie, wenn der Fussball nicht gut läuft, noch genug andere Tasten haben, die spielen und wo sie trotzdem einen Rückhalt haben, Betätigung und Selbstwertgefühl und eben auch wieder mit normalen Dingen des Alltags konfrontiert werden."
Also sollten sie arbeiten gehen oder studieren?
"Ich glaube nicht, dass es eine Spielerin schlechter macht, wenn sie nebenbei noch ein bisschen ihr Hirn anstrengt und nicht nur ihren Körper schult. Ich habe zum Beispiel eine Spielerin, die arbeitet als Schreinerin. Die steht von morgens bis abends auf den Beinen. Das ist natürlich schwierig, aber ein Teilzeitjob wäre auf jeden Fall gut für viele Spielerinnen."
Sinkt so nicht das Niveau, wenn es keine Profispielerinnen mehr gibt?
"Ich glaube sogar, dass es positiv dazu beitragen kann, dass sie als Menschen entscheidungsfähiger werden, dass sie umsichtiger sind, weil sie noch andere Sachen haben, auf die sie sich konzentrieren. Also ich will nicht wissen, wie viel Zeit die Männer manchmal an ihrer PlayStation verbringen, weil sie eben gar nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen."
Ist das nicht klischeehaft?
"In den Nachwuchsleistungszentren in Deutschland müssen sich die Spieler um gar nichts kümmern. Weder Wäsche waschen noch kochen. Wenn meine Mädels zum Auswärtsspiel fahren, kochen sie sich selber, was gut und verträglich für sie ist. Schon allein diese Auseinandersetzung mit Lebensmitteln und dem eigenen Körper führt dazu, dass sie schlauer werden. Das gibt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Das ist extrem wichtig. Und ich glaube nicht, dass sie dadurch schlechter Fussball spielen können."